Digitale Lehre, e-Larning, Zoom, Teams und vieles mehr – das zweite Semester unter Corona-Bedingungen ist gestartet. Wie das so funktioniert (hat)? Wir haben nachgefragt, und Dr.Viera Pirker hat geantwortet.

y-nachten.de: Vor mehr als einem halben Jahr wurden bundesweit verschärfte Corona-Maßnahmen beschlossen. Das traf auch Schulen und Universitäten. Von nahezu einen auf den anderen Tag mussten Lehreinrichtungen auf E- und Homelearning umstellen. Erinnerst du dich noch, was dir da als erstes durch den Kopf ging?

Viera Pirker: Wie alle anderen Lehrenden an den österreichischen Hochschulen hat mich diese Umstellung sehr kurzfristig erwischt, mitten im Semester. Für mich hatte in den ersten Tagen Vorrang, eine geblockte Vorlesung für ein asynchrones Format umzubauen. Ich habe zudem im Sommer an verschiedenen Universitäten unterrichtet, habe die Vorlesungen asynchron durchgeführt und im Seminar zwischen synchronen und asynchronen Phasen gewechselt. Da ich E-Learning-Plattformen und digital gestützte Praktiken ohnehin gerne in Lehrveranstaltungen integriere und dafür im normalen Präsenz-Rhythmus oft zu wenig Raum ist, habe ich das zunächst etwas euphorisch als eine Gelegenheit verstanden; herausfordernd waren aber zunehmend unterschiedliche technologische Surroundings. Ich habe viel gelernt, auch an Webinaren, Barcamps und Austauschformaten zu digitaler Lehre teilgenommen und damit aktiv meine Skills erweitert und mein Wissen weitergegeben. Mehr haben mich in den ersten Tagen und Wochen die persönlichen Veränderungen getroffen, wie unser Team in Kontakt ist, wo ich selbst sitze und denke, was diese Pandemie-Situation gesellschaftlich und religiös bedeutet.

y-nachten.de: Was verstehst du unter einer „guten Lehre“ – und besteht eine besondere Herausforderung darin, sie digital durchzuführen?

Viera Pirker: Gute Lehre ist für mich, wenn Menschen gemeinsam in Begegnung, in der Gegenwart und auf Zukunft hin lernen, wenn sie ihre mitgebrachten Perspektiven erweitern können und durch inhaltliche, thematische, mediale und reflexive Impulse für sich neue Grundlagen und Sichtweisen entwickeln können. Es geht mir im Herzen mehr um das Transzendieren als um das Transportieren. Lehre denke ich vom Lernen her, vom Prozess des aktiven Aneignens. Seminare gestalte ich gerne prozessorientiert. Ein Gefühl für die Resonanzen und Interessen einer Lerngruppe zu entwickeln, und die Persönlichkeiten und Erfahrungen der Studierenden mit einfließen zu lassen, ist mir wichtig. Da denke und handle ich auch in der universitären Lehre so subjektorientiert, wie es der religionspädagogische Grundsatz verlangt. Es fällt mir eher schwer, den Verlauf eines Kurses bereits vorzugeben. ohne die Teilnehmenden und ihre Positionen zumindest kennen zu lernen. So ein Ansatz lässt sich kaum in ein reines E-Learning-Umfeld transformieren, braucht notwendig Interaktion – die sich aber durchaus in digital-synchronen Lernsettings herstellen lässt. Studierende müssen zur Beteiligung auch ermutigt und verlockt werden, das ist bei physischer Präsenz nicht anders als online. Beteiligung muss sich auch irgendwie lohnen.

y-nachten.de: Wie ändert sich Kommunikation und Interaktion durch digitales Lernen und digitale Lehre?

