Donald Trump posiert mit der Bibel in der Hand vor St. John’s in Washington, DC – auch dieses Bild ging vergangene Woche um die Welt. Andreas Weiß schreibt über den us-amerikanischen Präsidenten und seine religiösen Inszenierungen. 

Es war eine Mischung aus Bestürzung, Ungläubigkeit und Unverständnis, die sich quer über den Globus ausbreitete, als US-Präsident Donald Trump am vergangenen Pfingstmontag mit seiner Familienbibel in der Hand vor der St. John’s Episcopal Church in Washington, DC, posierte. Sein Fußweg vom Weißen Haus zu diesem symbolträchtigen Gotteshaus war mit Polizeigewalt ermöglicht worden, hunderte (zunächst friedliche) Demonstrant*innen waren mit Tränengas und Gummigeschoßen von den Straßen und Plätzen der US-amerikanischen Hauptstadt vertrieben worden. Die kurze Distanz zwischen den beiden Gebäuden, die Tourist*innen in Washington, DC, sonst in wenigen Minuten zurücklegen können, war an diesem Tag mit Gewalt gepflastert. Trump ließ ausführen, was er kurz zuvor in einer Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses angekündigt hat: Als politischer Repräsentant der Nation und Oberbefehlshaber der Militärkräfte würde er das letzte Wort haben – nichts und niemand könne und dürfe sich ihm in den Weg stellen. Am Ziel seines Ganges hielt der „Man in Charge“ seine Familienbibel in die Höhe, murmelte kurz, dass die Vereinigten Staaten „das großartigste Land der Welt seien“ und ließ ein paar Schnappschüsse von sich machen. Weder hat er die Bibel aufgeschlagen, daraus gelesen, noch hat er die traditionsträchtige Kirche betreten, in der die neu oder wieder gewählten US-Präsidenten vor ihrer Vereidigung beim Kapitol eine Andacht besuchen. Nach wenigen Momenten war der religionspolitische Spuk wieder vorbei – die Wirkung dieser medialen Theatralik jedoch dauert an.

Religiöse Symbole als Requisiten

Kein Zweifel: In dieser fragwürdigen Inszenierung zwischen dem Weißen Haus und der mehr als 200 Jahre alten Kirche waren sowohl die Bibel als auch das Gotteshaus nicht mehr als Requisiten. Die Heilige Schrift von Milliarden von Menschen sowie die Tafel mit dem Kirchennamen, vor der Trump sich positionierte, dienten ausschließlich als Kulissen für dieses politische Schauspielstück. Auch die Menschen, die mit brutaler Gewalt der Ordnungskräfte vertrieben wurden, waren im Grunde nicht mehr als Statist*innen. Sie wurden ihrer politisch aktiven Rolle als Demonstrant*innen beraubt und für ein religionspolitisches Medienstück als Nebendarsteller*innen zwangsrekrutiert.

Solche medial gespielten Momente sind in der US-Religionsgeschichte wie auch in der Gegenwart niemals spontan geschehen. Sie sind geplant und sollen eine unzweifelhafte Botschaft aussenden. Menschen brauchen in Krisenzeiten ihre Helden, Führungspersonen brauchen in Krisenzeiten eindringliche Bilder, um die Glaubwürdigkeit ihrer Autorität aufrecht zu erhalten. Trumps Gang zu St. John’s war – und das sollte man deutlich sagen – aber nicht mehr als eine religionspolitische Schmierenkomödie, mit der er jene Menschen ansprechen wollte, die immer noch an die US-amerikanische Logik der „Zivilreligion“ glauben, in der der Präsident Garant und Durchsetzer einer quasireligiösen Erwählung ist. Der Tragödie erster Teil, wenn man es genau nimmt.

Der Tragödie zweiter Teil

Am darauffolgenden Tag nämlich folgte die nächste religionspolitische Zurschaustellung Trumps: Gemeinsam mit der First Lady, seiner Frau Melania, besuchte der US-Präsident das katholische Zentrum „Saint John Paul’s II National Shrine“. Der im Norden der US-Metropole gelegene Gebets- und Gedenkkomplex, der im Jahr 2001 eröffnet wurde und seit 2011 von der Vereinigung „Knights of Columbus“ geführt wird, war damit nächster Schauplatz von Trumps religionspolitischer Strategieoffensive. Auch hier waren es besonders die medialen Inszenierungen und die eindrucksvollen Bilder vor der massiven Bronzestatue des 2005 verstorbenen Pontifex Johannes Pauls II., die im Zentrum von Trumps Interesse standen. Nach einer kurzen Kranzniederlegung, bei der der „erste Mann im Staat“ eine Karte vor dem Denkmal für Johannes Paul drapierte, und dem obligatorischen Foto war die Szenerie bereits wieder vorbei. Vor dem religiösen Zentrum gingen Proteste hunderter Menschen unbeirrt weiter: Sie beteten Rosenkränze, sangen „Black Lives Matter“ und knieten vor dem „National Shrine“, um ihrer Missbilligung des präsidialen Besuches Ausdruck zu verleihen.

