Neue Technologien, andere Ängste, selbes Schema – mit diesen Stichworten lässt sich die Debatte um CRISPR-Cas9 und seine Anwendung zusammenfassen. Im zweiten Teil seines Artikels erläutert Filip Friedrich seine asimovsche Idee möglicher Regeln für die Genschere.

  1. Menschen sind frei, über Interventionen zu entscheiden. Jedoch dürfen diese, wenn sie sich auch auf nachfolgende Generationen auswirken, nur eine Steigerung von individuellen Dispositionen zum Primärziel haben.

Jede Person soll darüber entscheiden können, was mit ihr geschieht, selbst wenn sie sich selbst Schaden zufügen möchte, so soll ihr dies im Rahmen des Versuchs von maximaler Freiheit möglich sein, so lange sie damit niemandem schadet, außer sich selbst. Das bedeutet, dass Interventionen, welche nicht die Keimbahn tangieren (also auch nicht vererbbar sind), generell erlaubt sein sollen. Keimbahninterventionen sollen jedoch der Nachfolgegeneration insofern nicht zum Nachteil gereichen können, als dass sie von einer Minderung von Dispositionen betroffen sein können. Das heißt beispielsweise, dass das bewusste Krankmachen der eigenen Nachkommen und somit potenziell der gesamten Menschheit in misanthropischer Absicht unmöglich werden soll. Eine Steigerung von Dispositionen wie Intelligenz, Gesundheit, etc. soll auch bei vererbbaren Eingriffen erlaubt sein.

 

  1. Kein Mensch darf aufgrund seiner genetischen Disposition bevorzugt oder benachteiligt werden, ausschlaggebend soll das faktisch ausgeprägte Vermögen einer Person sein.

Die ohnehin schon vorhandenen Diskrepanzen hinsichtlich Bildungs-, Partizipations- und Aufstiegsmöglichkeiten aufgrund von ökonomischem und kulturellem Kapital sowie Unterschiede im Zugang zum Gesundheitssystem seien an dieser Stelle einmal beiseitegelassen: Ein großes Problem in der CRISPR-Debatte sind die Bedenken, dass die menschlichen Unterschiede hinsichtlich Intelligenz, Bildungsstand, Gesundheit, Leistungsvermögen etc. sich durch die Genomedierung zu weiteren sozialen Spannungen hin verschärfen: Menschen mit optimiertem Erbgut könnten bessere Chancen im Berufsleben haben, da sie potentiell als gesünder, leistungsfähiger oder intelligenter gelten würden – gewissermaßen ein Traum für jede*n Arbeitgeber*in. Wenn er*sie die Wahl bei der Besetzung einer neuen Position hätte, die Wahl würde aus ökonomischer Sicht wohl durchgängig auf eine edierte Person fallen. Dem ist so entgegenzuwirken, dass nur die tatsächlich vorhandene Leistungsfähigkeit, Qualifikation oder Intelligenz eine Rolle spielen sollte und nicht etwa die Hoffnung, die in eine edierte Person gesetzt wird. Auch die Würdigung von Leistungen sollte sich dementsprechend auch an der individuellen Leistungsfähigkeit und nicht ausschließlich am Resultat orientieren, sondern in Relation gesetzt werden. Konkret hieße das beispielsweise, dass zwei Personen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit bei gleichem Ergebnis eine differenzierte Würdigung zuteilwird, also die Person, die für das gleiche Ergebnis mehr Aufwand betreibt, mehr gewürdigt wird.

 

  1. Kein Mensch darf aufgrund seiner genetischen Disposition instrumentalisiert bzw. für gewisse Aufgaben in die Pflicht genommen werden.

Ein Argument für das Verbot von genetischen Eingriffen an menschlichen Embryonen richtet sich darauf, dass hier ein Mensch instrumentalisiert beziehungsweise um seinen Selbstzweck gebracht wird, wenn seine Eltern über die genetische Ausstattung verfügen. Diese Bedenken würden dahingehend zutreffend sein, wenn sich daraus schlussfolgern ließe, dass eine Person aufgrund ihrer genetischen Disposition zu etwas gezwungen sei. Dem ist zunächst entschieden entgegenzuhalten, dass solch ein geradezu fatalistisch anmutender genetischer Determinismus die Ganzheit des menschlichen Daseins verkennt. Wesentlich ist jedoch das Argument, dass, nur weil man etwas potenziell gut kann, es noch lange nicht tun muss. Dennoch muss diese Sorge ernstgenommen werden und es erscheint im Sinne eines verantwortungsbewussten, um die Gefahren dieser Technologie wissenden Umgangs nur folgerichtig, die Freiheit einer unmündigen, nicht für sich selbst sprechen könnenden Person mit gesundem Zweifel an der advokatischen Rolle von Elternteilen, hier maximal zu schützen.

 

  1. Kein Mensch darf dazu verpflichtet werden, für eine optimierte genetische Ausstattung seiner selbst oder seiner Nachkommen zu sorgen.

