Immer wieder werden gesetzliche Anstrengungen unternommen, um Sexarbeiter*innen zu schützen. Kathrin Senger stellt verschiedene Modelle vor und fragt: Wie kann eine sinnvolle Gesetzgebung aussehen?

Als am 1. Januar 2002 das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (Prostitutionsgesetz – ProstG) in Kraft trat, wurde damit die Sittenwidrigkeit der Sexarbeit in Deutschland aufgehoben. Hintergrund dieser neuen Regelung war der Gedanke, die Situation von Sexarbeiter*innen zu verbessern und kriminelle Begleiterscheinungen zu minimieren. Damals von der rot-grünen Regierungskoalition initiiert, wird nun 17 Jahre später – angestoßen von SPD und CDU – erneut über eine Neuregelung der Sexarbeit diskutiert. Der Gedanke, die rechtliche Stellung von Sexarbeiter*innen zu verbessern und Zwangsprostitution zu bekämpfen, ist immer noch der gleiche. Doch die Durchsetzung dieser Ziele soll nun anders aussehen: Angestrebt wird das sogenannte nordische Modell.

1999 in Schweden entwickelt und eingesetzt, stellt es eine Methode der Prostitutionsbekämpfung dar, die den Kauf von Sexarbeit verbietet. Bestraft werden bei diesem Modell nicht Sexarbeiter*innen, sondern Käufer*innen der sexuellen Dienstleistung.

Widerspricht Sexarbeit der Menschenwürde?

Lange Zeit herrschte nicht nur in der Rechtspolitik Einigkeit darüber, dass Sexarbeit der Menschenwürde widerspricht. Heute wird die freiwillige Ausübung von Prostitution von der Politik und der Rechtsprechung zwar nicht mehr als Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet, ist aber dennoch ein häufiges Argument gegen die Liberalisierung von Sexarbeit.

Im Jahr 2017 wurde mit dem „Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Prostituiertenschutzgesetz – ProstSchG) eine ganze Reihe an Regelungen verabschiedet, die die Sexarbeit durch Verwaltungsinstanzen besser kontrollierbar machen und die Menschenwürde von Sexarbeiter*innen besser schützen sollen.

Nach § 2 I ProstSchG gilt jede sexuelle Handlung gegen Entgelt als sexuelle Dienstleistung. Geld muss dabei nicht mit im Spiel sein. Wer nun sämtliche Situationen im Kopf hat, in denen sexuelle Handlungen gegen ein materielles Gut jeglicher Art eingetauscht werden, hat das Ausmaß des Anspruchs, dem diese Regelung gerecht werden möchte, ganz gut begriffen. Ganz zentral im neuen ProstSchG sind die Anmeldepflicht und die damit verbundene Pflicht zur Gesundheitsberatung.

Was zunächst sinnvoll erscheinen mag, wird auf den zweiten Blick höchst problematisch. Die Pflicht zur Anmeldung zwingt die in der Sexarbeit tätigen Personen dazu, ihre Anonymität aufzugeben. Gerade diese ist für viele Sexarbeiter*innen aber wichtig und trägt zu einer selbstbestimmten Ausübung ihres Berufs bei. Die Gefahr, abgewertet, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden, ist hoch. Darüber hinaus erleichtert die Anmeldepflicht, die Praxis, sexuelle Handlungen unter Androhung der Veröffentlichung der Tätigkeit zu erpressen. Die verpflichtende Gesundheitsberatung im Vorfeld erfordert außerdem noch, dass die Sexarbeiter*innen intime Details einer fremden Person anvertrauen. Ob so die Menschenwürde der Betroffenen geschützt wird, ist fraglich. All das führt im Ergebnis jedenfalls dazu, dass viele Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, diese Anmeldepflicht nicht wahrnehmen und in so in die Illegalität gedrängt werden.

Sexarbeit und Menschenhandel

Nun gibt es leider nicht nur freiwillige Sexarbeiter*innen. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, häufig als Zwangsprostiution bezeichnet, ist leider auch ein Teil unserer Realität. Auch davor möchte das ProstSchG schützen. Doch gerade die Opfer von Zwangsprostitution fallen bei diesem Gesetz völlig durchs Raster. Denn wenn es nach dem ProstSchG geht, sollen ausländische Sexarbeiter*innen eine Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung vorweisen.

