Der Synodale Weg offenbart die tiefe Spaltung der katholischen Kirche. Peter Hohler beschreibt, dass eine der großen aktuellen Herausforderung in der Kommunikation unterschiedlicher Positionen besteht.

Angestoßen durch die katastrophalen Ergebnisse der MHG-Studie1 zu Verbreitung und Ursachen des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche in Deutschland, hatten sich in Frankfurt über 200 Menschen getroffen, um über Machtverteilung, Sexualmoral, Frauen in den Ämtern und priesterliche Lebensformen zu diskutieren. Zwei Tage lang konnte ich große Teile davon im LiveStream verfolgen und parallel dazu die sozialen Medien beobachten (#SynodalerWeg). Eine spannende Erfahrung – teils unglaublich ermutigend, teils verstörend. Ermutigend, weil man solches2 im Angesicht – gar aus dem Mund – von katholischen Bischöfen noch vor ein paar Jahren nicht gehört hätte. Ein offener, zukunftsfroher, veränderungsbereiter Geist wehte da aus vielen Beiträgen heraus. Verstörend, weil eines wie der sprichwörtliche rosa Elefant im Raum steht, den keiner beim Namen nennen will: eine innere Spaltung der Kirche, die sich darin manifestiert, wie man sich schon gar nicht mehr verstehen kann.

Eine tiefe innere Spaltung innerhalb der römisch-katholischen Kirche

Das liegt nicht mehr bloß an sprachlichen Codes – wie etwa der Frage nach lateinischen Fachworten – oder an fehlendem theologischem Fachwissen. „Verstehen“ heißt hier nicht bloß: intellektuell nachvollziehen können. Nein, das „Missverstehen“, die Spaltung, geht viel tiefer. Sie zeigt sich auch nicht bloß in einer Schubladisierung zwischen „Linken“ und „Rechten“, „Konservativen“ und „Liberalen“, zwischen einem „Kardinal vorwärts“ und einem „Kardinal rückwärts“. Sie beginnt, wo jede*r von uns – auch ich als ferner Zuhörer – nicht mehr spüre, was die*den anderen bewegt. Ihre Bruchkanten werden der*dem sichtbar, die*der auf die Distinktionsmarker achtet: die offensichtlichen äußeren, wie etwa Kleidungs- und Sprechstil und die verborgeneren, inhaltlichen, die sich z.B. darin zeigen, welchen Modus der Wahrheitsbeanspruchung eine*r wählt. In der Milieu-Forschung spricht man da von einer „Ekelschranke“ und meint damit eine vorbewusste Distinktionsgrenze, also sozusagen eine automatische Unterscheidung anhand ästhetischer Gruppenmerkmale. Keine*r von uns kommt intuitiv über diese „Ekelschranke“ hinüber. Aber sie manifestiert sich auch in der Argumentationslogik, also darin, was einer – ganz intuitiv, noch vor dem ersten bewussten Nach-Denken – für „richtig“, „vernünftig“ und „logisch“ hält.3

Ontologisch vs. kommunikationslogisch

Die eine Seite (im Milieudiskurs „prämodern“ genannt) geht dabei ontologisch vor und setzt auf die geschichtlich bewährten Argumentationsweisen der Theologie. Wesensmäßige Bestimmungen, quasi platonisch-absolute Ideen, bilden die Basis aller Plausibilität. Die sind ewig und verlässlich. Das gibt besonders den Dogmen und dem Glaubenswissen von ähnlichem Status ein ungeheures Gewicht. Das klingt dann z.B. so:

„In der Transparenz der geschöpflichen Geschlechterpolarität gründen die Sakramentalität der Ehe und auch die konkrete Gestalt des Priestertums als Befähigung, Christus als Bräutigam der Kirche darzustellen.“ 4

Die andere Seite (die „postmoderne“) denkt anders. Grundsätzlich. Nämlich kommunikationslogisch vom Handlungsbegriff her, also funktional bzw. pragmatisch. Was eine Sache in ihrem konkreten Kontext bedeutet, wie sie hier und jetzt Leben ermöglicht oder ihm schadet, das ist die Grundlage. Um Missverständnisse zu vermeiden: es geht da nicht um einen plumpen Egoismus der persönlichen Gewinnmaximierung oder ein gefühliges Wohlfühlchristentum: die Unruhe und das Mitleiden sind auch christliche Haltungen, die als Begründung gelten! Erfahrungsbezogen und kommunikationslogisch heißt immer von der Beziehungserfahrung her zu denken.5

Psychologisch betrachtet sind solche Argumentationsmuster mehr als äußerlich angeeignetes Verhalten. Sie markieren Gruppenzugehörigkeit und bestimmen dadurch unsere Identität. Zu wem ich gehöre – und wie die reden – sagt mir letztlich, wer ich bin. Ekelschranken umgrenzen Identität – und wer etwa andere Argumentationslogiken verwendet, bedroht (auf beiden Seiten unbewusst) Identität, greift das Subjekt an. Wenigstens unbewusst braucht es dann auch eine Abwehr. Nicht selten endet sie in der Abwertung der*des anderen.6 Wir Menschen sind da in Wirklichkeit recht einfach gestrickt: sobald wir uns irgendwie angegriffen fühlen, hören wir nicht mehr hin, sondern schalten auf Verteidigung: und schon gibt’s eine neue Runde beim Blame-Game.

