Zur Halbzeit im österlichen Harren auf ein Pfingsten in wiedereröffneten Gotteshäusern blickt Thomas Sojer kritisch auf die althergebrachten Osterbotschaften und wagt eine neue Perspektive auf die Auferstehung.

Er war wieder da! Nicht als (noch) eine Hitlersatire, sondern als das dominante Framing von Auferstehung, bzw. wie wir zu Ostern aus unserer Klapp-Guck-Kinderbibel gelernt haben: „Gott hat Jesus wieder lebendig gemacht“. Auch in den heurigen Osterliturgien wurde, wenn auch aus dem Blickwinkel österlicher Kameraaugen, versucht, die Schwarzeneggerische Verheißung (Oststeirisch: I’ll be back) mit dem Nazarener wie jedes Jahr einzulösen, termingerecht und in der Mediathek sieben Tage lang abrufbar. Der Tod und sein nicht mehr auffindbarer Stachel sollten auch dieses Jahr nicht gesiegt haben, und endlich kamen selbst bei den Traditionsbewussten wieder wochentags das krosse Schnitzel und die saftige Blutwurst auf den Teller. Alles war wieder beim Alten. Nein. Irgendwie funktionierte es dieses Ostern nicht. Zwar wurde er auch heuer als sportlich geschnitztes Unterwäschemodel auf die Kommunionbank platziert (schnell rumgewickeltes Leintuch ist auch dieses Frühjahr wieder im Trend) oder mit deftigem Gloriabeschall als Pappfigur aus den staubigen Untiefen des Hochaltars emporgezogen. Doch irgendwie zog der Pfarrer anders, stockender, als die Landjugend das früher gemacht hatte. Vielleicht lag es am Zoom der Kamera. So gut waren die Wasserfalten im Pappmaschee noch nie sichtbar. In seiner strahlenverwundeten Rechten wehte wie immer die flotte Schweizerfahne. Aber, wohin richtete sich die prophetische Geste seiner Linken, die traditionell gen Festzelt gezeigt hat und die erste Bestellung beim Frühschoppen andeutete?

Als Ostergruß bekam ich heuer eine Fotografie von Alfred Stieglitz. Sie zeigt das Ready-made von Elsa von Freytag-Loringhoven, das als Duchamps Fountain bekannt wurde. Als unpassend empfunden und schnell entsorgt, schaffte Stieglitz, das auf den Kopf gestellte Urinal kurz vor seiner Vernichtung fotografisch festzuhalten. Die Fotografie, die seitdem als Turiner Grabtuch zur permanenten Reproduktion seines Bildgebers dient, transformierte vor hundert Jahren den Kunstbegriff, weil dem verlorenen Original nicht die Feststellung des Verlustes folgte, sondern künstlerische Unruhe. In ähnlicher Weise sind christliche Performances gerade in der Fasten- und Osterzeit so herrlich, weil sie uns jährlich mit etwas verwöhnt haben, was biblische Textzeugnisse und Theologiegeschichte nicht befriedigen wagen: die getaktete Wiederherstellung des Vertrauten, ein open-end-Emmaus, bei dem Jesus bis zur letzten Runde bleibt und dann sogar noch zum Reparaturbier an die Tankstelle mitgeht.

Die biblischen Texte malen Heilsgeschichte demgegenüber als Verlustanzeige: Paradiesrauswurf, Sintflut, Exil, Tempelzerstörung und der fehlende Körper des Auferstanden. Michel de Certeau1 über die Schulter geschaut sehen wir ein entblößtes Christentum, das immer neu aufbrechen muss, weil es seinen Geliebten vermisst. Zwar überwindet es die beißende Melancholie, indem es sich mit raffinierten Ersatzkörpern immer und immer wieder selbst berührt, aber alle, denen beim aufzublasenden Gegenüber mit der Zeit die Luft ausgeht, wissen, dass man am Ende nur seine eigene Hand spürt. Ostern bleibt ironisch, nicht zuletzt, wenn wir bedenken, wie leichtfertig das ‚leere‘ Grab positivistisch zur Beweisbarkeit für Leben bemüßigt wird. Regisseur*innen des gestreamten Glaubens fanden in den letzten Wochen paradoxer Weise gerade mit biblischen Gestaltungen von Auferstehung ihren Stein der Weisen, in denen Abwesenheit in all ihren Facetten manipuliert wird: Geschichten der Transmutation, der Tote wird zum polymorphen Erscheinungskünstler, der gern Fisch isst. Damals wie heute kann und will das Christentum ihren Ersten unter den Verlorenen nicht einer Faktizität von Verlust preisgeben und versammelt sich im Versuchslabor des Imaginären bzw. mit den neuen technischen Möglichkeiten im Virtuellen. Das Experiment scheiterte jedoch. Mit Magdalena, den Emmausjüngern und Thomas musste die digitale Mahlgemeinschaft im Angesicht des in die Kamera kauenden Pfarrers leeren Magens verdauen, dass ihr göttlicher Herzensbrecher gar nicht berührt oder gehalten werden will.

