Körperlichkeit ist nicht nur eine wichtige Dimension des Alltags, sondern hat auch in wissenschaftliche Reflexionen längst Einzug gehalten. Nur Katholizismus und Theologie scheinen nicht so recht warm mit ihr zu werden. Franziska Jäger skizziert eine körpersensible Theologie.

Fitness und Ernährung, Krafttraining und Wellness – der Kult um den Körper nimmt in unserer Gesellschaft einen bedeutenden Raum ein. Das Individuum ist herausgefordert sich zu inszenieren und zu performen. Selbst all jene, die der Inszenierung des Körpers entfliehen wollen, indem sie der Sorge um ihr äußeres Erscheinungsbild trotzen, vermitteln damit bereits ein Statement.

Was sagt jedoch diese Selbstinszenierung über uns aus? Und was hat sie mit der Theologie zu tun?

Über Ästhetik, Diätetik, Askese und Ekstase

Körperpraktiken, Rituale und motorisches Verhalten formen unsere Identität. So beschreibt der Religionssoziologe Thomas Luckmann in Anlehnung an die vier Körperkultfacetten Ästhetik, Diätetik, Askese und Ekstase von Robert Gugutzer, dass in der Selbsttransformation des Subjekts durch diese vier Facetten bereits eine „Transzendenzerfahrung“1 vorliegt; eine Erfahrung der Überschreitung des Selbst.2

Welche Beispiele gibt es für diese Luckmannschen „Transzendenzerfahrungen“?

Die Ästhetik wird bei Gugutzer und bei Nina Degele als ein Schönheitshandeln aufgefasst, das nicht Privatangelegenheit ist, sondern soziale Positionierung, die mit harter Arbeit verbunden ist und „in tiefe Identitätsschichten reicht“3. Beispielsweise kann das Stechen eines Tattoos oder eine Rasur der Haare eine körpermodifizierende Selbsttransformation sein.

In der zweiten Körperkultfacette, der Diätetik, geht es um eine Art „Lebenskunst“ der körperlichen Gesundheitspflege. Es geht um Ernährung, um Wellness und Hygiene. Hierbei kann ein Saunagang mit anschließender Abkühlung im kalten Wasser ein Transformationserlebnis sein.

Drittens handelt es sich bei der Askese um die Kontrolle von körperlichen Bedürfnissen. Diese Kontrolle wird mittels verschiedener Apps perfektioniert. Self-Tracking, das Sammeln und Auswerten von Daten über körpereigene Funktionen, ist nicht nur für Ernährung und Sport, sondern auch für den Schlafrhythmus, das Konsumverhalten oder die Emotionen (Mood-Tracking) weit verbreitet. Hier kann die Transformation ausgemacht werden in der Entwicklung von einem Ist-Wert hin zu einem neuen Soll-Wert. Dieser wird in den Applikationen nicht nur numerisch, sondern meist auch grafisch dargestellt und kann wiederum neuen Anreiz geben weiter asketisch zu handeln.

Die vierte Körperkultfacette, die Ekstase, enthält bereits in sich das Moment der Überschreitung des Alltags in einer Extremerfahrung. Ekstase kann herbeigeführt werden durch Rauschmittel, durch Erotik, Tanz oder Risiko- und Extremsport. Die Extremerfahrungen wecken alle Sinne und lassen den Adrenalin- und Noradrenalinspiegel ansteigen. Gerade beim Risiko- und Extremsport kann das Spiel mit Leben und Tod (Bsp. Free Solo Climbing) zu einer Transzendenzerfahrung im Luckmannschen Sinne werden.

Was sucht der Mensch im Körperkult?

Betrachtet man die Reichweite der vier Körperkultfacetten in der westlichen Gesellschaft, kann man folgende Frage stellen: Sucht der postmoderne Mensch eventuell in der unablässigen Selbsttransformation einen Sinn und eine Seinslegitimation, die die traditionellen sinnstiftenden Institutionen wie die Kirchen diesem nicht mehr geben können? In Zeiten von Self-tracking und Selbstquantifizierung scheint eine entsprechende These berechtigt.

„Es soll thematisiert werden, dass Selbstquantifizierung an ältere Formen der Selbstthematisierung wie Beichte, Therapie oder Beratung anschließt und insofern auf das Problem der Identität bezogen ist. Wenn Selbstquantifizierung als eine spezifische Kommunikationsform verstanden wird, richtet sich die Aufmerksamkeit auf Prozesse der Sinn- und Identitätsfindung.“4

(Wie) Geht körpersensible Theologie?

An diesem Punkt kann die Theologie mit ins Spiel kommen, allerdings nicht als jene, die die Transzendenzerfahrung durch die Körperkultfacetten als profan, immanent oder gar selbstsüchtig abwertet und ihre theologisch definierte Transzendenz als einzig wahre entgegensetzt. Vielmehr kann sie als diejenige fungieren, die das körperhabende und körperseiende Subjekt ernst nimmt, und versucht, Gründe zu analysieren, die den Menschen so sehr zum Körperkult treiben, und die daraus eine neue körpersensible Akzentuierung ihrer selbst betreibt.

Es ist schon erstaunlich, dass die Theologie und das Christentum unablässig den Leib-Begriff verwenden, selten jedoch darauf zu sprechen kommen, was der eigene Körper und das eigene Körpererleben damit zu tun haben könnten. Dabei legt doch gerade das Christentum einen Gott zu Grunde, der durch die Inkarnation selbst einen Körper hatte und Körper war5.

