Seit ziemlich genau drei Jahren treffen sich Studierende der Universität Wien einmal im Monat zum Café Abraham. Anna Davogg schreibt über ihre Erfahrungen im interreligiösen Dialog.

Das Café Abraham ist eine trialogische Gesprächsrunde zwischen jüdischen, christlichen und muslimischen Studierenden (vorwiegend theologischer Studien) und hat zum Ziel, sich über die Grenzen der eigenen Religion hinweg über Glaubensinhalte auszutauschen. Was kann eine solche Initiative bieten?

Im theologischen Studium selbst wird sehr wenig und wenn, dann mit einem religionswissenschaftlichen Zugang, über andere Religionen gelehrt. Man erhält schnell die Auffassung, dass über andere Religionen ein bisschen etwas gelehrt wird,  „weil es halt dazugehört“, aber wir uns nicht tiefgehender mit anderen Glaubenstraditionen beschäftigen müssen. Dies dürfte auch erklären, weshalb Lehramtstudierende des Unterrichtsfaches Katholische Religion die Vorlesung zur Einführung in das Judentum nicht verpflichtend besuchen müssen. In einer religiös pluralen Gesellschaft ist jedoch ein Dialog der Glaubenstraditionen unabdingbar. Da dies im Alltag oder im regulären Theologiestudium selten geschieht, sollen dafür durch Initiativen wie Café Abraham Raum und Zeit geschaffen werden.

Die Grundlage: Gemeinsam Texte aus den Heiligen Schriften lesen

Was geschieht nun bei einem Treffen des Café Abraham Wien1? Bei einem klassischen Treffen stehen das Lesen aus Tanach, Neuem Testament und Qur’an zu einem bestimmten Thema und die daraus entstehenden Diskussionen im Mittelpunkt. Bisher behandelten wir Passagen aus den drei heiligen Schriften zu Themen wie Selbstfindung, Verantwortung oder Bewahrung der Schöpfung, um eine Auswahl zu nennen. Beim Lesen und für die Einleitung in die Diskussion der Texte bedienen wir uns der Methode des Scriptural Reasoning2. Die ungefähr fünf Verse aus Tanach, Neuem Testament und Qur’an werden zuerst, falls möglich, in der jeweiligen Originalsprache und anschließend in deutscher Übersetzung laut vorgelesen. Es folgt eine kurze Kontextualisierung der Passage in der jeweiligen heiligen Schrift und nach einer Pause zur kurzen persönlichen Reflexion der Stelle ein Austausch über Wörter oder Phrasen, an denen man ‚hängengeblieben‘ ist. Die Methode erinnert an das in verschiedenen christlichen Spiritualitäten verbreitete Bibelteilen – nur interreligiös.

Es ist erstaunlich, wie viel Diskussionsstoff ein einziges Wort bieten kann, weshalb schon häufig Texte einer Glaubenstradition aus zeitlichen Gründen unbesprochen blieben. Die Methode ermöglicht eine Begegnung auf Augenhöhe, ein persönliches Auseinandersetzen mit Texten, welches dabei hilft, sich im Austausch eigene Zugänge zu den Textpassagen zu schaffen – sowohl bei den Texten der anderen Glaubenstraditionen, als auch bei denen der eigenen Tradition.

„Durch die Begegnung mit dem Fremden das eigene besser verstehen“

Im Glaubensdialog/-trialog mit Vertreter*innen der anderen Religionen kommen oft Fragen über die eigene Religion auf. Das stellt die Teilnehmer*innen vor die Herausforderung, den eigenen Glauben erklären zu müssen, wodurch viele Inhalte hinterfragenswert und in einem neuen Licht erscheinen. Und die Herausforderung, den eigenen Glauben zu erklären, stellt sich bei jedem Treffen des Café Abraham.

Nach den formellen Textbesprechungen im Scriptural Reasoning folgen informelle Gespräche beim gemeinsamen Essen, das im Idealfall koscher und halal ist.  Hier kommt man über die Dinge ins Gespräch, die man „so über den*die andere*n hört“ oder „schon immer wissen wollte“. Aber auch ein Austausch über persönliche Gebetsformen oder Gottesdienstpraktiken sowie über Studieninhalte  führte abends oft schon so weit, dass manche ihren letzten Zug nach Hause nicht mehr erreichten. Häufig stehen auch Erfahrungen im Umgang mit der religiösen Pluralität einer Großstadt im Zentrum dieser Gespräche: Positive wie negative Erfahrungen, die man als religiöser Mensch gemacht hat und die uns gegenseitig die Augen öffnen für Probleme, die man selbst oft nicht wahrnimmt, weil man sie als Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft nicht am eigenen Leib erfährt.

