Eva Puschautz bietet heute Überlegungen zur Aktualität von feministischer Bibelwissenschaft an und schreibt, warum ebendiese – immer noch – so notwendig ist.
Es gibt viele Theolog*innen, die schon beim Hören des Begriffs „feministische Bibelwissenschaft“ hauptsächlich Negatives damit assoziieren. Feminismus hat vielerorts – gerade in der katholischen Kirche – einen schlechten Ruf. Alles Kämpferinnen, die keinen Blick für die Realität haben, hört man dann. Außerdem, was wollen die am Verständnis der Bibel herumpfuschen? Das ist nicht notwendig. Das wurde immer schon so ausgelegt und so muss es bleiben.
Wirklich?
Auf der Suche nach neuen Deutungsmöglichkeiten biblischer Texte
Feministische Bibelwissenschaft hat zum Ziel, einen Riss in den Malestream biblischer Rezeptionsgeschichte zu bringen, indem sie das Lesen der Bibel aus Perspektive von Frauen miteinschließt.1 Diese Definition von Elisabeth Schüssler Fiorenza, einer der großen feministischen Bibelwissenschaftlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, bringt es auf den Punkt: Feministische Bibelwissenschaft liest biblische Texte aus der Perspektive von Frauen.
Die Bibel ist ein Text, der von Männern in einer patriarchalen Gesellschaft geschrieben und danach tausende Jahre lang von Männern ausgelegt worden ist. Über die Jahre hinweg sind weibliche Perspektiven weitgehend unbemerkt geblieben, wenn nicht sogar unterdrückt worden. Dies bewusst zu machen und nach anderen Deutungsmöglichkeiten zu suchen, ist feministische Bibelwissenschaft.
Diese neuen Deutungsmöglichkeiten streben aber nicht nur die Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern ein Ende aller Ungleichheiten an. Darunter fällt unter anderem auch Ungleichheit aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung oder kolonialer Unterdrückung.
Die 2010 beim Treffen der „Society of Biblical Literature“ von den dort anwesenden Autor*innen erarbeitete Feminismus-Definition nimmt dies in den Blick.
„Feministische Arbeit:
darf die Unterordnung von Frauen nicht verfestigen oder verstärken, sondern muss sie hinterfragen/erschüttern/untergraben;
muss die Wertschätzung und Achtung für die Erfahrung von Frauen reflektieren, dadurch dass sie deren Leistungsvermögen und Handlungsfähigkeit anerkennt;
muss sowohl für den unmittelbaren als auch nach Möglichkeit für den erweiterten Kontext sensibel sein;
muss einen kritischen Blick dafür haben, wie Frauen sich der Unterdrückung, Herrschaft und Gewalt nicht nur widersetzen, sondern sie auch unterstützt haben;
muss als Konsequenz sowohl weitreichende Veränderungen in Religion und Gesellschaft als auch politische wie revolutionärer Bedeutsam haben [sic!]. Deshalb muss sie praktisch, diesseitig, umgestaltend, erneuernd und übergangbegleitend sein.“
Feministische Bibelwissenschaft darf sich also nicht hinter Schreibtischen und in Nischenprojekten verstecken, sondern muss das große Ganze im Auge behalten und für nachhaltige Veränderungen zugunsten Unterdrückter kämpfen.
Ein Kampf gegen das Kyriarchat
Ihre Wurzeln hat feministische Bibelwissenschaft in den Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts. Als Frauen sich ihre grundlegenden Mitspracherechte in Politik und Gesellschaft erkämpft hatten, begannen auch Frauen in der Theologie ihre Position zu überdenken und all die Punkte zu sehen, in denen zwar über sie, aber nicht mit ihnen gesprochen wurde. In der christlichen Theologie war hier naturgemäß die Auseinandersetzung mit der Bibel ein gewichtiges Thema. Frauen erkannten und sprachen laut aus, dass seit Beginn der Bibelauslegung Männer die Deutungshoheit über die Heiligen Schriften des Christentums hatten und damit das christliche Weltbild von allen Geschlechtern geprägt hatten. Hätte es zum Beispiel über 2000 Jahre gebraucht um Maria Magdalena als Apostelin anzuerkennen, wenn von Anfang an auch Frauen wirkmächtige Auslegungen zu Bibeltexten geschrieben hätten?
