Das Schreiben „Querida Amazonia“ hat viele Menschen enttäuscht. Marius Fletschinger ist Priester und richtet deutliche Worte an den „geliebten“ Vatikan. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem eigenen Blog

Querido Vaticano!

Man sagt, Ihr seid überrascht von der globalen Enttäuschung nach dem Amazonas-Schreiben. Überrascht Euch das, ernsthaft?

Welche Reaktion könnte ein Firmenchef erwarten, der seiner versammelten Belegschaft mitteilt: „Wir alle wissen, die Umsätze sind im Keller. Da haben wir beschlossen, erstmal nix zu machen. – Aber hey, wir engagieren uns weiter für Umweltschutz!“

Das Problem unserer Enttäuschung liegt gar nicht so sehr in der Frage des Zölibats oder der Diakoninnen. Über diese wichtigen Einzelfragen hinaus hätten wir uns gewünscht, dass irgendwas passiert, dass unsere Kirche zeigt, dass sie Einsicht, Kraft und Mut hat, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Viele Grundanliegen dieses Pontifikats sind stark und richtig: synodale Beratungen aufwerten, Kompetenzen an die Ortskirchen zurückgeben, die Rolle der Frauen stärken, Barmherzigkeit üben, bescheidener auftreten.

Was passiert faktisch? Der Ertrag der Synoden ist zweifelhaft. Familien: alles kann, nichts muss. Jugend: Katechese und Gebet. Amazonas: Solidarität und Ökologie. Berufungspastoral und Gebet.
Die Bedeutung der Frauen für die Kirche würdigen? Erstmal nett, was da steht: Frauen sind wichtig. Gut, da sind wir uns einig. Dissens haben wir dann schon in der Beschreibung des „Wesens der Frau“. Gibt es ein für alle beschreibbares Wesen? Da schauen mich die Menschen der Generation über mir fragend-ratlos an. Die Gleichaltrigen und Jüngeren lachen darüber – im glücklichsten Fall. Wir Hirten sollen ja den Geruch unserer Schafe annehmen. Ich muss sagen, meine Schafe, Studierende aus vielen Ländern, reagieren mit irritiertem Spott oder harter Verachtung.

Das glaubt Ihr nicht? Probiert es einfach aus, fragt mal Frauen nach ihrer Meinung, die in der Via Aurelia wohnen oder im Borgo Vittorio. Und wenn Ihr es ganz deutlich wollt, lauft vor bis zur LUMSA und fragt die Studierenden, gleich welchen Geschlechts.

Anerkennung für Frauen ist nicht damit getan, ihnen dankbar auf die Schulter zu klopfen. Partizipation muss auf echten Kompetenzen basieren. Beauftragung kann nicht heißen: Du darfst die Kerzen anzünden, wie Lüdecke absolut treffend sagt.

Als ich Jugendlicher war, hatte in meiner Lebenswelt das Katholische das Etikett „langweilig“. Man hielt uns landläufig für etwas altbackene, idealistische Gutmenschen. Heute sieht man uns nicht nur als langweilig an, sondern als hoffnungslos rückständig, verbohrt, heuchlerisch. Den Gutmenschentitel haben wir längst verloren. Die Kritischeren nennen uns Verbrecher. Freilich ist das pauschal und ungerecht, aber halt leider ganz und gar nicht grundlos.

Bitte antwortet nicht, das sei wieder das alte Problem mit den aufmüpfigen Deutschen. Wie steht es denn, über den deutschen Sprachraum hinaus, um die Kirche? In den Niederlanden, Belgien, Frankreich, England? Wisst Ihr, wie steil es bergab geht in Irland, wie sehr die Menschen sich in Polen abwenden? Welche erbitterte Gegnerschaft in Spanien wächst? Wie ist die Kirchenbindung tatsächlich in Italien?

Wenn ich mich an der Universität bewege, schlägt mir beim Stichwort katholisch Ablehnung entgegen oder offene Verachtung. Unsere Flyer bekomme ich mit spitzen Fingern zurück. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich sehe, in welche Lage die Kirche, die ich liebe, gekommen ist. Man lehnt uns ab, im Namen der Moral!