Beide Auftritte Trumps, sowohl vor der St. John’s Episcopal Church als auch sein Besuch des katholischen „National Shrine“, ließen die Emotionen überkochen: Zahlreiche politische Vertreter*innen im In- und Ausland verurteilten die Inszenierungen als Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke oder gar als „Gotteslästerung“. So fiel die Kritik vonseiten der Bischöfin der Washingtoner Episkopalkirche, Mariann Budde, wie auch durch den Erzbischof von Washington, Wilton D. Gregory, mehr als deutlich aus. Die beiden waren nur zwei von zahlreichen Stimmen, die sich nach Trumps Besuchen der religiösen Stätten in der US-Hauptstadt empört zeigten. Die Bibel sei als „Botschaft der Liebe“ eine Relativierung dessen, was Trump vor der Episkopalkirche durch die Polizeikräfte veranstalten ließ, so Budde. Auch Gregory fand klare Worte, als er den Besuch des „National Shrine“ als Missbrauch wertete, der den Prinzipien des Glaubens sowie der Verteidigung der Rechte aller Menschen widerspräche.

Die Inszenierung der Zivilreligion

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Donald Trump in klassisch republikanischer Manier als religionspolitischer Anführer der USA inszenieren will. Wer seinen Wahlkampf im Jahr 2015 verfolgt hat, kennt bereits seine in blaues Leder eingebundene Familienbibel, die er immer wieder zur Schau stellte. Dieses Exemplar war es auch, das Trump bei seinem Amtseid am 20. Jänner 2016 vor dem Kapitol in Washington auf der symbolträchtigen Lincoln-Bibel platzierte, um sein Versprechen „So help me God!“ abzulegen – bezeichnenderweise berührte damals seine Hand nur die persönliche Bibelausgabe. Seine Bibel begleitete ihn schon bei manchen Wahlkampfauftritten, nun hat Trump sie wieder vor den Vorhang geholt. Es dürfte das finale Zeichen dafür sein, dass sich Donald Trump erneut im Wahlkampfmodus befindet.

Dennoch wirkt Trump angeschlagen: Die beiden Besuche religiöser Denkmäler in Washington, DC, erscheinen selbst für seine Verhältnisse plump. Sie haben nichts von der feinen Subtilität, als er die US-Botschaft von Tel-Aviv nach Jerusalem verlegt hatte (eine Wirkung, die von evangelikalen Christ*innen sehr wohl deutlich verstanden wurde), ebenso macht er bei den Auftritten einen einsamen und fast erschöpften Eindruck. Trump liebt für gewöhnlich das Bad in der Menge oder die bildhafte Unterstützung durch seine Berater*innen. Selbst mitten in der Covid-Krise, als der Infektionswert in den USA einen Höhepunkt erreichte, ließ Trump es sich nicht nehmen, bei seinen Pressekonferenzen seinen Beraterstab mitaufmarschieren zu lassen. Von dieser starken Gruppensymbolik war weder vor St. John’s noch im „National Shrine“ etwas zu spüren. Sein Gebrauch der Bibel als pure Fotokulisse kann ihm den ersehnten Hauch einer göttlich verliehenen Unantastbarkeit nicht verleihen – auch deshalb, weil Trump nicht in theologischen Kategorien denkt. In seinem Verständnis ist die Bibel zunächst etwas, das für politische Macht und Beständigkeit steht.

Damit befindet sich Trump in den Vereinigten Staaten jedoch in guter Gesellschaft: In der US-Geschichte hat die Bibel im öffentlichen Raum einen enormen Wandel durchgemacht. Sie ist eine multifunktionelle Größe im gesellschaftlichen Geschehen und in politischen Auftritten.1 Auf sie griffen Politiker*innen aller Richtungen auf, wenngleich der tatsächliche Bezug implizit-subtil, explizit als Schriftzitat oder rein symbolisch erfolgen kann. Das Verschmelzen von öffentlich-politischen Orten, den nationalen „Heiligtümern“ wie etwa dem Lincoln-Memorial in Washington mit religiösen und gesellschaftlichen Motiven (vgl. Martin Luther King Jr.) ist in der US-Geschichte so etwas wie ein Allgemeinplatz geworden.