Dies war die Nacht, in der uns YouTube-Autoplay als Surplus zur krachenden Halleluja-Beschallung aus festorgelgepeinigten Lautsprechern Slavoj Žižek ins Wohnzimmer stellte und mit rauer Wüstenlandschaft Golgotastimmung aufkommen ließ. Eine emphatische langue lacanienne erklärte uns dann kurz vor Mitternacht ein Christentum, das viel atheistischer ist als gewöhnliche Atheismen, die behaupten, dass es keinen Gott gibt und dennoch fromm am Glauben an den ‚großen Anderen‘ festhalten. Dies war die Nacht, in der uns Žižek von unten herauf anrief und wir in der Perspektive von Scorseses Gekreuzigten nicht mehr die messianische Spielfigur im göttlichen Monopoly waren, deren verwaschene Blutwährung die himmlischen Banken pro multis befriedigt. Stattdessen entlarvte der gekreuzigte Blick, dass der ‚große Andere‘, der Referenzpunkt, der Sinn garantiert, nicht existiert. Dies war die selige Nacht, in der ein Gottverlassener seinen Tod selbst als Frohbotschaft setzte. Gott gibt nicht mehr, was er hat, Gott gibt nur mehr, was er ist. Uns, seinen Hinterlassenen, bleibt das Grab als Leerstelle und alternativlose Einladung, aufzubrechen und performativ die materielle Wirklichkeit Gottes zu bilden, kurzum, ein unfreiwilliges Improtheater mit offenem soteriologischem Ausgang.

In dieser hochheiligen Nacht blieb das Grab unbenützt, weil es einfach nicht mehr als die verwackelte Photographie des triumphalen Showdowns herhalten wollte. Drei Wochen später: Vierter Ostersonntag, im Radio singt Westernhagen: Die Freiheit ist die einzige, die fehlt. Am Frühstückstisch wird erfolglos versucht, den aktuellen Freiheitsbeschränkungen historische Vergleichsmomente an die Seite zu stellen. Ist bald alles wieder beim Alten? Wenn Freiheit eine Form von Bezogenheit ist, dann könnten wir das leere Grab doch als Frage nach unserem Wirklichkeitsbezug lesen: wie frei bzw. unfrei wir von so etwas wie ‚Wirklichkeit‘ sind? Die Krise erlaubt kein feststellbares Ziel, nur projizierte Kausalitäten. Wo ist hier meine Freiheit? Die verlorene Eindeutigkeit ‚großer Anderer‘ bläst mir mein Freiheitsvermögen als eiskalten Gegenwind ins Gesicht. Niemand lenkt, aber jede*r muss reagieren.

Es liegt wahrscheinlich in der Natur eigener Transformationsprozesse, dass man sich zeitweise als sich selbst entzogen erlebt und vertraute Welten zu Zerrbildern der Vergangenheit werden. Gerade dann geht den liebgewordenen Liturgien des Endlich-wieder-alles-beim-Alten die Fähigkeit verloren, in Zeiten innerer Unruhe und isolierender Lebensräume auf allzu glatten Touchscreenoberflächen begreifbar zu sein. Die Gefahr melancholischer Zuspitzung ist dann besonders groß. Ein Denken, das irgendwann nur mehr den Exzess sieht, und beispielsweise mit Giorgio Agamben fordert, dass sich Papst Franziskus mit Corona infizieren müsste, um die Unabhängigkeit des Glaubens gegenüber der wissenschaftshörigen Welt wiederherzustellen. Dieses Denken, das Agamben oder der Tübinger Oberbürgermeister gerade an den Tag legen, vergisst aber, dass sakrifizielle Logik das schon längst Verlorene in pervertierten Wiederholungen nur mehr parodiert, während ‚echte‘ Transformation einer Freiheit bedarf, die weder im Exzess mündet noch ins Formell-Abstrakte ausweicht. Es ist dies eine Freiheit, die ambivalent-paradox bleibt und ermöglicht, inmitten der gegebenen Unterworfenheits- bzw. Beschränkungsverhältnisse der österlichen Dynamik des Aufbruchs Ausdruck zu geben.2

Hashtag der Woche: #illbeback


1 Michel de Certeau, La fable mystique. XVIe−XVIIe siècle, Bd. 1, Paris: Gallimard, 108.

2 cf. Perfomances als formae theologiae gedacht bei Christian Kern (KU Leuven)

Beitragsbild: Erol Ahmed on Unsplash

thomas sojer

forscht als Fellow am Titus Brandsma Instituut der Radbaud Universiteit Nijmegen und promoviert im gemeinsamen Kolleg des Max Weber Kollegs in Erfurt und der Uni Graz in Katholischer Theologie über Kreuzestheologien bei Simone Weil.

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