Gerade die Opfer von Zwangsprostitution und Menschen, die sich durch prekäre Lebensumstände zur Prostitution gezwungen sehen, sind häufig aber genau diejenigen, die keine gültigen Papiere besitzen und sich damit auch nicht anmelden können. Auch im Rahmen einer Gesundheitsberatung werden sich traumatisierte Opfer nicht mal eben einer völlig fremden Person anvertrauen. Man kann also davon ausgehen, dass sich diejenigen, auf die das Gesetz unter anderem abzielen möchte, niemals bei einer Behörde oder Gesundheitsberatung vorstellen und dort Hilfe suchen. Diese Regelungen erscheinen vor diesem Hintergrund realitätsfern und naiv.

Sexkaufverbot als Lösung?

Ist nun vielleicht doch das nordische Modell die bessere Lösung? Im Gegensatz zu freiwilliger Sexarbeit ist Zwangsprostitution ein grausames Verbrechen, welches in aller Schärfe geahndet gehört. Sexarbeiter*innen müssen unbedingt vor Gewalt, Zwang und Ausbeutung geschützt werden. Doch muss klar werden, ob ein generelles Sexkaufverbot die Fälle von Zwangsprostitution tatsächlich verringern und die Situation von Sexarbeiter*innen allgemein verbessern würde. Denn die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen ist da und war schon immer da. Das „älteste Gewerbe der Welt“ trägt diesen Namen nicht umsonst. Das nordische Modell ist keine Zauberformel, durch die es keine Nachfrage mehr nach Sexarbeit gibt. Vielmehr wandert diese durchaus gefragte Sexarbeit dann eben in schwer kontrollierbare Milieus ab. Menschenhändler*innen werden sich kaum dafür interessieren, ob der Kauf von sexuellen Dienstleistungen nun verboten ist; Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist bereits ein Straftatbestand und wird dennoch begangen.

In Schweden, wo das nordische Modell nun schon seit 20 Jahren praktiziert wird, haben die beiden Forscherinnen Jay Levy und Pye Jakobsson Sexarbeiter*innen zu ihrer Situation und ihrer Einschätzung des nordischen Modells befragt.1 Die befragten Personen gaben an, dass das Verbot negative Auswirkungen auf sie habe. Das Risiko entdeckt zu werden, führe zu einem Zeitdruck, sodass Verhandlungen mit der Kundschaft über die Erbringung der Dienstleistung auf der Strecke bleiben, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, Kontaktinformationen zu erfragen. Da das Modell den Kauf von sexuellen Dienstleistungen verbietet, den Verkauf aber nicht, sind die Sexarbeiter*innen dazu verpflichtet, Steuern auf ihre Einnahmen zu zahlen. Die schwedischen Finanzämter erkennen die Tätigkeit der Sexarbeit aber nicht an, sodass die Prostituierten schlussendlich nur zwischen Schwarzarbeit oder der Angabe einer anderen Tätigkeit wählen können. Aus Angst, verraten zu werden, ließen sich die Sexarbeiter*innen nun auch häufiger auf Kundschaft ein, die sie früher abgelehnt hätten, und ließen sich außerdem auch eher zu sexuellen Praktiken drängen, die sie eigentlich nicht vollziehen möchten.

Zwar besteht im nordischen Modell gerade die Option, Kundschaft anzuzeigen und selbst straffrei zu bleiben, jedoch ist das dann auch nicht förderlich für das eigene Geschäft. Die Studie der beiden Forscherinnen kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass sich das Phänomen der Prostitution viel mehr an andere Orte und in andere Formen verschoben hat, statt sich maßgeblich zu verringern. Zusammenfassend hat sich die Lage für Sexarbeiter*innen in Schweden also verschlechtert. Nicht außer Acht zu lassen ist außerdem die Tatsache, dass sich gerade im Süden Schwedens die Prostitution schlicht nach Dänemark verlagert hat. So mag es zwar insgesamt sein, dass sich die sichtbare Sexarbeit verringert hat, unklar ist aber, wie viel davon nun durch das Internet aufgefangen wird oder stattdessen vermehrt im Nachbarland stattfindet.

Worum geht es der Gesetzgebung?