Viera Pirker: Das ist eine zentrale Frage – ich habe darauf noch zu wenig Antworten. Als Lehrende bin ich verantwortlich, die Kommunikation und Interaktion zu initiieren und zu strukturieren, im digitalen Raum durchaus auch etwas direktiver zu moderieren und Resonanz einzufordern. Mein Seminar im Sommersemester hatte nur wenige Teilnehmende, da haben wir mit Videokonferenzen gearbeitet und kaum einen Unterschied in Kommunikation und Intensität festgestellt. Der Betreuungsaufwand für Einzelne ist größer. Ich habe in den Vorlesungen auf begleitenden Austausch in einem Forum gesetzt, zudem interaktive Aufgaben gestellt, die anonym auf Online-Plattformen erledigt werden konnten – mit erfreulich hoher Beteiligung. Was in der Planung viel zu wenig berücksichtigt wird: Die informellen Komponenten und die Peer-Kommunikation sind für die Studierenden untereinander nicht unbedeutend. Sich einfach kennen zu lernen und frei auszutauschen, spontan einen Kaffee miteinander zu trinken, eine Chat-Gruppe zu gründen, sich für ein gemeinsames Referat entscheiden. Dieser freie Raum ist fürs Wohlbefinden und damit auch für ein gelingendes Lernen keineswegs unwichtig. In der digital gestützten Fernlehre müssen dafür eigene Strukturen und Angebote geschaffen werden. Die Hürde, andere Studierende von sich aus zu kontaktieren, ist für manche sehr hoch. Ich weiß von Lehrenden, die Videokonferenzen einfach offen gelassen und sich selbst rausgenommen haben, damit die Studierenden untereinander sprechen konnten.

Die technische Komponente ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Wie oft hat mein Laptop seine Kamera nicht gefunden, war der Audio-Zugang schwierig, wie schwer ist es, Menschen in einer Videokonferenz zuzuhören, die schlechtes technisches Equipment oder eine schlechte Bandbreite haben. Ich wünsche mir insgesamt Mut zum Experimentieren, wachsendes technisches Verständnis, aber auch Vernetzung und Feedback.

Das von vielen als so leidig empfundene Video-Thema – ist die Kamera an oder aus – hat mich nicht gestört. Ich spreche bei Vorträgen auch mit schwarzen Kacheln, stelle aber viele Fragen zum Mitdenken und fordere zu konkreter Resonanz im Chat oder anonym auf einem Etherpad auf. Wer sich da beteiligt, lernt vermutlich mehr – das ist fein; wer nicht, auch fein. Es sind ja doch Veranstaltungen unter erwachsenen Menschen. Nicht zu vergessen: Für manche Menschen ist es eine höhere Herausforderung, camera-ready zu sein, das will ich Studierenden nicht ständig aufzwingen. Eine Schüchternheit zu überwinden, und in der Videokonferenz zu sprechen, ist sicher auch eine Hürde. Wer sich halbwegs wohl fühlt vor dem Bildschirm, lässt die Kamera auch mal an; man kann das auch spielerisch erproben oder aktiv mit steuern.

y-nachten.de: Aus der aktuellen Situation mussten und müssen wir alle das Beste machen. Inzwischen sind wir aber an einem Punkt, ab dem ‚quick fixes‘ reflektiert werden sollten und man längerfristige Lösungen findet. Was kann bei diesem Evaluationsprozess hilfreich sein/Was sind deine Empfehlungen?

Viera Pirker: Mein Wahlspruch im April habe ich dem Blog von Rebecca Barrett-Fox entnommen „Please do a bad job of putting your courses online” – das hat mich vor zu viel selbst auferlegtem Druck befreit. Keiner hat sich für ein Corona-Studium angemeldet. Im Blick aufs Wintersemester denke ich das natürlich anders. Ich sorge mich auch um die Situation der Studienanfänger*innen. Viel hängt vom konkreten Veranstaltungs-Mix ab. Mit asynchronen Phasen der Vermittlung und Vertiefung und synchronen Begegnungen, die für Austausch und Resonanz genutzt werden, bin ich persönlich hervorragend gefahren, das werde ich wohl fortsetzen. Ich möchte in einem Kurs meine Aufmerksamkeit für individuelle Lernprozesse intensivieren, und hier kontinuierlich entstehende Portfolios begleiten. In der Produktion von eigenen Medien werde ich darauf achten, dass Sequenzen auch weiterhin verwendet werden können. Empfehlung: Den Workload der Studierenden genau im Blick haben, aber auch den eigenen kritisch überwachen.

y-nachten.de: Die theologischen Fakultäten kämpfen vielerorts mit einem massiven Rückgang an Studierendenzahlen. Der Umstieg auf digitale Angebote wird daran wohl kaum etwas ändern, denn digital ist nicht gleich hip. Wir muss sich Theologie künftig aufstellen, um wieder attraktiver zu werden?