Café Abraham lehrt jede*n schnell, dass die eigene Sicht auf die Welt und alles, was darüber hinausgeht, nur eine Weise ist, die Dinge zu sehen. Die Frage danach, wer nun recht habe, stellt sich so nicht. Wir begreifen, dass wir, wenn wir zu dritt aufeinandertreffen, nicht miteinander ins Gespräch kämen, wenn wir annehmen, dass die eigene Sicht der Dinge die einzig wahre sei. Sind wir von dieser Annahme zurückgewichen und haben wir akzeptiert, dass auch Andersgläubige von der Wahrheit sprechen können (vgl. z.B. Nostra Aetate), können wir uns gegenseitig Anstöße für die eigene Glaubensreflexion geben.

„Miteinander und voneinander über Gott lernen“

Viele Elemente des eigenen Glaubens werden erst im Austausch mit anderen Glaubenstraditionen deutlich, wobei sicherlich auch die Nähe der drei abrahamitischen Religionen eine Rolle spielt. So finde ich es persönlich sehr spannend und bereichernd, anhand rabbinischer Textauslegung die hebräische Bibel zu lesen. Dabei eröffnen sich Welten im Textverständnis, was mir als Christin wiederum bewusst macht, wie viel wir z.B. von Jüd*innen über unseren eigenen Glauben lernen können.

Diese Art des Theologietreibens, die komparative Theologie, nimmt die Gegenwart in ihrer religiösen Vielfalt wahr. Den einzelnen Theologien wird dabei mit ihren jeweiligen Wahrheitsansprüchen begegnet – diese werden nicht relativiert -, es wird jedoch gemeinsam nach Gott gesucht. So schreibt von Stosch:

Als Quelle ihrer Wahrheitssuche beschränkt sie sich nicht auf eine bestimmte religiöse Tradition, sondern weitet den Blick auf unterschiedliche Dimensionen und Aspekte der Geheimnisse des Lebens und der letzten Wirklichkeit.3

Zentral dabei ist die Praxis des Dialogs. Die interreligiöse Begegnung kann diese Suche erst ermöglichen, der Glaube des anderen wird benötigt. Sich anderen Glaubensweisen auszusetzen erfordert jedoch auch Mut, da eigene Vorstellungen angefragt werden können und man gewissermaßen in Erklärungsnot geraten kann. Das Ergebnis des Wachsens in der eigenen Glaubenstradition und der Kenntnis der anderen Traditionen ist es aber wert.

Die Atmosphäre bei unseren Treffen war bisher sehr angenehm und persönlich, wodurch eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht wurde, die für die genannten Prozesse ausschlaggebend ist. Nicht zuletzt entstanden so interreligiöse Freundschaften. Abschließend möchte ich die Möglichkeiten, die durch Initiativen wie Café Abraham entstehen, noch einmal festhalten:

Gesellschaftlich betrachtet führt ein Dialog der Religionen und damit einhergehend auch der Kulturen zu einem Abbau von Vorurteilen und zu einem bewussteren, friedvolleren Miteinander. Die Religionen erfahren durch den gemeinsamen Dialog eine Bejahung und Sichtbarmachung in der Gesellschaft. Theologisch gesehen eröffnet sich uns durch den Dialog der Theologien ein zu wenig beachteter Zugang zur eigenen Tradition, welcher nur durch die Begegnung mit der fremden Theologie möglich ist.

Hashtag der Woche: #cafeabraham


(Beitragsbild @Sean Benesh)

1 Café Abraham wurde 2014 in Erlangen in Deutschland zur Förderung des interreligiösen Dialogs zwischen den drei abrahamitischen Religionen gegründet; mittlerweile gibt es über zehn Standorte des Projekts in Deutschland und in Österreich, u.a. in Wien und in Wiener Neustadt.

2 Ursprünglich in den USA für den Dialog zwischen Studierenden moderner jüdischer Philosophie und rabbinischer Texte unter „Textual Reasoning“ verwendet, etablierte sich Scriptural Reasoning in Großbritannien als Methode für die Trialog zwischen Jüd*innen, Christ*innen und Muslim*innen. (http://www.scripturalreasoning.org/)

3 Von Stosch, Klaus: Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. Bd. 6., Paderborn [u.a.]: Ferdinand Schöningh 2012, S. 148.

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anna davogg

hat das Bachelorstudium Vergleichende Literaturwissenschaft absolviert und studiert zur Zeit den Bachelor Lehramt für die Unterrichtsfächer Französisch und Katholische Religion. Seit einem Jahr koordiniert sie die Studierendengruppe "Café Abraham Wien".

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