Vor diesem Hintergrund muss bei all den guten und unterstützungswürdigen Zielen wie der Bekämpfung von Zwangsprostitution, Opferschutz und Erhaltung der Würde von Sexarbeiter*innen, die Frage gestellt, worum es hier wirklich geht. Trotz eindeutiger Nachweise, dass das Verbot von Sexarbeit diese nicht verschwinden lässt, sondern nur weiter in unsichere, kriminelle Milieus lenkt und die Situation von Sexarbeiter*innen sich im Gegenteil verschlechtert, wird in Deutschland nun über die Einführung des nordischen Modells verhandelt. Es entsteht der Eindruck, man möchte damit vollkommen an der Realität von Betroffenen vorbei eigene Moralvorstellungen durchsetzen und unter dem Deckmantel des Opferschutzes freiwillige Sexarbeiter*innen bevormunden. Man spricht ihnen dadurch die Fähigkeit ab, selbst über ihre Menschenwürde zu urteilen und lässt dabei außerdem noch außer Acht, dass eine Tätigkeit, die sich nicht mit den Moralvorstellungen der meisten Menschen deckt, nicht automatisch die Menschenwürde verletzt.

Sexuelle Begegnungen müssen nicht allein deshalb ohne Respekt und Achtung der Würde der einzelnen Personen ablaufen, weil sie im Rahmen von Sexarbeit stattfinden. Vielmehr sollte den freiwilligen Sexarbeiter*innen zugetraut werden, dass sie selbst entscheiden können, was ihre Menschenwürde verletzt und was nicht. Wer die Situation von Sexarbeiter*innen verbessern möchte, sollte nicht über sie, sondern mit ihnen reden. Ihnen sexuelle Selbstbestimmung zugestehen und nicht die eigene Moral aufdrängen.

Dass die Nachfrage nach Sexarbeit besteht, ist eine Realität, die sich nicht verdrängen lässt. Auch nicht durch ein Verbot. Wer trotz eigener widersprechender Sexualmoral dieses Faktum anerkannt hat, kann auf der Grundlage von Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen ein echtes Gespräch mit Sexarbeiter*innen beginnen und fragen, was sie sich wirklich wünschen.

Wer sich dennoch vehement gegen Sexarbeit ausspricht und das nordische Modell befürwortet, sollte einmal der Frage nachgehen, warum sexuelle Dienstleistungen überhaupt erwünscht sind und welche gesellschaftlichen Rollenbilder eventuell ihren Teil dazu beitragen. Ein Ansatz, der sich mit der Ursächlichkeit statt schlichter Symptombehandlung beschäftigt, würde vermutlich nachhaltig und deutlich erfolgreicher die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen verringern.

Die Prohibition allein sorgt jedenfalls dafür, dass Sexarbeit viel mehr in kriminelle Milieus abrutscht, die noch schwieriger zu kontrollieren sind. Die Sexarbeiter*innen selbst werden vermehrt der Abhängigkeit, der Ausbeutung und der Infektion mit schweren Krankheiten ausgesetzt. So kann keine Lösung aussehen, die die Würde von Sexarbeiter*innen schützen und deren Lebenssituation verbessern möchte.

Hashtag der Woche: #soldsex


(Beitragsbild: @kaip)

Levy/Jakobsson (2014), Sweden’s abolitionist discourse an law, in: CCJ, 593ff.

Quellen:
Boehme-Neßler, Volker: Anmeldepflicht für Prostituierte – Staatliches Stigma? Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2019, 13-16 – Beck Online.

Kreuzer, Arthur: Prostitutionsgesetzgebung und Opferschutz. Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2016, 148-151 – Beck Online.

Levy, Jay/ Jakobsson, Pye: Sweden’s abolitionist discourse an law – Effects on the dynamics of Swedish sex work and the lives of Sweden’s sex worker’s, in: Criminology an Criminal Justice (CCJ), S. 593-607.

Vogeler, Lena: Rechtliche Prävention von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Ein Rechtsvergleich unter besonderer Berücksichtigung der Prostitutionspolitiken Deutschlands und Schwedens. LIT Verlag Berlin, Münster: 2018. S. 328-333, S. 269-273.

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kathrin senger

studiert Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und arbeitet dort als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte.

One Reply to “Das nordische Modell – Sexkaufverbot zum Schutz der Menschenwürde?!”

  1. Dem Artikel ist in der Sache nichts hinzu zu fügen. Trifft den Nagel auf den Kopf!
    Allerdings sind es nicht die SPD und die CDU als solche, sondern zunächst mal nur Teile beider Parteien, die dem Nordischen Modell zustimmen.
    Und bislang sind es zum Glück nur recht Wenige, die dieses Ziel gar mit religiösem Eifer – quasi einer Sekte gleich – verfolgen. Die völlig beratungsresistent sind und alles am besten wissen. Von denen man sonst nichts mehr hört. Die offensichtlich nachts nicht mehr schlafen können.

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