Neue Technologien, andere Ängste, selbes Schema – mit diesen Stichworten lässt sich die Debatte um CRISPR-Cas9 und seine Anwendung zusammenfassen. Filip Friedrich denkt in einem zweiteiligen Artikel über mögliche Regeln für die Genschere nach.

CRISPR-Cas9 – die Genschere, die mit einer bisher nicht möglichen Präzision gentechnische Eingriffe vorzunehmen vermag, ruft medial sowohl Enthusiast*innen, wie auch Apokalyptiker*innen auf den Plan. Von genetischen Allmachtsfantasien vom Supermenschen bis hin zur Angst vor dem Untergang der Menschheit sind die vielfältigsten Stimmen zu vernehmen. Auch in den Fachmedien ist die Debatte um den vertretbaren Umgang mit dieser Technologie im vollen Gange. Innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft etabliert sich mehr und mehr die Forderung nach einem Moratorium – einem Einhalten, einer Positionsbestimmung, bevor an weitergehenden Anwendungen geforscht werden soll.

Problematisch ist aber, dass es bei dieser Forderung bleibt und die Frage danach, was nach einem Moratorium kommen soll, viel zu lange unbearbeitet im Raum steht. Die zur Debatte stehenden Optionen reichen von einem kompletten Verbot von genetischen Veränderungen, über das Gestatten von Veränderungen an Körperzellen mit oder ohne medizinscher Indikation bis hin zu Keimbahninterventionen zur Heilung einer Krankheit oder gar nur zum Enhancement – der maximal liberalen Position. Der nun folgende Artikel soll sich dieser liberalsten Position annehmen und sich mit der Frage beschäftigen, wie das Gestatten von Keimbahninterventionen ohne medizinische Indikation in einen ethisch vertretbaren Rahmen gefasst werden kann.

Asimov for the rescue

Einen Ansatz zur Beantwortung liefert die Kurzgeschichte „Runaround“ von Isaac Asimov – einem russisch-amerikanischen Biochemiker und Science-Fiction-Autor – aus dem Jahr 1942. In dieser beschreibt er fiktional mit den „three laws of Robotics“ hinsichtlich neuen, beängstigend erscheinenden Technologie von eigenständig arbeitenden Maschinen, einen gemeinsamen Referenzrahmen für künftige Roboter. Im Kern stellen diese Gesetze folgende Prinzipien auf: die Sicherung von Freiheit und Wohlergehen des Subjekts, die Sicherung des Menschen als letzter Kontrollinstanz in Einklang mit der Freiheit des*der anderen.

Genau diese Prinzipien lassen sich auch auf die Problemlage anwenden, was – bei einer maximal liberalen Position – bei der Anwendung von CRISPR-Cas9 erlaubt und was verboten sein soll:

  1. Menschen sind frei, über Interventionen zu entscheiden. Jedoch dürfen diese, wenn sie sich auch auf nachfolgende Generationen auswirken, nur eine Steigerung von individuellen Dispositionen zum Primärziel haben.
  2. Kein Mensch darf aufgrund seiner genetischen Disposition bevorzugt oder benachteiligt werden, ausschlaggebend soll das faktisch ausgeprägte Vermögen einer Person sein.
  3. Kein Mensch darf aufgrund seiner genetischen Disposition instrumentalisiert bzw. für gewisse Aufgaben in die Pflicht genommen werden.
  4. Kein Mensch darf dazu verpflichtet werden, für eine optimierte genetische Ausstattung seiner selbst oder seiner Nachkommen zu sorgen.
  5. Jeder geborene Mensch hat ein Recht auf Krankheit und (ein Existenzrecht trotz seiner) Unvollkommenheit, es dürfen ihm keine Nachteile in gesellschaftlicher Teilhabe oder Versorgung entstehen.
  6. Allen Menschen ist eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und gerechter Zugang zu Ressourcen zu ermöglichen.

Bevor diese sechs Punkte genauer betrachtet werden, bedarf es einiger begrifflicher Erläuterungen, die für das korrekte Verständnis unabdingbar sind, sowie die Klarstellung von Prämissen, welche zu gelten haben, bevor ein solches Regularium in Kraft treten kann.

Die Frage der Perspektive

Zunächst einmal muss betont werden, dass die Begriffe ‚Steigerung‘ und ‚Minderung‘ von individuellen Dispositionen quantitativ und nicht mit dem qualitativen Begriffspaar ‚Verbesserung‘ und ‚Verschlechterung‘ synonym verwendet werden. Letztere sind hochgradig subjektiv und somit objektiv teils schwer nachvollziehbar. Ziel aller Eingriffe soll die subjektiv empfundene Verbesserung qualitativer Merkmale menschlichen Daseins sein oder von Umständen, die unmittelbar hierfür verantwortlich sind. Dies kann durch die Steigerung oder Minderung von individuellen genetischen Dispositionen erfolgen.

