Über den aktuellen kirchlichen Debatten – sei es im Vatikan, in Amazonien oder in Deutschland – schwebt die Frage, wer oder was eigentlich katholisch ist. Mit einer großen Kampagne will der BDKJ im Erzbistum Köln ein positives Narrativ darüber anbieten. Samuel Klein ist Referent für Theologie und Jugendpastoral und schildert die Beweggründe.  

Wer oder was ist eigentlich „katholisch“?

Wer an diese Frage unbedarft herangeht, kann in diesen Tagen leicht einen falschen Eindruck bekommen. Denn statt allumfassender Weite eröffnet sich ein sehr eingegrenztes Themenspektrum: Ist es denn katholisch, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen einen wie auch immer verstandenen „Zeitgeist“ abzugrenzen? Ist es denn katholisch, ziemlich viel und ziemlich angespannt über Sexualität zu reden?

Zumindest stehen Fragende seit Kurzem nicht mehr allein auf weiter Flur. „Kann man zum Beispiel an einem Y-Chromosom den Zugang zum Priesteramt festmachen, indem man das mit dem Willen Jesu begründet?“, fragt z. B. Bischof Overbeck.  Man muss eigentlich fragen: „Ist das katholisch?“

Diese Fragen machen deutlich, wie weit die Verengung katholischer Identitätserzählung bereits fortgeschritten ist. Denn niemand, der auch nur einen Hauch der jesuanischen Botschaft verstanden hat, kann ernsthaft behaupten, die zentralen Aussagen bezögen sich auf Sex, Ämter oder den Zeitgeist. Aus der Vorstellung heraus, man müsse den christlichen Glauben mit aller Macht gegen jede Form der Aneignung verteidigen, wurden jahrzehntelang einige wenige Identitätsmarker machtpolitisch massiv aufgebaut. Es wird immer deutlicher, wie lähmend diese Verkürzung auf das kirchliche Denken und Handeln wirkt.

Doppelte Lähmung

Die Lähmung zeigt sich in doppelter Weise. Diejenigen, die weiterhin die genannten Themen als entscheidende Merkmale katholischer Identität behalten wollen, stehen vor einem kaum zu lösenden Vermittlungsproblem. Weil die eigene Position immer schwerer begründet vertreten werden kann, flüchten sich manche in spiritualisierende Ausführungen über eine persönliche Beziehung zu Jesus. In dieser solle dann jede*r irgendwie das erkennen, wofür Kirche in ihrem Verkündigungsauftrag eigentlich selbst zuständig wäre: nämlich eine frohe Botschaft zu verkünden, die der Mensch als Erlösung und Befreiung auch wirklich erfahren kann.

Auf der anderen Seite wurde katholische Identität über Jahre hinweg derart fest mit den Fragen der sogenannten „heißen Eisen“ verbunden, dass diejenigen, die sich hier eine Änderung wünschen, es lieber vermeiden, überhaupt über katholische Identität zu sprechen. Damit überlassen sie aber den Begriff „katholisch“ kampflos denjenigen, die weiter ihre verkürzte Version des katholischen Glaubens als die einzige Geschichte erzählen wollen. Aber wer die katholische Kirche reformieren will, muss auch den Begriff „katholisch“ mit neuem Leben füllen.

Ohne schlechtes Gewissen katholisch sein – geht das überhaupt noch?

Nun hat insbesondere die öffentliche Aufdeckung der Missbrauchstaten von Klerikern und deren Vertuschung in der katholischen Kirche den sozialen Druck auf ihre aktiven Mitglieder noch einmal erhöht. Wer sich bis dahin noch leidlich mit Argumenten von einer allzu platten und tendenziös fundamentalistischen Auslegung des Glaubens distanzieren konnte, wird nun mit einer existentiellen Frage konfrontiert: „Ist nicht allein schon die Mitgliedschaft in der Institution katholische Kirche eine Unterstützung der herrschenden Machtstrukturen und damit eine Mitverantwortung an den begangenen Verbrechen?“ Auch im innerkirchlichen Umgang mit dieser Frage treten Lähmungserscheinungen auf. Sie reichen von der Individualisierung der Schuld (Einzeltäter müssen zur Verantwortung gezogen werden), über die Externalisierung der Schuld (Dämonische Mächte in der Kirche), bis hin zur völlig schambefreiten Umkehrung von Opfern und Tätern (Christliche Barmherzigkeit und Vergebung von den Betroffenen einfordern). Nichts davon verhindert weiteren sexuellen Missbrauch, noch hilft es den Betroffenen.

Aber auch mit der inneren Emigration oder der bloßen Kritik an den Strukturen ist niemandem geholfen. Wer die schockierende Realität des Missbrauchs ernstnehmen und gleichzeitig etwas daran ändern will, braucht dringend eine positive Erzählung von dem, was katholische Kirche ist und sein kann.

Die Kampagne

An diesem Punkt setzt die aktuelle Kampagne des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Köln an. Unter dem Slogan katholisch + (gesprochen: „katholisch kreuz“ oder „katholisch sternchen“) machen die Jugendverbände im Erzbistum Köln deutlich, was für sie „katholisch sein“ ausmacht. Dazu wird das Wort „katholisch“ mit verschiedenen prägnanten Slogans in Verbindung gebracht und über verschiedene Produkte wie T-Shirts, Banner, Flyer oder Seedbombs verbreitet. Die Slogans reichen von: „Wir sind eine menschenfreundliche Religion. Wirklich.“ über „Nagelt den Planeten nicht ans Kreuz“ bis zu „Bei uns entscheidet die Demokratie und nicht der Papst“. Erklärende Texte geben genauere Auskunft über die dahinterstehenden Inhalte. Die Reaktionen waren, wie erwartet, kontrovers. Aber so unterschiedlich die Meinungen über einzelne Slogans oder die Form auch sein mögen, sprechen drei Erfahrungen für einen Erfolg.

  1. Ängste überwinden, Befreiung erfahren

Für viele war es eine völlig neue und befreiende Erfahrung: Sie konnten ohne Angst und Scham über ein Ereignis in der katholischen Kirche sprechen. Befreiend, weil niemand mit der Kampagne wegen seines Geschlechts oder aufgrund seiner sexuellen Orientierung ausgegrenzt wird, sondern ausdrücklich willkommen geheißen wird. Befreiend, weil die Form und äußere Darstellung zeitgemäß und passend ist. Befreiend, weil hier Glaubensfreude humorvoll und selbstironisch einen Ausdruck findet und ohne versteckten Missionsgedanken zur Diskussion einlädt.

  1. Über positive Inhalte reden

Die Kampagne ermöglicht es, den Themenkreis verengter, kircheninterner Diskurse zu weiten, weil sie mit aller gebotenen Leichtigkeit deutlich macht, dass Kirche bereits jetzt eine andere ist, eben „anders als du denkst“. Viel zu lange haben wir darüber diskutiert, warum z.B. der Ausschluss von Homosexuellen und Frauen eben nicht der Botschaft Jesu entspricht. Dabei ist das Beharren auf der bisherigen Position katholischer Lehre weniger eine Frage der besseren Argumente als eine Frage von Gestaltungsmacht. Daher ist es umso wichtiger, bei der Antwort auf die Frage, wozu uns der christliche Glaube heute treibt, Denkfesseln zu lösen und neue Freiheit zu gewinnen.

  1. Ein offenes Gespräch

Der Slogan „katholisch +“ wurde bisher mit 13 verschiedenen Motiven verbunden, mit denen die katholischen Jugendverbände im Erzbistum Köln deutlich machen, wofür sie stehen. Natürlich ist damit katholische Identität in keiner Weise abschließend dargestellt. Auch das ist eine Selbstverständlichkeit, denn katholisch ist nicht zu umfassen, sondern allumfassend. Und mit welchen Geschichten wir dieser Realität in Zukunft Ausdruck geben wollen, ist eine offenzuhaltende Frage.

Hashtag der Woche: #andersalsdudenkst


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samuel stauß

(*1993) war 2011/12 als FSJler in Peru und studierte 2012-2017 Katholische Theologie in Freiburg. Seit 2018 ist er als Referent für Theologie und Jugendpastoral beim BDKJ Diözesanverband Köln tätig.

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