Wissen ist Macht. Welche Bedeutung das für verschieden Menschengruppen innerhalb der Kirche haben kann, zeichnet Fabian Brand in diesem Artikel nach und zeigt dabei auch auf, wie gerade die aktuelle kirchliche Lage auf diese Debatte angewiesen ist.

Wie es ist, in der Kirche ein Subalterner zu sein, also nicht gehört zu werden, obwohl man etwas zu sagen hat, das erleben viele Menschen immer wieder. Sie engagieren sich in Pfarreien und Gemeinden, sie bringen sich dort ein, wo sie gebraucht werden. Viele unterschiedliche Aufgaben gehören zu ihrem (Ehren-)Amt dazu. Und doch dürfen sie es nicht immer so ausüben, wie sie es gerne tun würden. Denn allzu häufig bleiben sie von ihrem Pfarrer ungehört. Und dass, obwohl sie durchaus die Kompetenz besitzen, sich zum Wohl der Gemeinde einzubringen. In unterschiedlichen Bereichen haben sie ein Wissen, das hilfreich sein kann, wenn es um die richtige Anlage der Finanzen, um kirchenmusikalische Fragen oder andere Belange einer Pfarrei geht. Doch dürfen sie es nicht anwenden. Mit dem, was sie wissen und zu sagen haben, bleiben sie ungehört.

Subalternität als DNA der Kirche?

Freilich sind das Einzelfälle, die ich nicht verallgemeinern möchte. Solche Erfahrungen sind immer relativ und sicher geht es anderswo anders zu. Aber vielleicht sind solche Wahrnehmungen gar nicht so außergewöhnlich, wenn ich an die vielen Pfarrgemeinderäte, Kirchenverwaltungen, Mesner*innen etc. denke, die ebenfalls etwas zu sagen haben und doch bei ihrem Pfarrer auf taube Ohren stoßen. Subalternität ist tief in unser kirchliches System eingeschrieben und sie ist wohl auch ein Grund dafür, dass der angestoßene synodale Weg so viele Hoffnungen weckt. Denn eine bloße Reproduktion des bisherigen Systems kann es nach der erschütternden Missbrauchskrise nicht mehr geben.

Wissen, Raum und Macht

Vielfach wurde bereits der Machtdiskurs als Ursache dieser Subalternität des Gottesvolkes gegenüber der kirchlichen Hierarchie bemüht. Das Gefälle zwischen den mächtigen Klerikern und den ohnmächtigen Gläubigen, das sich in der Praxis immer wieder deutlich zeigt, mag freilich ein Grund dafür sein. Doch ich sehe noch eine weitere Größe am Werk, die ebenfalls dieses prekäre System reproduziert, und die sehr eng mit der Macht verbunden ist: das Wissen.

Schon Michel Foucault hat in „Überwachen und Strafen“ auf die untrennbare Verbindung von Macht und Wissen hingewiesen; der französische Soziologe Henri Lefebvre hat Foucaults binäre Codierung um eine dritte Größe ergänzt: den Raum. Wissen, Macht und Raum bilden demgemäß eine brisante Trias aus, deren Wechselwirkungen überall dort anzutreffen sind, wo es Menschen mit einer dieser drei Größen zu tun bekommen. Am konkretesten fassbar ist hierbei der Raum, da es aufgrund der raumzeitlichen Struktur dieser Welt kein Leben außerhalb des Raumes geben kann. Menschen leben in Räumen und bringen durch ihr soziales Handeln immer neue Räume hervor, so die Einsicht von Lefebvre.

Das Prekäre an dieser Raumproduktion ist, dass sie immer auch mit Macht und Wissen zusammenhängt, auch wenn beide nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar sind. Doch wer eine Spitze des Dreiecks für sich beanspruchen kann, der kann auch auf die anderen beiden relativ leicht zugreifen. Besonders Macht und Wissen ragen hierbei heraus: Wer das nötige Wissen besitzt, ist bevollmächtigt, einen bestimmten Raum zu produzieren und diesen immer neu zu reproduzieren. Dreht man diese Einsicht, wächst sie sich immer weiter zum Problem aus: Wer nämlich nicht das nötige Wissen besitzt, hat keine Chance, sich in die Raumproduktion einzubringen. Er oder sie wird zum*zur Subalternen, der*die sich ohnmächtig in ein System einfügen muss und stumm bleibt.

