Juliane Eckstein ist als Vertreterin des theologischen Mittelbaus beim Synodalen Weg und berichtet von ihren Eindrücken der ersten Vollversammlung.

Noch immer lasse ich die vergangene Vollversammlung Revue passieren und lese dazu Beiträge in Presse und Social Media. Dabei stelle ich fest, dass ich mit professionellen Journalist*innen, Blogger*innen, Twitterer*innen usw. nicht mithalten kann. Daher werde ich mich in meinen Berichten darauf verlegen, die Perspektiven und Inhalte stark zu machen, die in den meisten bereits veröffentlichten Statements zu kurz kommen.

Biblische Grundlagen

Dazu gehört die thematische Einführung vom Samstag, die Thomas Söding hielt.1 Aus der Apostelgeschichte heraus entwickelte er drei Modelle, denen der Synodale Weg folgen könnte. Das erste befinde sich in Apg 19,32, wo es heißt:

„Dort schrien die einen dies, die andern das; denn in der Versammlung herrschte ein großes Durcheinander (…).“

Gemeint ist eine Volksversammlung im Theater von Ephesus, die als Gegenbild zu den ersten christlichen Versammlungen dient. Allerdings: An diesem Synoden-Samstag gab es Momente, die stark an die Ephesus-Szene erinnerten. Aber dazu später mehr.

Das zweite Model sei in Apg 15,28 enthalten, wo die Beschlüsse des „Jerusalemer Apostelkonzils“ folgendermaßen eingeleitet werden:

„Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen …“.

Thomas Söding betonte gleich, der Synodale Weg täte gut daran, seine Beschlüsse nicht auf dieselbe Art einzuleiten und nicht zu überhöhen. Diese Mahnung verhallte nicht ungehört. In der Versammlung in Frankfurt erklärte niemand, den Heiligen Geist für sich gepachtet zu haben, auch wenn er in zahlreichen Wortmeldungen beschworen wurde.

Als drittes Modell stellte Söding wiederum eine ganz andere Bibelstelle vor Augen, nämlich Apg 16,9–10. Paulus sieht in einer Vision einen Mazedonier, der ihn auffordert, nach Mazedonien zu kommen und seinen Leuten zu helfen. Dieser Aufforderung folgen Paulus und sein Begleiter Timotheus unverzüglich,

„denn wir kamen zu dem Schluss, dass uns Gott dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden.“

So lenkte Thomas Söding elegant zu der Evangelisierungs-Diskussion über, von der ich bereits hier geschrieben habe. Auch Söding hält die Evangelisierung für unsere eigentliche Aufgabe. Den Synodalen Weg versteht er als einen wesentlichen Bestandteil dieser Bewegung:

„Alles, was sich hier ändert, um die Evangelisierung zu fördern, ist schon Evangelisierung.“

Wissenschaftliche Grundlagen

Mit Blick auf die MHG-Studie würde ich das Argument noch schärfen: Alles, was hilft, die weitere Pervertierung des Evangeliums in der Kirche abzustellen, ist schon Evangelisierung. Für mich liegt das auf der Hand. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer zog diesen Zusammenhang jedoch in Zweifel. Er vertrat die Meinung, die Schlussfolgerungen der MHG-Forscher*innen würden auf einer fragwürdigen Datengrundlage beruhen, seien „nicht bewiesen“ und somit als Grundlage des Synodalen Wegs ungeeignet. Vielmehr sei weitere Forschung nötig, um insbesondere den Vergleich mit anderen Organisationen (z. B. Sportvereinen) zu ermöglichen.

Diese Vorwürfe macht er der MHG-Studie nicht zum ersten Mal. Und es liegt der Verdacht nahe, dass er sich den unangenehmen Schlussfolgerungen der MHG-Studie mit formalen Argumenten entziehen möchte. Andererseits hätte eine empörte Zurückweisung seiner Thesen nicht genügt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass seine Denkweise auch außerhalb der Synodenaula vorkommt. Daher war ich froh, dass der Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl sachlich und nüchtern die Autor*innen der MHG-Studie zitierte. Diese räumen selbst ein, dass ihre Schlussfolgerungen Hypothesen seien. Mehr sei auch gar nicht möglich, weil die Bischöfe schließlich eine rein deskriptive Studie in Auftrag gegeben hatten. Kausale Zusammenhänge seien auf diese Weise statistisch nicht aufweisbar.2

Aber, so fügte Lob-Hüdepohl hinzu, eine Hypothese gelte so lange, bis sie falsifiziert werde. Dem möchte ich hinzufügen, dass sich „Beweise“ streng genommen auch mit statistischen Mitteln nicht generieren lassen. Sie liefern allenfalls Wahrscheinlichkeiten, mit der eine Hypothese zutrifft oder nicht. Aber wenn nach mehreren schweren Flugzeugabstürzen der Verdacht im Raum steht, dass mit einem Flugzeugtyp etwas nicht stimmt, bekommt er erst einmal Betriebsverbot. Erst danach wird an der Ursache geforscht. Ebenso betonten weitere Synodenteilnehmer*innen, wie fahrlässig es sei, nicht auf der wissenschaftlichen Grundlage weiterzuarbeiten, die man habe. Denn eine bessere gebe es nicht.