Donald Trump hat religionspolitische Medienauftritte in den USA weder erfunden, noch hat er sie auf eben jene Spitze getrieben wie etwa George W. Bush, der behauptete, „Gott habe den Krieg gegen den Terror persönlich aufgetragen“2. Trumps religionspolitische Logik ist nicht mehr als ein kleines Zahnrädchen in einer jahrzehntelangen Affinität zwischen konservativ-politischer und religiöser Macht in den Vereinigten Staaten. Seine Inszenierungen reihen sich ein in zahlreiche Beispiele – der Zeitpunkt dieser religionspolitischen Darbietungen des US-Präsidenten ist ebenfalls nicht neu: In Krisenzeiten ist die mediale Aufmerksamkeit noch stärker als sonst auf den „Man in Charge“ gerichtet. Im Selbstverständnis vieler Gruppierungen, die in den USA immer noch „God’s Own Country“ mit einer besonderen Berufung vor der Welt sehen, wird die Rolle des Politikers im Weißen Haus weit über dessen gesellschaftspolitisches und wirtschaftliches Geschick transzendiert: In Krisenzeiten wird er gleichsam zu einem Propheten, der das Land wieder auf den rechten Weg seiner Erwählung zurückbringen soll.

Hat es sich ausgetrumpt?

Dennoch sind diese Wochen für Donald Trump eine Gratwanderung. In seinem täglich wachsenden Vielfrontenkrieg gehen dem umstrittenen Präsidenten die Verbündeten aus. Selbst mit den „sozialen Netzwerken“, seit Jahren sein wichtigstes Kommunikationsmittel, hat es sich der US-Präsident nunmehr verscherzt. Daneben liegt die US-Wirtschaft aufgrund der Covid-Krise am Boden, die zigtausenden Toten in den Vereinigten Staaten wachsen täglich an, ebenso ist die Arbeitslosenquote auf einem neuen Rekordhoch. Beinahe verständlich, dass sich Trump nach jedem noch so publicity-fördernden Strohhalm sehnt.

Ein Ziel hat Donald Trump mit seinen Auftritten im Krisenmodus jedoch geschafft: Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Die Aufmerksamkeit auf seine Person hat er sich angesichts der zahlreichen Schauplätze seines krisengebeutelten Präsidentschaftsjahres 2020 gesichert. Für seinen Kontrahenten Joe Biden aus dem Lager der Demokraten wird es schwer sein, eine eigene Botschaft zu platzieren. Trump kann als Krisenmanager diese Wahl gewinnen oder verlieren – Biden die Präsidentschaft aufgrund Trumps Versagen „erben“ oder am „Krisenbonus“ des Präsidenten zerschellen. Für den Demokraten wird es enorm schwer, aus diesem medialen Schatten Trumps herauszutreten – auch und besonders weil die aktuellen Krisen alle Gesellschaftsbereiche in den USA betreffen. Hier gibt es so gut wie kein gesellschaftspolitisches Themenfeld, das er noch frei „bespielen“ könnte. Zwar wird bis November noch viel Wasser den Mississippi hinunterfließen, aber Donald Trump hat, obwohl er krisengebeutelt wie noch nie ist, immer noch Trümpfe in der Hand. Die eigentlich ungeschickt gespielten „religiösen Asse im Ärmel“ hat er nun gezückt – man sollte sich aber hüten, einen Donald Trump vorschnell zu unterschätzen.

Hashtag der Woche: #TrumpMeltdown


1 Vgl. Jacques Berlinerblau. Thumpin‘ it: The Use and Abuse of the Bible in Today’s Presidential Politics. Westminster John Knox Press, 2008.

2 Siehe dazu: https://www.theguardian.com/world/2005/oct/07/iraq.usa (07.06.2019)

(Beitragsbild @Maret Hosemann)

dr. andreas g. weiß

ist Theologe und Religionswissenschaftler mit Forschungsaufenthalten in den USA und promovierte 2018 an der Universität Salzburg mit der Arbeit "Der politische Raum der Theologie" in den Fächern Fundamentaltheologie und Dogmatik. Der Referent im Katholischen Bildungswerk Salzburg ist Mitglied der »American Academy of Religion« (AAR). Zur Situation in den USA schreibt er regelmäßig in der österreichischen Zeitschrift »Die Furche« und als Gastautor der »Salzburger Nachrichten«.

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