Ohnmacht durch theologische Wissenslücken

Ekklesiologisch ist diese Einsicht höchst brisant, denn sie offenbart, dass die Macht in der Kirche keine unsichtbare Größe ist, die einfach da ist, sondern dass sie ihren konkreten Ausdruck in einer bestimmten Raumproduktion findet, die untrennbar mit einem Wissen verdrillt ist. Wie dieser Raum der Kirche reproduziert wird, hängt an denen, die das notwendige Wissen besitzen. Dass dieses Wissen als Disziplinarmacht eingesetzt werden kann, hat sich in den vergangenen Jahrhunderten auf erschreckende Weise gezeigt. Man denke nur an die Höllenvorstellungen, mit denen dem einfachen Volk Angst gemacht wurde, um den eigenen, feudal eingerichteten Raum zu reproduzieren. Und man braucht sich nicht zu wundern, dass die tridentinische Messe von den Gläubigen schnell zum Hokuspokus verkommen ist; nicht, weil sie an die Zauberkraft des Priesters glaubten, sondern weil ihnen schlicht und ergreifend das Wissen vorenthalten wurde, das nachzuvollziehen, was dort gefeiert wurde. Wer weiß schon, was heute noch manchem Gläubigen im Beichtstuhl eingeredet wird und wie oft Sakramente immer noch als magisches Ritual verstanden werden.

Geteiltes Wissen als Weg aus der Krise

All dies zeigt meines Erachtens sehr deutlich, dass es nicht nur darum gehen kann, eine Gewaltenteilung einzufordern, die den Getauften mehr Macht ermöglicht. Es geht auch um eine Teilung von Wissen. Denn Wissen ist bekanntlich Macht und in diesem Fall eine sehr konkrete Form, um sich Macht zu sichern und auf eine Raumproduktion zuzugreifen. Doch wo dieses Wissen nicht geteilt wird, wo dieses Wissen auf einige wenige beschränkt bleibt, wird ein Disziplinarraum reproduziert, der immer mit dem Problem der Subalternität behaftet bleibt. Das ist aber nur für die wirklich ein Problem, die in dieser Raumproduktion ohnmächtig sind; für die, die über Wissen und Macht verfügen, mag es ganz günstig sein, nicht auf jede*n hören zu müssen, der*die etwas sagt. Dies erzeugt ein zutiefst prekäres System, mit dem unsere kirchlichen Strukturen nachhaltig belastet sind.

Ich halte es daher für einen ersten und sehr wichtigen Schritt, miteinander Wissen zu teilen. Das Christentum ist keine Arkandisziplin, in der das Wissen einigen wenigen vorbehalten ist. Die Christ*innen der ersten Jahrhunderte haben dies sehr nachdrücklich betont, indem sie sich klar von der Gnosis abgegrenzt haben. Für heute heißt das aber auch: Es kann nicht angehen, dass in der Kirche nur bestimmte Personen ein theologisches Wissen für sich beanspruchen, das zu teilen sie nicht bereit sind. Eben dies begünstigt einen Raum, in dem Subalternität ständig reproduziert wird.

Getaufte Gläubige müssen vielmehr „Mitwisser*innen“ sein, sie müssen über ihren Glauben Bescheid wissen und verstehen, was sich z.B. in der Feier der Eucharistie ereignet. Dieses Wissen haben die Gläubigen nicht von sich aus. Sie sind darauf angewiesen, dass die, die es besitzen, es mit ihnen teilen. Und das ist der entscheidende Punkt: Erst wenn die Getauften auch ein hinreichendes Wissen besitzen, haben sie eine Macht erlangt, die Raumproduktion zu beeinflussen. Eben darum geht es ja: Dass man auf Augenhöhe miteinander agiert und dass man etwas zu sagen hat – und damit auch Gehör findet.

Warum manchen Gläubigen trotz ihres Wissens vieles nicht zugetraut wird, mag darin begründet liegen, dass damit die Gefahr einhergeht, eine bestehende Reproduktion des Raumes zu unterlaufen. Weil andere durch ihr Wissen ja auch die Macht anfassen können, Räume anders zu produzieren. Und das macht die Sache unbequem. Zumindest für diejenigen, die momentan noch sehr exklusiv die Herstellung von Räumen für sich beanspruchen.

Mein Vorschläge lauten daher: 1. Wissen unbedingt mit anderen teilen; die Gläubigen dazu befähigen und ausbilden, ihre Dienste eigenständig, reflektiert und differenziert wahrnehmen zu können. Und 2.: Den Gläubigen die Dienste, für die sie berufen sind, zutrauen – und die Sorge aufgeben, man könnte nicht mehr alles kontrollieren und dabei selbst plötzlich in die Subalternität abrutschen. Was geschehen kann, wenn beides beachtet wird, ist eine Raumproduktion, die sich in der Interaktion von Klerikern und Laien auf Augenhöhe einstellen kann. In einem solchen Raum gibt es keine Subalternen mehr. Hier bleibt niemand mehr ohnmächtig außen vor, weil jede*r das nötige Wissen besitzt, um miteinander jenen Raum herzustellen, in dem das Reich Gottes schon hier und heute zu wachsen beginnen kann. Und das ist schließlich die ureigenste Sendung der Kirche.

