Von Macht und Ohnmacht, Prophetie und warum insbesondere die Strukturen der Orden für kirchliche Reformen zur Rate gezogen werden sollten – Fr. Simon Hacker OP schreibt über seine Eindrücke der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs.
Die Teilnehmenden – ein gesunder Querschnitt?
Mit Blick auf die Teilnehmer_innenliste wird schnell klar: Die Verantwortlichen haben hier den Versuch unternommen, die gesamte Kirche in Deutschland abzubilden: Bischöfe, Nicht-Kleriker_innen, die verschiedenen Dienste und Berufsstände, Ordensleute, Neue Geistliche Bewegungen, „die Jugend“… – alle sind sie da. Das stimmt hoffnungsvoll, sollen doch diesmal alle miteinander reden können. Es scheint auf den ersten Blick wie ein Querschnitt durch die Kirche. Beim zweiten Blick wird aber klar, dass die Verhältnisse natürlich nicht stimmen: Von den Anwesenden sind 158 männlich, 68 weiblich, 1 divers; 108 sind Kleriker, 119 sind es nicht; von den 69 deutschen Bischöfen sind 100% Teil der Synodalversammlung, wohingegen die vier Pastoralreferent_innen weniger als 0,2% ihrer Berufsgruppe ausmachen.
Die Differenz aus Leidenschaft und Leiden
In den Zeugnissen im Dom, in den Statements in der Synodalaula: Überall wird eine große Leidenschaft für den Glauben, für die Kirche Christi spürbar. Ebenso stark wird deutlich, wie groß das Leiden am Status quo der Kirche ist. Viele Menschen können einfach nicht mehr. Abertausende sind im Begriff, die Kirche zu verlassen, weil sie ihnen Leben und Glauben unmöglich zu machen scheint. Mir und vielen anderen wird wieder mit voller Wucht vor Augen geführt: Es kann nicht weitergehen wie bisher. Es geht einfach nicht mehr. Kirche kann in ihrer derzeitigen Verfassung ihre Aufgabe nicht erfüllen.
Die Differenz aus Leidenschaft und Leiden liegt im „Schaffen“: Die freiwerdende Energie ist an Entschlossenheit und Mut wider die Ängstlichkeit gleichermaßen beeindruckend und kaum auszuhalten. Die Spannung ist regelrecht spürbar. Auf dem ganzen Weg und auf den einzelnen Synodalen liegt ein enormer Druck: Wir dürfen nicht scheitern.
Macht und Ohnmacht
Der Synodale Weg ist als Initiative von Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (sic!) entstanden und wird maßgeblich von beiden Institutionen getragen. Mit der Satzung des Synodalen Weges haben beide Trägerinnen die Rahmenbedingungen in zähen Verhandlungen abgesteckt. Dass diese Satzung zumindest im Moment nicht angetastet werden soll, hat gute Gründe, wie ZdK-Präsident Sternberg und DBK-Vorsitzender Marx überdeutlich machten. Es offenbart aber auch ein Machtgefälle: Die Synodalversammlung möge sich im vorab abgesteckten Rahmen bewegen. Ob Raum bleibt, damit sich aus der Versammlung heraus ein Mehr entwickeln kann, bleibt abzuwarten.
Ebenso offenbaren mangelnde Transparenz im Vorfeld,1 Verfahrensgrundsätze bei den Diskussionen und eine teilweise völlig überforderte Moderation die eklatante Debattenunkultur in der Kirche. Müsste das so sein? Sicher nicht. Die Jugendverbände machen es hier deutlich besser und auch von den Orden mit ihren über Jahrhunderte eingespielten Prozeduren der Partizipation könnte sich die Synodalleitung einiges abschauen. Denn Fakt ist: Auch die Art und Weise, wie diskutiert wird, ist ein Machtgefüge, das des Diskurses und der Rezeption bedarf und zu Gelingen und Scheitern beitragen kann. Der Auftakt der Synodalversammlung war in diesem Sinne regelrecht besorgniserregend. Es ist viel Luft nach oben!
Wer hat das Sagen?