Wenn sich Menschen zu ihrem gleichgeschlechtlichen Partner bekennen, werden sie von kirchlichen Trägern immer noch entlassen. Wohlgemerkt: Jahre nach dem päpstlichen „Wer bin ich, um zu richten?“. Offiziell schließen wir immer noch homosexuell Veranlagte vom Priesteramt aus. Das ist Diskriminierung und Traumtänzerei noch dazu, weil ein beträchtlicher Teil des Klerus so veranlagt ist – und nebenbei gute seelsorgliche Arbeit leistet.

Unsere Rechtsordnung ist nicht auf dem Niveau entwickelter Demokratien, wenn es zum Beispiel um Rekursmöglichkeiten und Gewaltenkontrolle geht. Es muss uns zu denken geben, wenn wir in Rechts- und Gerechtigkeitsfragen unter dem Standard der Gesellschaft liegen!
Missbrauch muss bestmöglich verhindert, bekämpft, aufgeklärt und bestraft werden. Gut, da gab es schon Lernprozesse, aber wir stehen erst am Anfang.

Bischöfe und Kongregationen haben Millionen und hunderte Millionen Euro versenkt durch Luxusausgaben und Fehlinvestitionen. Keine Institution kann sich das leisten, die Bestand haben will. Ich wünsche mir, dass wir endlich nicht mehr wegen dubioser Finanzaktionen ins Gerede kommen. Das muss doch um Himmels willen möglich sein!

All diese Dinge haben so viele Menschen enttäuscht, außerhalb und innerhalb der Kirche. In der jüngsten Generation sind wir auf weiter Flur diskreditiert, und auch in meiner Generation sieht es kaum besser aus.

Ja, ich weiß, dass wir kein Unternehmen sind, und dass man über Glaubensfragen nicht einfach mehrheitsmäßig entscheiden kann. Bitte erspart uns Unterstellungen, dass ich dummerweise nicht begriffen habe, was das Wesen der Kirche ist. Kirche soll Instrument des Heils sein, und wenn sie große Teile der Menschheit nicht erreicht, hat sie ein Problem. Das lässt sich nicht einfach auf die „böse Welt“ schieben!

Auch noch viele andere Themen sind brennend wichtig. Wie sieht das Miteinander in einer Kirche aus, die sich auf Jesus Christus beruft? Wie sehen liturgische Feiern aus, die zu kleiner gewordenen Gruppen passen? Wann holen wir den sprachlichen Rückstand auf, in den wir in der Verkündigung und zum Teil im Lehramt geraten sind? Offizielle Äußerungen klingen ja oft noch wie vom Tonband abgespielt. Wie gelingt es uns zu vermitteln, dass die Kirche aus der Eucharistie lebt, und welche Menschen können wir wie dazu befähigen? Etc.

Ich weiß nicht, ob die Probleme und der Reformstau größer waren, als der heilige Johannes XXIII. sich entschloss, das Konzil einzuberufen. Es ist wieder Zeit. Wie er habe ich noch Hoffnung, dass unsere Kirche weit kraftvoller, mutiger und wandlungsfähiger ist, als es erscheint. Dafür müssen wir auf den Heiligen Geist vertrauen, beten – und das in unsrer Macht Stehende auch wirklich tun.

Hashtag: #QueridaAmazonia


(Beitragsbild @Eleonora Patricola)

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marius fletschinger

studierte katholische Theologie in Freiburg, Rom und Paris. Er ist Priester, Hochschulseelsorger in Mannheim und promoviert in Fundamentaltheologie.

4 Replies to “Querido Vaticano – Protest eines Priesters

  1. Es wird noch viele solche Protestnoten brauchen.
    Aber sie kommen.
    Endlich.
    Aus der Mitte.
    Gott sei Dank.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt.
    David hat Goliath besiegt.

  2. Die Kritik teile ich. Im Grunde sind es Anregungen eines engagierten Seelsorgers, der an der Basis der Kirche steht,wirkt und aufweist, was und welcher Richtung sich Kirche ändern müsste, um Kirche Jesu Christi, Sauerteig und Licht der Welt zu sein. Danke, danke für den echt positiven und aufrüttelnden Kommentar.

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