Des Weiteren müssen alle genetischen Interventionen hinreichend sicher sein – kurz gesagt soll das heißen, dass unbeabsichtigte genetische Mutationen und die damit potenziell einhergehenden neuen Krankheitsbilder in den Nachfolgegenerationen ausgeschlossen werden können oder sie zumindest durch weitere gentechnische Eingriffe reversibel bzw. heilbar sind.

So viel Freiheit muss sein!

Außerdem bedürfen solche Eingriffe der informierten, freien Zustimmung einer entscheidungsfähigen Person. Bei nicht-entscheidungsfähigen Personen – also beispielsweise komatösen, fortgeschritten dementen, geistig behinderten oder akut psychisch erkrankten Menschen, ungeborenem Leben bis hin zu minderjährigen Kindern – ist rechtlich die Entscheidung der Stellvertreter*innen bindend. Jedoch soll an dieser Stelle gelten, dass folgende Faktoren bei der Entscheidungsfindung maßgeblich sind: (falls möglich) das Einverständnis bzw. der Wille der Betroffenen sowie das Interesse jeden menschlichen Lebens an einer physisch wie psychisch möglichst wenig leidvollen Existenz. Die Debatte um die Frage nach der genauen begrifflichen Bestimmung des Leidensbegriffs sei an dieser Stelle ausgespart.

Aus freiheitstheoretischer Sicht ist anzumerken, dass es natürlich heikel ist, durch Keimbahninterventionen ungeborenes Leben ungefragt genetisch zu verändern oder gar noch nicht entstandenes Leben einer solchen potenziellen Freiheitsbeschneidung zu unterziehen. Jedoch lässt sich hieraus keine Verletzung von menschlicher Würde ableiten, denn ein solcher genetischer Determinismus verneint jede Freiheit menschlichen Handelns und der damit einhergehenden Möglichkeit glücklich zu werden, obgleich der von außen veränderten Umstände, zumal er die Rolle der das Individuum umgebenden, maßgeblich prägenden Umwelt verneint. Vereinfacht gesagt: Viel wichtiger als die genetische Veränderung selbst bzw. der bewusste Verzicht darauf, ist die Ermöglichung freien Entfaltens dieser Person in ihrer Umwelt.

Gelingendes Zusammenleben

Die hier aufgeführten Regularien erheben lediglich den Anspruch, körperlichen Schaden, gesellschaftliche Benachteiligung, Zwang, etc. von ‚Unschuldigen‘ durch die Setzung von minimalen Normen abzuwenden. Eine Reflexion darüber, wie Menschen ‚gut‘ miteinander umgehen, ob Perfektion überhaupt eine erreichbare und wenn ja, auch erstrebenswerte Kategorie für den Menschen ist, ist gesamtgesellschaftlich vorzunehmen und soll hier außen vorgelassen werden.

Schlussendlich sei an dieser Stelle noch gesagt, dass diese Argumentation vorrangig ethischer Natur ist und anthropologische Argumente der inhaltlichen Fülle wegen ausgeblendet werden. Nur folgendes sei an dieser Stelle erwähnt: Die genannten Regularien sind auch dahingehend auszulegen, als dass alle Interventionen nur erlaubt sein sollen, insofern sie allen betroffenen Subjekten auch weiterhin das Erleben einer geteilten Welt mit nicht-edierten Personen ermöglichen. Das heißt, dass alle Menschen weiterhin in der Lage sein müssen, sich als gleichartige Wesen gemeinsam auf ihre Umwelt beziehen zu können und sich also innerhalb dieser Welt und über diese Welt verständigen können.

Es bleibt also für diesen ersten Teil anzumerken, dass genetische Eingriffe bis hin zur Keimbahnintervention nicht als Allheilmittel oder Glücksbringer zu sehen sind. Ihre Anwendung ist vielmehr ein Werkzeug, das dabei helfen soll, dass Menschen sich entsprechend ihrer eigenen Vorstellungen vom gelingenden Leben möglichst frei entfalten können.

 

Hashtag der Woche: #assimove


(Beitragsbild: @mattart)

Print Friendly, PDF & Email

filip friedrich

studierte katholische Theologie und Französisch an der Universität Freiburg mit Studienaufenthalt an der Universität Aix-Marseille. Inzwischen beschäftigt er sich als Hausmann mit Promotionshintergrund im Rahmen seiner Dissertation mit den ethischen und anthropologischen Fragen rund um das Thema CRISPR-Cas9.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: