Kurz vor der ersten Plenarsitzung des Synodalen Wegs Ende Januar skizziert Max Schultes, mit welchem Schwierigkeiten dieser bei seinem Versuch, kirchliche Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, konfrontiert sein dürfte.

„Viele glauben uns nicht mehr.“ – Mit diesem Satz fasst Kardinal Marx im September 2018 nach Veröffentlichung der MHG-Studie die Lage der Katholischen Kirche in Deutschland zusammen und meint damit v.a. das säkulare bzw. nicht-christliche Umfeld der Kirche. Die Tatsache des sexuellen Missbrauchs und die Einsicht, dass die katholische Sexualmoral sowie manche Macht- und Hierarchie-Strukturen diesen zudem begünstigen, hat sich seit Bekanntwerden massiv auf die Glaubwürdigkeit der Kirche ausgewirkt. Um diesem Glaubwürdigkeitsverlust entgegenzuwirken, hat sich die Deutsche Bischofskonferenz nun zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken auf den Synodalen Weg begeben, dessen erste Plenarsitzung vom 30.01. bis 01.02.2020 in Frankfurt a.M. stattfinden wird. Doch muss es bei diesem Weg der Umkehr und Erneuerung nicht auch um die Wiederherstellung verlorener Glaubwürdigkeit im Inneren der Kirche – denken wir hier u.a. nur an den von Maria 2.0 ausgerufenen Kirchenstreik – gehen?

Glaubwürdigkeit und Legitimität – zwei Seiten derselben Medaille

Werden gesellschaftliche Ordnungssysteme als nicht mehr glaubwürdig erlebt, so steht damit oftmals ebenfalls deren Legitimität in Zweifel. Dies legt zumindest das Legitimitätsverständnis des kanadisch-US-amerikanischen Politikwissenschaftlers David Easton nahe, welcher im Kontext der Legitimationstheorie geforscht hat. Legitimität lässt sich, im Anschluss an Easton, als Resultat der Überzeugung von Mitgliedern einer Gesellschaft, die Funktionsweise der politischen Ordnung stimme weitestgehend mit ihren persönlichen Werten bzw. ihrer eigenen moralischen Landkarte überein, verstehen. Damit erweist sich Legitimität aber v.a. als vom Individuum intuitiv zugesprochene Kategorie, die dessen Identifikation mit der politischen Ordnung zum Ausdruck bringt. Kann die vorhandene Ordnung also nicht überwiegend mit dem Wertekompass des*der Einzelnen zur Deckung gebracht werden, erkennt diese*r sie nicht an. Legitimität wird damit als Überzeugung von glaubwürdiger Interessensvertretung des Individuums durch das Ordnungssystem verstanden.

Easton differenziert diesen Legitimitätsbegriff weiter, indem er im Hinblick auf die Identifikation des Individuums mit der politischen Ordnung die diffuse von der spezifischen Unterstützung unterscheidet. Während es sich bei „spezifischer Unterstützung“ um kurzfristige, an bestimmte Positionen und Ergebnisse gebundene Loyalität des Individuums gegenüber der Ordnung handelt, ist mit dem Begriff der „diffusen Unterstützung“ eine Unterstützung unabhängig von ihrer Effektivität und ihren Ergebnissen gemeint. Sie tritt jedoch nur dann auf, wenn die Systemleistungen auf Dauer als relativ zu den jeweiligen persönlichen Leistungserwartungen angesehen werden. Das demokratische System an sich kann demnach vom Individuum beispielsweise als grundsätzlich erhaltenswert erkannt werden, obwohl einzelne Ergebnisse der darin stattfindenden demokratischen Prozesse inhaltlich abgelehnt werden.

Daran zeigt sich, dass das oben anhand des Begriffes der Legitimität skizzierte Verhältnis von Ordnung bzw. den diese Ordnung realisierenden Institutionen einerseits und dem Individuum andererseits als dynamischer Prozess zu verstehen ist, welcher von verschiedenen Ereignissen subjektiv durchaus unterschiedlich – je nach persönlicher Perspektive und Wertpräferenz – beeinflusst wird. Allerdings ist gleichzeitig festzuhalten, dass langfristige und krisenbeständige Loyalität an das Design des Ordnungssystems selbst sowie die Deckung desselben mit der persönlichen Werthaltung des*der Repräsentierten gebunden ist, weniger an die dort kurzfristig verhandelten Themen.

Katholische Kirche als Mehr-Ebenen-System

Betrachtet man nun die Gestaltungsform der Katholischen Kirche aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, so fällt auf, dass sich diese als komplexes Mehr-Ebenen-System beschreiben lässt – und keinesfalls einen monolithischen Block bildet. Mit dieser Beschreibung kann die Heterogenität einer (ehemaligen) Volks- und (gegenwärtigen) Weltkirche angemessen erfasst werden. Während verschiedene andere soziologische Ausgriffe auf die Katholische Kirche sich jeweils auf einzelne Aspekte (v.a. unter den drei Leitkonzepten Markt, Organisation und Gemeinschaft) ihrer Erscheinungsweise konzentrieren, versucht die Bestimmung als Mehr-Ebenen-System, so der Religionssoziologe Patrick Heiser, diese in eine Gesamtperspektive zu integrieren.

