Auch in der deutschen Medienlandschaft ist die Präsidentschaftswahl der USA sehr präsent. Christoph Koller erkundet die Rolle des Katholizismus und anderer christlicher Konfessionen innerhalb eines Landes mit großer Religiösität in der Öffentlichkeit.

Der Tag der Entscheidung naht: Am nächsten Dienstag wählen die Vereinigten Staaten von Amerika einen Präsidenten. Das Duell zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden nimmt auch diesseits des Atlantiks großen Raum in den Medien ein. Nirgendwo sonst ist das Wahlverhalten der Bevölkerung so durchanalysiert wie in den USA. Dass Donald Trump unter den weißen Christ*innen seine größte Anhänger*innenschaft hat, ist deshalb kein Geheimnis. Unter den amerikanischen Katholik*innen stimmte bei den letzten Wahlen 2016 über die Hälfte für Trump. Aber wie passt sein politisches wie privates Verhalten zusammen mit christlichen Werten der Nächstenliebe und des Respekts vor der Schöpfung und den Mitmenschen? Wie konnte und kann der Anti-Politiker Trump eine derart breite christliche Wähler*innenbasis erreichen? Sich mit einer Bibel in der Hand vor eine Kirche zu stellen wie eine etwas missglückte Imitation des biblischen Mose, die Gesetzestafeln in den Händen – das kann doch nicht ausreichen. Und in der Tat sind die Gründe für den Erfolg von Donald Trump bei christlichen Wähler*innen und insbesondere Katholik*innen etwas komplexer als es seine Wahlkampfslogans sind.

Katholik*innen in den USA – eine bewegte Geschichte

Auch im Jahre des Herrn 2020 sind die Vereinigten Staaten eine weitgehend christlich geprägte „Nation under God“, wie es im Fahneneid heißt, der in den Schulen allmorgendlich abgeleistet wird. Nun ist dieser Gottesbezug, der sich auch sonst vielfach im öffentlichen Diskurs findet, zunächst kein konfessioneller; der Supreme Court, das höchste amerikanische Gericht, sprach in diesem Zusammenhang einmal vom „ceremonial deism“, also einer Art überkonfessioneller Zivilreligion. Die historische wie inhaltliche Begründung dieser Zivilreligion aber liegt im Christentum,  und. ‚christlich‘ bedeutet dabei zunächst einmal protestantisch, sei es in traditioneller oder in freikirchlich-evangelikaler Ausprägung. Betrachtet man diese Kirchen und Gemeinschaften, fächert sich ein breites Panoptikum auf, von ultrakonservativ bis liberal aufgeklärt; auch solche Denominationen sind darunter, die man in Europa schon eher als obskur oder sektenartig einordnen würde (die Mormonen beispielsweise). Die größte christliche Einzelkonfession aber ist nicht die protestantische, sondern die römisch-katholische Kirche.

Der Katholizismus in den USA hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Es waren vor allem Einwander*innen aus den erzkatholischen Ländern Irland und Italien, die den Katholizismus in die US-amerikanische Gesellschaft einbrachten. Die arrivierte, protestantisch geprägte Oberschicht, die ihre Herkunft gerne auf die protestantischen pilgrim fathers aus der Zeit der ersten Siedler*innen zurückführt, betrachtete Katholik*innen als Anhänger*innen einer proletarischen Unterschichtenreligion. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts sah sich John F. Kennedy als Präsidentschaftskandidat dem Vorwurf ausgesetzt, er als Katholik stehe unter der Fuchtel des Papstes. Ein Romhöriger, so wurde argumentiert, dürfe nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden. Tatsächlich war Kennedy bislang der einzige katholische Präsident der USA. Joe Biden könnte der zweite werden. Der Umstand, dass seine katholische Konfession in der öffentlichen Debatte kaum mehr problematisiert wird, zeigt, wie sehr sich die religiöse Landschaft in den USA gewandelt hat und wie sehr sich die Einflüsse der unterschiedlichen religiösen Gruppierungen verschoben haben.

Der Trend zum ‚evangelikalen Katholizismus‘

Der amerikanische Journalist John Allen hat 2009 ein Buch über die Zukunft der katholischen Kirche veröffentlicht.1 Er macht mehrere Trends für die Entwicklung des Katholizismus in den nächsten Jahrzehnten aus, darunter auch, was er „evangelikalen Katholizismus“ nennt: Allen diagnostiziert Strömungen im Katholizismus, die zwar vom Bekenntnis her nicht evangelikal sind, sich aber in ihren Strukturmerkmalen dem Evangelikalismus annähern. Zu diesen Strukturmerkmalen gehören das klare Bekenntnis zur katholischen Identität sowie ein Glaube, der nicht kulturelles Erbe, sondern persönliche Entscheidung ist.2 Charismatische Formen der Religionsausübung gehen dabei einher mit einem klar konservativen Wertegerüst, vor allem in Fragen der Sexualmoral und des Familienbildes.

Die Analyse der US-amerikanischen Wähler*innenschaft passt gut zu diesen Beobachtungen Allens: Das religiöse Feld fächert sich immer weiter auf, einzelne Denominationen werden immer pluraler, und dennoch gibt es, über die Lager hinweg, Klammern, die diese Lager zusammenhalten: Im Lager des konservativen Christentums, also rechts der (politischen) Mitte, das politisch deutlich stärker und offensiver das Wort ergreift, sind diese Klammern vor allem die Haltung zu Homosexualität und Abtreibung. Durch die Bank weg haben konservative Christ*innen hier eine strikt ablehnende Haltung.