Hashtag der Woche: #wissenistmacht


(Beitragsbild: @ninocare)

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fabian brand

studierte in Würzburg und Jerusalem Katholische Theologie. Er wurde mit einer Arbeit über eine topologische Theologie promoviert und arbeitet derzeit an einer Habilitationsschrift, die sich mit dem Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils auseinandersetzt.

One Reply to “Machtfaktor Wissen. Warum es nicht reicht, nur über Macht in der Kirche zu sprechen.”

  1. Den Raum teilen alle – am Wissen beteiligt sind wenige – die Macht in Glaubensgemeinschaften zu teilen bleibt die grosse Aufgabe – was zählt ist, dass jedem Charisma Raum gegeben wird.

    Es ist wohl eine Binsenwahrheit, dass die Produktion religiösen Wissens in den Händen jener liegt, die sich solches Wissen angeeignet haben. Die Geltungsmacht, die daraus entsteht, ist fatal für Glaubensgemeinschaften, die sich dadurch wenig entfalten können. Fabian Brand nimmt nun mit seinen Vorschlägen diese spezifische Gefährdung im innerkirchlichen Macht-Gefälle unter die Lupe und führt mit Recht die Kategorie des ‘Raumes’ ein. Dabei verunmöglicht m. E. nur schon die Tatsache, dass die Macht auf wenige beschränkt bleibt, die Öffnung auf eine Raum-Produktion, in der sich alle Charismen entfalten können.

    Wie sich diese auf dogmatischer Ebene bis heute tiefsitzende Blockade im Verhältnis zwischen Beauftragten (so genannten Klerikern) und den Getauften als engagierten Personen im Volk Gottes lösen lässt, war u. a. das Anliegen von Leonardo Boff. Sein Buch «Kirche: Charisma und Macht» – 1981 auf Portugiesisch und 1985 auf Deutsch erschienen, versammelte mehrere Arbeiten. Diesen lag die Vision einer Kirche von unten und damit einer partizipativ aufgebauten Kirche zugrunde. Man wünschte sich, dass die Reflexionen Boffs, die sowohl das jeweilige Machtgefüge in Geschichte und Gegenwart der Kirche wie ihre Positionierung in einer Gesellschaft von Unterprivilegierten neu durchdachten, den dogmatischen Diskurs heute neu belebten. Diese Arbeiten führten nämlich deutlich weiter als die vorgängig diskutierten Beiträge von Hans Küng (Die Kirche, 1967) oder von Gotthold Hasenhüttl (Charisma. Ordnungsprinzip der Kirche, 1969). Eine gewichtige Kernpassage der Boff’schen Sicht lautet denn auch: «Die Gemeinschaft als ganze – und nicht nur einige ihrer Mitglieder – versteht sich als Inhaberin der Macht. Dabei ist sie alles andere als anarchisch, als ob sie von jeder Macht und Organisation absehen könnte. Nur ist sie gegen das Prinzip alle Macht in den Händen eines Stabs von Spezialisten, der ausserhalb und oberhalb der Gemeinschaft angesiedelt ist, monopolartig zu konzentrieren. Nach Möglichkeit gehen die Aufgaben der Koordinierung und Verlebendigung reihum. Macht ist eine Funktion der Gemeinde und nicht einer einzelnen Person. Was abgelehnt wird, ist nicht die Macht als solche, sondern ein Machtmonopol, das zur Enteignung der Mehrheit zugunsten einer Elite führt. Aus dieser Grundhaltung heraus beargwöhnen nicht gerade wenige Gemeinschaften jedes Vokabular, das auf Autoritarismus und Machtkonzentration hindeuten könnte (Leiter, Animator, Chef, Koordinator).» (op. cit. VIII. Merkmale der Kirche in einer Klassengesellschaft 195-221, 3.e. 212: «Kirche als koinonia der Macht»)

    CH-6005 St. Niklausen LU Dr. Theol. Stephan Schmid-Keiser
    schmidkeiser@bluewin.ch

    Der in Liturgiewissenschaft promovierte Theologe und langjährige Seelsorger Stephan Schmid-Keiser (* 1949) war u. a. in mehreren Pfarreien des Bistums Basels als Gemeindeleiter a. i. tätig. Nachberuflich erfüllte er 2016/2017 die Aufgabe als Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. Seine Dissertation schrieb er zum Thema Aktive Teilnahme. Kriterium gottesdienstlichen Handelns und Feierns. Zu den Elementen eines Schlüsselbegriffes in Geschichte und Gegenwart des 20. Jahrhunderts. Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie: Band 250. Bern, Frankfurt/M., New York 1985. 854 Seiten.

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