Heute betonen Feminist*innen aus allen Religionen und Ländern, dass die Heiligen Schriften und Überlieferungen der drei abrahamitischen Religionen aus der Perspektive von privilegierten Männern formuliert und ausgelegt wurden. Sie spiegeln also die Sicht von Frauen, Armen oder versklavten Bevölkerungsteilen nicht unbedingt wider.
Feministische Bibelwissenschaft sieht ihre Verantwortung also nicht nur in der Gleichstellung von Männern und Frauen, sondern darin, alle weiteren Ungleichstellungen zu identifizieren, anzusprechen und, nach Möglichkeit, Lösungen aufzuzeigen. Schlussendlich geht es um einen Frontalangriff auf lang gewachsene, patriarchale und kyriarchale Machtstrukturen. Kyriarchat ist ein Begriff, den Elisabeth Schüssler Fiorenza geprägt hat, um auszudrücken, dass das Patriarchat nicht das einzige Problem ist, wenn es um die Unterdrückung von Minderheiten geht. Kyriarchat ist die Herrschaft der Herrschenden und drückt damit aus, dass Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht einzig die Unterdrückung der Frau durch den Mann ist, sondern viele Facetten hat.
Die Fragen bleiben aktuell
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, warum feministische Bibelwissenschaft kein Thema ist, das wissenschaftlich abgearbeitet ist, sondern, ganz im Gegenteil, sich wieder stärker und lauter im theologischen Feld behaupten muss. Die Gleichstellung der Geschlechter ist noch lange nicht erreicht. Es gibt weiterhin Unterdrückung und Ausgrenzung. Unsere Gesellschaft ist weiterhin von patriarchalen und kyriarchalen Strukturen geprägt. Frauen haben es auch heute wesentlich schwerer als Männer, beruflich aufzusteigen und es gibt immer noch zu viele Gesellschaften, in denen es als Schicksalsschlag angesehen wird, wenn einer Familie anstatt eines Sohnes eine Tochter geboren wird. Das wirklich Schockierende jedoch ist, dass dort, wo feministische Exegese im letzten Jahrhundert einen Aufschwung erfahren hatte, sie sich mittlerweile oft in eine Nische zurückzieht, um den universitären, patriarchalen Strukturen zu entsprechen. Abgesehen davon gibt es laute Stimmen, die meinen, Gleichberechtigung der Geschlechter sei schon erreicht und der Feminismus möge sich nun wieder zurückziehen.
Das Ziel sollte letztlich darin bestehen, die europäische und patriarchal geprägte Vormachtstellung, die längst nicht nur die Theologie, sondern viele Wissenschaftsdiskurse bis heute prägt, zugunsten eines universalen und intersektionalen Blicks hin aufzubrechen.
Bis das erreicht ist – und besonders die katholische Kirche hat hier einen weiten Weg vor sich – ist feministische Theologie, egal in welchem Fachbereich, wichtig, berechtigt und darf sich den Mund nicht verbieten lassen.
Hashtag der Woche: #InclusionRider
(Beitragsbild @Markus Spiske)
1 Schüssler Fiorenza, Elisabeth, Zwischen Bewegung und Akademie. Feministische Bibelwissenschaften im 20. Jahrhundert, in: Schüssler Fiorenza, Elisabeth; Jost, Renate; Fischer, Irmtraud; u.a. (Hgg.), Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert (Die Bibel und Frauen 9,1), Stuttgart 2015, 13-29, 13.