Das brüchige Selbstbild von God’s chosen country

Darüber hinaus ist in den USA ein gewisser Nationalstolz, „God’s chosen country“ zu sein, „one Nation under God“, identitätsprägend für eine christliche Mehrheit. Das Gefühl einer vereinenden Zivilreligion, das in diesen formelhaften Beschwörungen des eignen Nationalbewusstseins zum Ausdruck kommt, vereinigt die vielen verschiedenen christlichen Denominationen (zumindest diejenigen, die sich rechts der politischen Mitte ansiedeln). Das Selbstverständnis der USA als christliche Nation wird aber angegriffen durch die großen Veränderungen der Postmoderne wie Globalisierung und Pluralisierung der Lebensformen und Lebensentwürfe.

Die Frage, warum so viele Katholik*innen für Donald Trump stimmen, lässt sich auch damit erklären: Er zielt passgenau auf dieses brüchige Selbstbild, wenn er mit seinem Slogan „Make America great again“ den Menschen verspricht, den christlich gefärbten Nationalismus und ihr konservatives Wertegerüst wieder an erste Stelle zu setzen.3 Es ist eine Ökumene der eigenen Art, die aus deutscher Perspektive vielleicht befremdlich erscheinen mag, die aber den christlich-konservativen Grundkonsens einer Mehrheit der Bevölkerung zum Ausdruck bringt. Donald Trump verspricht seinen Wähler*innen erneuten gesellschaftlichen Einfluss, erneute gesellschaftliche Wirksamkeit ihrer Werte; wenn auch nicht persönlich in seinem Lebenswandel, dann zumindest in seinem Regierungshandeln vor allem durch die Ernennung konservativer Richter*innen für den Supreme Court, der in vielen gesellschaftlich umstrittenen Fragen die Letztentscheidung trifft. Der Einheit über unterschiedliche Denominationen hinweg steht dabei die Polarisierung und innere Zerrissenheit innerhalb der katholischen Kirche gegenüber.

Die katholische Kirche in den USA spricht nicht mit einer Stimme

Denn die Katholik*innen als solche sind kein monolithischer Block. Die katholische Kirche in den USA ist in den vergangenen Jahren pluraler geworden, nicht zuletzt dank einiger Bischofsernennungen durch Papst Franziskus, der den pointiert konservativen Ernennungen seiner Vorgänger einige liberalere Bischöfe entgegensetzte. Durch die großen Migrationsbewegungen aus Lateinamerika ist die ursprünglich irisch-italienisch geprägte US-Kirche südlicher, hispanischer, vielfältiger geworden. Sie steht aber so auch unter enormen inneren Spannungen, und auch hier stehen die beiden gesellschaftlichen Hauptstreitfragen Homosexualität und Abtreibung im Zentrum der Auseinandersetzungen. Dabei spricht die US-Kirche nicht mit einheitlicher Stimme, was angesichts der großen Polarisierung in der Gesellschaft vielleicht auch gar nicht so wünschenswert wäre (da sie damit zwangsläufig eine integrierende Funktion in die eine oder andere Richtung verlieren würde).

Für John Allen sind die schwerwiegenden Spaltungen innerhalb des amerikanischen Katholizismus nicht einfach nur Ausdruck eines einfachen Rechts-Links-Gegensatzes, sondern Kennzeichen eines „Tribalismus“, also der Existenz einer Vielzahl an katholischen Subkulturen, die kaum noch miteinander in Kontakt stehen.4

In God we trust?

Welche Folgen das langfristig haben wird und inwieweit auch die katholische Kirche anderswo, zum Beispiel auch in Europa, eine solche Entwicklung nehmen wird, das wird zu beobachten sein. Denn auch ein Präsident Joe Biden, der bewusst moderat und mäßigend auftritt, der seinen öffentlich praktizierten Katholizismus auch als persönliches Qualifizierungsmerkmal nach außen trägt – auch er wird die tiefen ideologischen Gräben in der amerikanischen Zivilgesellschaft nicht so einfach kitten können.

„In God we trust“ ist das offizielle Motto der Vereinigten Staaten, das sich auf allen Münzen und Geldscheinen findet. Allerdings erst seit den 1950er Jahren, als es den angestammten, noch aus Gründungszeiten stammenden Wahlspruch „E pluribus unum“ („Aus vielen eines“) ablöste. Vielleicht wäre es angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung und der inneren Zerrissenheit der amerikanischen Kirche an der Zeit, dieses altehrwürdige Motto wieder mit neuem Leben zu füllen. Auch wenn man dazu angesichts der momentanen verfahrenen Lage tatsächlich jede Menge Gottvertrauen braucht.

 

Hashtag der Woche: #InTrumpWeTrust


(Beitragsbild: @ajaegers)

 

1 John Allen, The Future Church, 2009.

2 Allen, Das neue Gesicht der Kirche, S. 69f.

3 Gorski, Am Scheideweg, S. 161.

4 Allen, Das neue Gesicht der Kirche, S. 101.

 

Zum Weiterlesen:

  • John L. Allen, The Future Church. How Ten Trends Are Revolutionizing the Catholic Church, New York 2009; in deutscher Übersetzung als: Das neue Gesicht der Kirche. Die Zukunft des Katholizismus, Gütersloh 2010.
  • Philip Gorski, Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump, Freiburg 2020.
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christoph koller

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Kirchenrecht der Universität Freiburg. Dort arbeitet er an einer Dissertation zum Thema Barmherzigkeit und Kirchenrecht.

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