Bei all der Kritik will ich doch einer Kölner Einzelmeinung widersprechen, nicht alle schriftlich eingereichten Redeanträge wären genügend gewürdigt worden. Ich, fr. Simon Hacker OP, bin ein Nobody (und bin damit auch ganz zufrieden). Ich habe mich drei Mal zu Wort gemeldet, drei Mal durfte ich sprechen. Wer meint, es hätten nicht alle Gehör gefunden, muss mir bitte nochmal erklären, wie genau dieser Eindruck entstanden ist…
Auffällig ist, wer das Wort ergriffen hat. Zuerst natürlich ein Bischof mit schriftlich vorbereitetem Statement (#typisch #voderholzer), dann aber im Verlauf der Versammlung immer wieder jene, die sonst kaum zu Wort kommen in der katholischen Kirche, die sonst nicht sprechen (dürfen): die Frauen, die Ordensschwestern, die in ihrer sexuellen Identität und/oder Orientierung Marginalisierten, die Jungen. Es ist gut, dass diese Menschen(-gruppen) auch innerhalb der Kirche endlich etwas mehr gehört werden. Es bereichert den Diskurs, es verbreitert die Debatte – fast schon, als würden wir innerhalb der Kirche nicht ständig hermetische Sonderdiskurse führen, die außerhalb der Kirche nicht schon längst geführt und entschieden worden wären; fast so, als würden die Niedrigen und Erniedrigten endlich erhöht werden.
Und während in mir gerade das Magnificat nachklingt, kann ich mich nicht gegen die utopische Hoffnung wehren: In der ringenden Synodalversammlung ist für mich ein Stück der Kirche aufgeschienen, die ich von Christus gewollt glaube: eine Kirche, in der alle Platz haben, eine Kirche, die geschwisterlich auf Augenhöhe miteinander steht und zur prophetischen Stimme für die Welt werden könnte.
Ordentliche Prophetie
Apropos „prophetisch“: Eine der klarsten Stimmen der ersten Versammlung war die von Sr. Philippa Rath OSB. Mit eindrücklichen Worten beschrieb sie die Angst, die weite Teile der Kirche erfasst hat. Der Applaus, der ihren Wortmeldungen entgegenkam, zeigt, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Sie ist zu einer regelrecht prophetischen Stimme geworden, zu einem Menschen also, der_die kritisch die Wahrheit benennt. Liegt da etwa ungeahntes Potential bei den Orden? Potential, das genutzt werden könnte bei einer Reform der Kirche?
Bei einer Vorbesprechung sagte Sr. Franziska Dieterle, Franziskusschwester von Vierzehnheiligen: „Die Orden waren immer die Reißzwecke auf dem Stuhl. Es wird Zeit, dass die Kirche es mal wieder merkt, wenn sie sich zu bequem hinsetzt.“ Ich kann ihr nur beipflichten: Zu Fragen nach Macht, nach Frauen in Ämtern, zum priesterlichen Leben, selbst zum Thema Sexualität – zu all dem haben wir Orden in unserer Diversität, in unseren Traditionen und eben vor allem auch in unserer Andersheit gegenüber der „Normal-Kirche“ kritisches, ja prophetisches Potential. Wir sind die „Anders-Kirche“, die so manche Selbstverständlichkeiten der Gesamtkirche in Frage stellen kann. Demokratische Partizipation? Haben wir. Frauen in höchsten Leitungsämtern? Haben wir. Kontrolle der Oberen durch gewählte Gremien? Haben wir. Leitung auf Zeit? Haben wir. – Und das alles sogar kirchlich approbiert. Es ist an der Zeit, dass die „Normal-Kirche“ endlich von der „Anders-Kirche“ lernt.
Geistlich
Die Zyniker_innen und Frömmelnden werfen dem Synodalen Weg bisweilen vor, ein rein menschliches Machwerk zu sein. Stimmt nicht. Die Geistlichen Impulse, das regelmäßige Unterbrechen der Debatten durch gemeinsames Gebet, vor allem aber der innere Antrieb der Synodalen beweisen das Gegenteil. Es ist Geist, der in ihnen wirkt. Es ist Geist, der nicht loslässt und nicht zulässt, dass wir lockerlassen. Es ist Geist, der die Kirche auf dem Synodalen Weg vorantreibt. Davon bin ich felsenfest überzeugt.
Meine Hoffnung ist, dass dieser Geist um sich greift. In der Synodalversammlung und darüber hinaus. Geist, der alle zusammenruft, der Schaffenskraft schenkt, der die Worte beflügelt und maßvoll leitet, der die Erniedrigten erhöht und Augenhöhe herstellt, der unsere Kirche verwandelt und ihre Glieder zu Prophet_innen macht für unsere Welt. Das ist meine Hoffnung. Darum gehe ich diesen Weg.
Hashtag: #SynodalerWeg
(Beitragsbild: @Ben Weber)
1 Sowohl die von den Synodalen vorab eingereichten GO-Änderungsanträge, als auch die vorbereiteten Teilnehmer_innenlisten der als Synodalforen bezeichneten Arbeitsgruppen, als auch die Kandidat_innen zum Nachrücken in dieselben wurden erst kurz vor den Abstimmungen bekanntgemacht. Eine gründliche Prüfung war so nicht möglich!
Wunderbar, Simon! Ich bin gespannt wie’s weitergeht : )