Viera Pirker: Der massive Rückgang der Studierendenzahlen betraf lange Zeit eher das Volltheologie-Studium. Im Lehramt sind nach wie vor viele Studierende, vielleicht mehr sogar als früher unterwegs. Daher täten die theologischen Fakultäten wohl gut daran, sich konsequent an aktuellen Fragen der religiösen Bildung zu orientieren und diese zu ihrer zentralen Agenda zu machen – von dort her auch das Theologiestudium denken. Die Lehramtsstandorte haben dies schon stärker integriert. Neue Studiengänge in interdisziplinärer Vernetzung könnten sich durchaus lohnen. Mit dem Bedeutungs- und Sprachverlust der Kirchen bei gleichzeitiger Individualisierung religiöser Selbstverständnisse wächst gesamtgesellschaftlich die Herausforderung religiöser Bildung, und zwar eklatant. Religion braucht vielleicht keine Theologie, aber umgekehrt. Dem sollten wir aber froh ins Auge blicken, auch öffentlich – und das ist heute eng mit ‚digitalen Räumen‘ verknüpft. Um hip geht’s mir wenig; aber Religion und Bekenntnis ist inzwischen schon der neue Punk.

y-nachten.de: Ein großer Schwerpunkt deiner Forschung liegt im Bereich von Religion und Digitalität. Abgesehen von der Fülle an Livestreams, die sich mit Covid-19 einstellten, hast Du den Eindruck, dass sich religiöse Akteur*innen im Netz heute anders präsentieren?

Viera Pirker: Absolut! Meine eigene Forschung bezieht sich auf religiöse Konstruktionen auf Instagram, dort ist der deutschsprachige christliche Raum in den vergangenen zwei Jahren regelrecht explodiert. Es gibt inzwischen viele Accounts, die aktive Bildungsarbeit, Begleitung, Inspiration aus christlicher Perspektive machen. Junge Frauen, die ein Andachtskollektiv gegründet haben, Ordensmenschen, die Insta-Livetalks zu aktuellen Bibeltexten streamen, Austauschgruppen für Bible-Lettering, politische Aktivist*innen, Pfarrerinnen mit Alltagsproblemen, #wastheologiestudierendesomachen und erweckte T-Shirt-Produzent*innen. Natürlich gibt es auch die erhobene Monstranz und viele, viele Heilige. Menschen machen hier gelebten Glauben sichtbar, manchmal mag das auch gezeigter Glaube sein. Die Linien des Konfessionellen und des Konfessorischen werden hier neu gezogen. Mir gefällt diese „Bubble“ extrem gut, wenn sie auch keineswegs immer meine persönliche Spiritualität oder mein ästhetisches Empfinden anspricht.

y-nachten.de: Gibt es Projekte, die du empfehlen kannst, digitale bits and bytes, denen du selbst gerne folgst?

Viera Pirker: Ich beschränke mich jetzt auf religiöse Bildung und Social Media: Bei Instagram habe ich @blessedisshe__ beforscht, und halte ihren Zugang insgesamt für interessant und inspirierend. Diese sehr amerikanische Form explizit römisch-katholischer Spiritualität und Praxis ist natürlich gewöhnungsbedürftig und würde im deutschsprachigen Raum so wohl nicht entstehen können. Hier halte ich für sehr beachtenswert, was im Umfeld von Tobias Sauer – @ruach.jetzt – geschieht; er verknüpft das ökumenische @netzwerk.ruach.jetzt und steckt auch hinter dem Account @eswarnichtimmereinfach, in dem Heilige zu Wort kommen. Natürlich empfehle ich @franciscus, der schreibt seit 2016 Instagram-Geschichte. Und bei Twitter findet man mich im #relichat – eine dynamische, ökumenische Community von und für Menschen, die im Kontext religiöser Bildung aktiv sind und von dort her richtig viel bewegen.

y-nachten.de: Und zum Schluss: Twitter oder Instagram?

Viera Pirker: Twitter!

y-nachten.de: Gottesdienst in kohlenstofflicher Anwesenheit oder gestreamt?

Viera Pirker: Realpräsenz

y-nachten.de: Nutella mit Butter oder ohne?

Viera Pirker: Mit natürlich!

y-nachten.de: Zoom oder Teams?

Viera Pirker: Weil wir über „gute Lehre“ gesprochen haben: Teams

y-nachten.de: WhatsApp oder Datenschutz?

Viera Pirker: Tatsächlich … Telegram


Hashtag der Woche: #AufEinY

(Beitragsbild @Nordwood Themes)

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prof.in dr. viera pirker

ist Professorin für Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt und war davor Universitätsassistentin Post-Doc am Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik, Institut für Praktische Theologie der Universität Wien. Sie twittert mit Klarnamen.

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