Wir müssen lernen, einander zu verstehen

Unzählige Beispiele ließen sich nennen. Ein markantes will ich kurz zitieren. Wenn Mara Klein Sensibilität für die Opfer sexuellen Missbrauchs einfordert,7 und sie auf facebook dafür der emotionalen Erpressung beschuldigt wird, dann ist Kommunikation gescheitert – das Argument wird nicht gehört. Bischof Voderholzers Einlassungen, nicht mit „Betroffenheit“ zu argumentieren, verkürzt den Menschen auf eine rationale Logik-Maschine und versucht, Emotion und Motivation als Plausibilisierungsstrategien zu desavouieren.8 Die Frage, ob die Strategie, althergebrachte Argumente emotionslos zu dozieren dem barmherzigen Stil Jesu und seiner Jünger entspricht, stellt sich schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil her, das die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes mit vier Grundemotionen – Freude, Hoffnung, Trauer, Angst – eröffnet. Mit der Fortsetzung von Gaudium et Spes widerspreche ich dem Regensburger Bischof theologisch:

„Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ (GS 1)

Was ist das anderes als eine Aufforderung, sich betreffen zu lassen? Sicher: sich nicht überschwemmen lassen (Sympathie), vom Gefühl, wohl aber herzlich Mitfühlen (Empathie). Als „compassion“ wird dieser Stil pastoraltheologisch als „Grundbedingung der evangelisierenden (!) Pastoral“9 gesehen – und trifft so ein Grundanliegen des Synodalen Weges.

Der erste Schritt zu gegenseitigem Verständnis wird es also sein, das gegenseitige Nicht-Verstehen wieder in den Blick zu bekommen. Die meisten inhaltlichen Auseinandersetzungen des Synodalen Weges können nicht ohne Schaden gelöst werden, wenn nicht klar wird, warum jemand* diese oder jene Position vertritt. Den „rosa Elefanten“ – also, diese Spaltung im Denken – zu benennen, ist die Voraussetzung zu einem Diskurs, an dessen Ende es nicht bloß um Mehrheiten, sondern um eine echte Vertiefung geht. Erst, wenn ontologische und kommunikationslogische Argumente als solche erkannt, eingeordnet und diskutiert werden, kann auch die „Kraft des Argumentes“ wieder wirken, sodass ein echter Dialog entsteht. Vielleicht kann Kirche so sogar zum Ideengeber für einen gesellschaftlichen Diskurs werden, in dem die Überwindung von rassistischen, frauenfeindlichen, homophoben Diskursen gelingt, weil klar wird, dass diese heute nicht mehr essentialistisch geführt werden können.

Hashtag: #SynodalerWeg


(Beitragsbild @Raka Rachgo)

1 Vgl. Harald Dreßing, Hans Joachim Salize, Dieter Dölling, Dieter Hermann, Andreas Kruse, Eric Schmitt & Britta Bannenberg, Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf, [Rev: 31.01.2020].

2 Vgl. Deutschlandradio, Erzbischof Heße kritisiert Einstellung zur Homosexualität, https://www.deutschlandfunk.de/katholische-kirche-erzbischof-hesse-kritisiert-einstellung.1939.de.html?drn:news_id=1096863, [Rev: 02.02.2020].

3 Vgl. Heinzpeter Hempelmann, Das Kriterium der Milieusensibilität in Prozessen postmoderner Glaubenskommunikation. Religionsphilosophische, ekklesiologische und institutionelle Gesichtspunkte, in: Matthias Sellmann (Hrsg.), Milieusensible Pastoral. Praxiserfahrungen aus kirchlichen Organisationen, Würzburg 2013, 13–52, 28–32.

4 Voderholzer, Rudolf, Statement während des Synodalen Weges, dokumentiert auf http://www.kath.net/news/70541, Synodaler Weg, [31.1.2020].

5 Vgl. Carl R. Rogers, Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten (Konzepte der Humanwissenschaften), 21. Auflage, Stuttgart, 2018, 194.

6 Vgl. Thomas Kessler & Immo Fritsche, Sozialpsychologie (Basiswissen Psychologie), Wiesbaden, 2018, 71–89.

7 https://www.domradio.de/video/synodaler-weg-mara-klein-bistum-magdeburg; den Hass der anderen Seite verstärke ich hier nicht durch Zitation!

8 „Ich hoffe und wünsche mir, dass wir nicht mit Betroffenheit, sondern mit solchen Argumenten auf tragfähigem Grund zu überzeugen versuchen.“, Voderholzer, a.a.O.

9 Katharina Karl, „Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in unseren Herzen seinen Widerhall fände“. Konturen einer Pastoraltheologie der Compassio, Bd. 66 (2015), 119.

 

Print Friendly, PDF & Email

peter hohler

ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Nach Studien in Tübingen, Jerusalem und Rom arbeitet er derzeit als Bischofssekretär und schreibt seine Dissertation in Pastoralpsychologie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: