Mit Ernesto Cardenal verstarb eine starke Stimme der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Theresa Lennartz erinnert an sein Leben und wie drängend aktuell sein beispielhafter Einsatz für Menschenrechte bleibt.

„Du sprichst in dein Handy
und redest und redest
und lachst in dein Handy und weißt nicht, wie es gemacht wurde,
und weniger noch, wie es funktioniert
aber was macht das schon
schlimm ist, dass du nicht weißt
wie auch ich nicht wusste
dass im Kongo viele sterben
Tausende und Abertausende
sterben im Kongo
wegen dieses Handys.“

Als der damals 92-jährige Ernesto Cardenal im März 2017 mit kraftvoller Inbrunst seine Gedichte wie das oben zitierte Das Handy in Freiburg vortrug, war beim Zuhören nicht viel von seinem fortgeschrittenen Alter zu spüren. Nun ist der nicaraguanische Priester, Poet und Revolutionär vergangenen Sonntag im Alter von 95 Jahren gestorben.

Die Revolution in Nicaragua

Was uns neben seinem umfassenden poetischen Werk bleibt, ist die Erinnerung an einen Befreiungstheologen, der mit der nach Gerechtigkeit strebenden Radikalität des Evangeliums ernst gemacht hat: Für ihn war es selbstverständlich gleichzeitig Sandinist, Christ und Marxist zu sein. Nach der gescheiterten Revolution gegen den Diktator Somoza García im April 1954, aus der er um Haaresbreite mit dem Leben davonkam, ging er ins Exil in die USA, wo er in Kentucky einem Trappistenkloster beitrat. Zurück in Nicaragua wurde er 1965 zum Priester geweiht und gründete eine Kommune, deren Manifest, das Evangelium der Bauern von Solentiname, 1975 weltweite Bekanntheit erlangte. Ab 1979 unterstützte er die sandinistische Befreiungsbewegung FSLN und fungierte nach dem Umsturz des Diktators bis 1987 als Kulturminister von Nicaragua.

Suspendiert als Priester, verstoßen als Politiker

Für römische Verhältnisse nahm Cardenal es durch seine politisch-revolutionären Tätigkeiten wohl etwas zu ernst mit dem Evangelium. Deswegen wurde er vom damaligen Papst, Johannes Paul II., öffentlich gerügt und 1985 schließlich Opfer eines großen päpstlichen Ausschlussverfahrens der Befreiungstheologie, in Rahmen dessen er (wie u.a. auch Leonardo Boff) vom Priesteramt suspendiert wurde.

Nach der Auflösung des Kultusministeriums und seinem Bruch mit dem sandinistischen Revolutionsführer Daniel Ortega 1994, widmete sich Cardenal wieder verstärkt der Poesie, ohne dabei jedoch an politischer Sprengkraft zu verlieren. Unter anderem mit seinen in den neunziger Jahren verfassten Gesängen des Universums tourte er vor allem Europa, nachdem er als Priester von seiner Kirche und als Politiker von seinem Land verstoßen worden war.

Bleibende Aktualität: Politischer Einsatz für Menschenrechte

Hoffentlich bleibt Cardenals Beispiel einer radikalen Umsetzung des Evangeliums nicht nur eine schöne Erinnerung, sondern wird zum Aufruf, es ihm gleich zu tun. Glaube und Religion sind nicht von politischem Engagement zu trennen und letzteres ist zur Zeit (neben allen innerkirchlichen Kämpfen um Gerechtigkeit, die es auszufechten gilt) mehr denn je gefragt: Rechtes, menschenfeindliches Gedankengut und rassistische Gewalt werden zunehmend salonfähig und an den europäischen Außengrenzen werden Geflüchteten derzeit jegliche Menschenrechte verwehrt. Gerade Christ*innen sollten sich noch viel deutlicher als bislang von diesen Tendenzen abgrenzen und Stellung beziehen. So wie es zeitlebens Cardenal in Nicaragua tat. Das Handy, was sich übrigens wie seine anderen Gedichte auch vollständig zu lesen lohnt, endet mit den folgenden Versen:

„Die Bibel setzt sie gleich
Gerechtigkeit und Wahrheit
und die Liebe und die Wahrheit
so wichtig also, diese Wahrheit
die uns frei machen wird
auch die Wahrheit über das Coltan
Coltan in deinem Handy
in das du sprichst und sprichst
und in dein Handy lachst.“

 

Hashtag der Woche: #marxundchristus


(Beitragsbild: Eva Bendaña – cc-by-nc-nd)

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theresa lennartz

studiert nach einem Freiwilligendienst in La Paz/Bolivien und dem Freiburger Orientierungsjahr katholische Theologie und Wirtschaftswissenschaften in Freiburg im Breisgau.

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