Weiterhin ist es im Hinblick auf zeitgeistliche Entwicklungen denkbar, dass, wenn die Genomintervention erlaubt würde, dies den gesellschaftlichen Druck hin zur Selbstoptimierung verstärken und es zukünftig als geradezu unverantwortlich gelten könnte, die genetischen Grenzen seiner selbst oder der eigenen Nachkommen nicht zu verschieben, um noch leistungsfähiger zu sein. Dem ist durch ein solches Regularium entgegenzuwirken. Außerdem bietet das Gestatten von solchen Eingriffen – das vorgebrachte Argument quasi umkehrend – auch die Möglichkeit, die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Akzeptanz von individuellen Grenzen zu erschaffen und somit einen Kontrapunkt gegen gesellschaftliche Zwänge hin zur Optimierung zu setzen.

 

  1. Jeder geborene Mensch hat ein Recht auf Krankheit und (ein Existenzrecht trotz seiner) Unvollkommenheit, es dürfen ihm keine Nachteile in gesellschaftlicher Teilhabe oder Versorgung entstehen.

Genauso problematisch ist die Möglichkeit, dass einhergehend mit dem Druck hin zur Optimierung auch eine noch weiter fortschreitende gesellschaftliche Ächtung oder ökonomische Benachteiligung oder gar Sanktionierung von Krankheit und Unvollkommenheit entsteht. Von Sondertarifen in der Gesundheitsversorgung für genetisch optimierte Menschen, die weniger krank sind, über Sanktionen, wenn ein Mensch trotz diagnostizierter, jedoch durch Genomintervention potenziell heilbare Krankheit, erkrankt geboren wird, bis hin zu Haltungen à la „das muss man ja heute nicht mehr haben, selber schuld, wenn man das Kind so auf die Welt kommen lässt“ – das Spektrum an gesellschaftlichen Negativkonsequenzen ist breit. Solchen Tendenzen ist durch ein Recht auf Krankheit (was nicht ein Anrecht auf eine angeborene Krankheit meint, sondern sich auf einen bereits geborenen Menschen bezieht) und ein Anrecht auf Unvollkommenheit entgegenzuwirken. Um dies wirksam auszugestalten, bedarf es eines Ausbaus an gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten für alle Menschen sowie eine Garantie, dass niemand aufgrund seiner*ihrer genetischen Disposition bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Mit der Öffnung hin zu einer Freiheit für Genominterventionen muss also gleichzeitig ein Ausbau der teils noch stark defizitären gesellschaftlichen Strukturen für benachteiligte Menschen jeder Art einhergehen.

 

  1. Allen Menschen ist eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und gerechter Zugang zu Ressourcen zu ermöglichen.

Die CRISPR-Cas9 Technologie birgt die Möglichkeit, schwere Krankheiten zu heilen und somit mehr Menschen eine verbesserte Gesundheit zu ermöglichen. Im Bereich des Enhancement besteht die Gefahr, dass soziale Verwerfungen noch weiter verstärkt würden, da diese aufgrund ihrer Kostenintensität zunächst nur privilegierten Milieus vorbehalten sein könnte, wenn dies nicht im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung inbegriffen ist. Es wäre also notwendig, mit Blick auf das Ausgleichen von sozialen Ungleichheiten genverändernde Maßnahmen für alle zugänglich zu machen. Des Weiteren müssten jedoch, um die Entscheidungsfreiheit über eine Genomintervention nicht nur formal, sondern auch faktisch vorhanden sein zu lassen, auch generell gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten und die Chancengerechtigkeit bestärkt werden, sodass auch ein Leben ohne solche Eingriffe einen echten Gegenentwurf darstellt.

Was, wenn es klappt?

Eine solche, obgleich ethisch minimale, Rahmenordnung scheint zunächst utopisch, denn Inklusion, ökonomische, soziale Gerechtigkeit, Partizipationsmöglichkeiten, gerechter Zugang zu Bildung und zum Gesundheitssystem scheinen ohnehin schwer erreichbar und die Gefahr besteht, dass CRISPR-Cas dies in einer solch liberalen Anwendung nur noch verschärfen könnte. Es lässt sich jedoch entgegenhalten, dass gerade das riesige Interesse von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur*innen an der Anwendung dieser Technologie das Potential birgt, ‚gemeinverträgliche‘ Spielregeln aufzustellen, die für alle gelten und ohne die es keine CRISPR-Anwendungen geben soll. Denn es ist mit dieser Schwellentechnologie die Möglichkeit vorhanden, mit ihrer Einführung eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu etablieren, in der möglichst niedrigschwellig allen Menschen eine echte Entscheidungsfreiheit darüber, wie sie ihr Menschsein konkret ausgestalten möchten, zuteilwerden kann. Die Einführung dieser Technologie besitzt das Potenzial zur gesellschaftlichen Umgestaltung, zur Schaffung von echten Alternativen und somit Entscheidungsfreiheit losgelöst(er) von ökonomischen sowie sozialen Zwängen getreu dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen.

Hashtag: #assimove


(Beitragsbild: @hansreniers)

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filip friedrich

studierte katholische Theologie und Französisch an der Universität Freiburg mit Studienaufenthalt an der Universität Aix-Marseille. Inzwischen beschäftigt er sich als Hausmann mit Promotionshintergrund im Rahmen seiner Dissertation mit den ethischen und anthropologischen Fragen rund um das Thema CRISPR-Cas9.

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