Grundlage dieses Modells ist dabei die Beobachtung, dass sich unter den Gläubigen in der Kirche – je nach Professionalisierungsgrad, Position im System etc. – bspw. hinsichtlich umstrittener Themen wie Zölibat, Frauenordination oder künstlicher Empfängnisverhütung jeweils unterschiedliche Handlungsorientierungen feststellen lassen. Daran anschließend bietet es sich an, Kirche entlang dieser Orientierungen analytisch in einzelne Ebenen zu unterteilen – und als Mehr-Ebenen-System zu konzipieren. Auf diese Weise wird plausibel, warum unter demselben Dach sowohl die Orthodoxie gerettet als auch auf deren beständiges Aggiornamento hingearbeitet werden kann: Je nach Stellung und Ebenenzugehörigkeit sind die Akteur*innen durch sich teilweise dramatisch unterscheidende Rationalitäten und Handlungsmotivationen gekennzeichnet. Dabei verfolgen, laut Heiser, die Akteure der Organisationsebene (Apostolischer Stuhl, Bischofskonferenzen) vorrangig orthodox-wertrationale, diejenigen der Interaktionsebene (Kernmitglieder der Pfarreien) individuell-wertrationale und diejenigen der Professionsebene (Priester, Pastoralreferent*innen etc.) zweckrationale Handlungsorientierungen, während die Publikumsebene (Rand- bzw. Nicht-Mitglieder) durch weitgehend unspezifische Handlungsorientierungen geprägt ist.

Individualisierungsprozesse: massive Herausforderung für Mehr-Ebenen-Systeme

Dass sich diese auseinanderdriftenden Handlungsorientierungen vor dem oben skizzierten Hintergrund eines auf Identifikation zwischen Gesamtsystem und einzelnen*r Gläubigen beruhenden Legitimitätszuspruchs als problematisch erweisen und einige Sprengkraft in sich tragen, liegt nahe. Dazu kommt allerdings noch, dass mit der sich im Zuge gesamtgesellschaftlicher Individualisierungsprozesse ebenfalls beschleunigenden innerkirchlichen Pluralisierung ein hohes Potenzial zur Enttäuschung verschiedener Gläubigen bzw. innerkirchlichen Gruppen einstellt: Dort wo Glaube ins politische Handeln überführt werden will, stehen sich plötzlich eine Vielzahl rivalisierender Handlungsimperative gegenüber (man denke hier nur an die kontroverse Diskussion innerhalb der EKD um die Ausrüstung eines eigenen Schiffes zur Seenotrettung im Mittelmeer). Selbst weitgespannte Kompromisse erscheinen dann nach allen Seiten hin schwach, sind sie doch von überall her angreifbar.

Synodaler Weg als Lösung?

Unklar erscheint in diesem Zusammenhang, welche Ergebnisse und Impulse diesbezüglich vom Synodalen Weg zu erwarten sind. Trotz einer guten Anlage desselben durch die Miteinbeziehung verschiedener innerkirchlicher Gruppierungen und die breite Abfrage individueller Perspektiven im Vorfeld, die die Mehr-Ebenen-Realität nachzeichnen, muss sich erst noch zeigen, inwiefern widersprüchliche Handlungsorientierungen überhaupt konstruktiv miteinander in Verbindung zu bringen sind. Nachdem der Synodale Weg ja als Weg der Umkehr und Erneuerung angelegt ist, wird sich letztlich erst im Prozess offenbaren, ob die unterschiedlichen kirchenpolitischen Lager sich überhaupt auf ein inhaltlich breit akzeptiertes Verständnis von „Erneuerung“ und „Umkehr“ verständigen können. Da die konkrete Umsetzung der Ergebnisse des Synodalen Weges schließlich ohnehin in der Hand der einzelnen Diözesanbischöfe liegen wird, droht eher ein bunter Flickenteppich von Regularien als ein gemeinsames Aufbruchs-Narrativ der Katholischen Kirche in Deutschland zu entstehen. Überwinden wir so die Unglaubwürdigkeit?

Hashtag der Woche: #diversitymatters


(Beitragsbild: @alinaaaa)

Literatur:

Easton, David: A Systems Analysis of Political Life. New York – London – Sydney 1965.

Heiser, Patrick: Religionssoziologie (utb; 5013). Paderborn 2018.

Westle, Bettina: Politische Legitimität – Theorien, Konzepte, empirische Befunde (SGE; 3). Baden-Baden 1989.

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maximilian schultes

hat in Würzburg und Freiburg i.Br. Theologie studiert, arbeitet zurzeit als Referent für dialogische Pastoral in Kirche und Gesellschaft im Erzbistum Paderborn und an einer Promotion zum Glaubenssinn der Gläubigen. Vorher war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik, Dogmengeschichte und fundamentaltheologische Fragen der Universität Vechta beschäftigt. Einen Wandel vom Katholizismus zur Katholizität hält er für möglich.

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