Innerlich fügte ich hinzu, dass es jedem Bischof freigestellt ist und war, eine bessere Datengrundlage zu schaffen und eigene Studien in Auftrag zu geben. An vielen Orten gebe es bereits weiterführende Projekte, wie andere Wortmeldungen betonten.3 Andererseits, das wurde in der Aula auch klar, sind die Themen nicht allein aufgrund der MHG-Studie aufs Tablett gekommen. Die Missbrauchsfälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Rest besteht aus unzähligen Verletzungen, die Menschen in der Kirche erfahren haben und leider immer noch erfahren.

Grundlagen der Geschäftsordnung

Die zahlreichen Wortmeldungen zeigten: Die biblischen und wissenschaftlichen Grundlagen des Synodalen Wegs waren erstaunlich wenig kontrovers, abgesehen von diesem einen episkopalen Statement. Anders war dies hingegen bei den Diskussionen um die Geschäftsordnung, was mich und viele andere zunächst überraschte. Unabhängig von den Einzelfragen zeigte sich hier, dass der angedachte Arbeitsmodus des Synodalen Wegs noch weit vom Idealzustand entfernt war. Das Präsidium war offensichtlich davon ausgegangen, dass die Versammlung in fast allen Fällen den „Empfehlungen der Antragskommission“ folgen würde. Für die Diskussionen war eine Stunde anberaumt.

Daraus wurden fünf. Das lag daran, dass zwar DBK und ZdK den Synodalen Weg vorbereitet hatten, aber viele Teilnehmer*innen keiner dieser beiden Gruppen angehörte. Diese fühlten sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Beteiligungsmöglichkeiten schienen nur so weit zu reichen, wie DBK und ZdK es festgelegt hatten. Die Satzung war sakrosankt, die Sitzungsleitung bereits vergeben, die Liste der Forenteilnehmer*innen erstellt. Alles sollte nur noch abgenickt werden.

Dagegen forderten einige Antragsteller*innen wirkliche Transparenz und Parität. Sie wollten selbst wirksam werden. Damit provozierten sie Empörung, genervte Reaktionen und eine teils ungehaltene Moderation. Zwischendurch wusste niemand, worüber eigentlich abgestimmt werden sollte. Da halfen auch die elektronischen Stimmgeräte nichts. Rufe hallten durch die Aula, Hände flogen zum Geschäftsordnungsantrag nach oben, Abstimmungen mussten abgebrochen werden. Ich kam mir wirklich vor wie im Theater von Ephesus. Aber glücklicherweise legte sich der Tumult später wieder und es ging etwas organisierter und ruhiger weiter.

Es wurde deutlich, dass auch in Zukunft das Präsidium und die Foren zwar Vorschläge erarbeiten werden, deren Verabschiedung aber kein Automatismus ist. Und es wurde deutlich, dass die Hintergründe der Satzung, einzelner Beschlüsse, ja des ganzen Aufbaus, erklärt werden müssten. Nur weil sich DBK und ZdK zusammengerauft haben, ist der Synodale Weg kein (pun intended!) Selbstläufer. Ein wirklich geistiger, ergebnisoffener und transparenter Prozess braucht mehr.

Geistliche Grundlagen

Dass dieses Mehr über das rein Politische hinausgeht, wurde spätestens bei den geistigen Impulsen deutlich. Jede Sitzung endete mit einem „EinHalt“, einer kurzen Meditation, einem Gebet und/oder einem Gesprächsimpuls durch die geistige Begleitung, die entweder vom GCL-Mitglied Maria Boxberg oder dem Jesuitenpater Bernd Hagenkord gestaltet wurden. Es tat gut, nach erhitzten Diskussionen runterzukommen, sich darauf zu besinnen, weswegen wir da sind, Atem zu holen, ins Gespräch mit Gott zu kommen und erst danach in die Pause zu gehen. Diese Momente setzen einen wirklichen Kontrapunkt zu sonstigen Gremien. Ich möchte sie nicht mehr missen.

Hashtag: #SynodalerWeg


(Beitragsbild @Emma Van Sant)

1 Die gesamte Rede ist hier abrufbar.

2 siehe MHG-Studie A.1, abrufbar unter https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf

3 Entsprechende Projekte gibt es beispielsweise in den Bistümern Limburg, München und Freiburg.

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juliane eckstein

ist diplomierte Dolmetscherin und hat später in München und in Jerusalem Katholische Theologie studiert. Sie hat im Alten Testament über das hebräische Ijobbuch promoviert und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Sankt Georgen. Sie findet die derzeitigen Umbrüche in der Kirchenszene spannend.

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