Eine körpersensible Theologie, die das psychische und physische Menschsein aufgrund der Inkarnation Gottes würdigt, kann auch auf eine andere Art für den Körperkult eine Rolle spielen. Wo der Körperkult keine Grenzen der Selbstoptimierung kennt und ein rigoroses Vergleichsdenken an den Tag legt, kann sie eine neue Perspektive liefern. Nicht dort, wo die Selbsttransformation die Selbstoptimierung als oberstes Ziel hat, sondern wo die Selbsttransformation zu einer immer wiederkehrenden Bewegung des Aufbruchs aus den Gewohnheiten wird, zum Zwecke der Erkenntnis über die eigene Identität, dort führt sie in die Freiheit.

So können gerade auch Brüche und Imperfektionen der körperlichen Funktionen und Merkmale als Momente gesehen werden, die eine neue Wirklichkeit durchbrechen lassen (wie ein Riss in einer Mauer, aus dem eine Pflanze wächst). Verletzungen oder Krankheit zeigen oftmals ungewollt die Grenzen des Körpers auf, sie werfen den betroffenen Menschen unweigerlich zurück auf seine körperliche Existenz. Auch wenn niemandem dieser Zustand zu wünschen ist, so wird doch manchmal erst im Moment des Verlustes der Körperfunktionen sichtbar, wie funktionsfähig und belastbar der Körper bis zu diesem Ereignis war.

„Der Mensch [kann] zur Erfahrung seiner Grenzen […] Schmerz, Sterblichkeit und Tod, […] die Erfahrung eines übergreifenden Zusammenhangs machen, die Vulnerabilität Sinn zu verleihen [ver]mag, ihn Krankheit, Schmerz, ja die Sterblichkeit annehmen lässt. – […] Gesundheit ist […] Selbstdeutung des Menschen. – […] [Der] Verlust [von Gesundheit] trifft den Menschen existenziell, doch ihr Besitz macht noch nicht das gelungene Leben aus. Das gelungene Leben ist für ihn mehr als Gesundheit; es kann aber auch in Form von weniger Gesundheit erfahren werden.“6

So kann durch die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und dessen Grenzen, das körperliche Erleben in allen seinen Facetten Ort der Identitätsfindung und wie es Joseph Homeyer beschreibt „Lernort des Glaubens“ werden.7

 

Hashtag der Woche: #leibchristinas


(Beitragsbild: canva.com)

 

1 Aufteilung der Transzendenzerfahrungen nach T. Luckmann in „klein“, „mittel“ und „groß“

2 Vgl. Alfred Schutz und Thomas Luckmann. (2017), 597–598. Vgl. Robert Gugutzer, Hrsg. (2006).

3 Nina Degele. (2004), 9.

4 Vgl. Stefanie Duttweiler et al., Hrsg. (2016), 202.

5 Vgl. Saskia Wendel und Aurica Nutt, Hrsg. (2016).

6 Andreas Bieneck, Hans-Bernd Hagedorn und Walter Koll, Hrsg. (2013), 14–15.

7 Philipp Elhaus. (2013), 355.

 

Literatur

Bieneck, Andreas, Hans-Bernd Hagedorn und Walter Koll, Hrsg., An den Grenzen des Lebens: Theologische, medizinethische und spirituelle Zugänge. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie, 2013.

Degele, Nina, Sich schön machen: Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004.

Duttweiler, Stefanie, Robert Gugutzer, Jan-Hendrik Passoth und Jörg Strübing, Hrsg., Leben nach Zahlen: Self-Tracking als Optimierungsprojekt? Digitale Gesellschaft 10. Bielefeld: transcript, 2016.

Elhaus, Philipp, Kirche [hoch] 2: Eine ökumenische Vision. Würzburg, Hannover: Echter, 2013.

Gugutzer, Robert, Hrsg., body turn: Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports. Bielefeld: transcript Verlag, 2006.

Schutz, Alfred und Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, 2., überarbeitete Auflage. Konstanz, München: UTB, 2017.

Wendel, Saskia und Aurica Nutt, Hrsg., Reading the Body of Christ: Eine geschlechtertheologische Relecture. Unter Mitarbeit von Miriam Leidinger. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2016.

 

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franziska jäger

studiert katholische Theologie und Sport in Freiburg nach Studienaufenthalt in Grenoble. Sie ist neugierig auf der Suche nach Themengebieten, die auf der Schnittstelle zwischen Sport und Theologie bzw. Körperlichkeit und Spiritualität liegen.

One Reply to “Körperkult und Theologie – wie geht das zusammen?”

  1. Der ganze Aufsatz spricht mir aus der Seele. Bin selbst schon älter. Das ist eine Theologie, wie ich sie in mir trage, aber noch nie woanders gefunden habe. Mein Lieblings-Abschnitt: „An diesem Punkt kann die Theologie mit ins Spiel kommen…“ Kernig! Der kleine Schreibfehler am Ende des Abschnitts rührt mich. So schön unperfekt! Ein Riss in der Mauer… als wäre Franziska Jäger noch mittendrin in der Denkarbeit und würde uns einladen mitzumachen. Danke für diesen liebevollen, lebendigen Text!!

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