Waren Paulus, Augustinus und Co. Feministen und wir wussten es nur bislang nicht? Florian Elsishans durchleuchtet antike Blicke auf das Geschlechterverhältnis und sieht Gründe, optimistisch zu sein.

„Es gibt nicht mehr männlich und weiblich, ihr alle seid eins in Christus.“ (Gal 3,28) Wenn Paulus damit nicht ein feministisches Statement gesetzt hat! Zumindest für heutige Leser*innen ist diese Lesart auf den ersten Blick sehr attraktiv. Wie aber wurde dieser – für uns vielleicht anachronistisch klingende Vers – in der frühen Kirche interpretiert? Keine Sorge, ich werde mich nicht dem historistischen Spiel in der lehramtlichen Debatte um die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern hingeben. Sinn dieses Textes ist es also nicht cherry picking in den Texten der Kirchenväter zu betreiben, wie Hilary Mooney1 es nannte, um meine eigene Position zu untermauern. Vielmehr soll versucht werden zu besprechen, ob und wie die Rezeption von Gal 3,28 dazu eingeladen hat, über den kulturellen Standard der damaligen Zeit hinauszudenken.

Woanders ist auch Sch****

Dass die Spätantike kein El Dorado der Gleichberechtigung war, bedarf kaum einer Erwähnung. Die männerdominierten philosophischen Schulen waren sich in der Defizienz von Frauen einig. Ihr Argument hierzu verlief meistens über körperliche Unterlegenheit; dass der Verstand in irgendeiner Form auch von dieser Unterlegenheit betroffen sein müsste, galt als geklärt.

Die christliche Perspektive zu dieser Frage war stark geprägt durch den Gedanken der Gottesebenbildlichkeit, der zu Beginn des Buches Genesis aufgebracht wird. Er gibt Anlass darüber nachzudenken, was das für die heißgeliebten Geschlechterunterschiede bedeutet. Deshalb wird von manchen eine Differenzierung zwischen den geschlechtlich unterschiedenen Körpern und den gottebenbildlichen, ungeschlechtlichen Seelen der Menschen vorgenommen. Aber auch in der christlichen Subkultur bieten die Schuldzuweisung des Sündenfalls gegen Eva und die Reihenfolge der Schöpfung beider Geschlechter Einfallstore für das Denken einer Inferiorität von Frauen.

Ein wichtiges Rechtsprinzip der Antike war die potestas eines Familienvaters. Alles in seinem Haus, insbesondere weibliche Nachkommen befanden sich unter der potestas des Vaters, in seiner Entscheidungsgewalt. Es war sein alleiniges Recht zu entscheiden, etwa wen eine Tochter zu heiraten hatte. Dies war eine wichtige ökonomische Entscheidung, da mit der Heirat auch Transaktionen des Familienvermögens verbunden waren. (Nur in wenigen, sehr speziellen Fällen sieht die Rechtsprechung des römischen Reichs vor, Töchter aus der potestas des Vaters zu entlassen.) Bei der Heirat verließen Frauen die potestas des Vaters freilich – um dann in der potestas ihres Gatten zu leben. Dieses Denken ging so weit, dass Frauen schwer bestraft wurden, die den Vater um dieses Recht brachten. Ihr Wille spielte dabei keine Rolle, Entführung und Vergewaltigung wurden unter dem gleichen Tatbestand verhandelt wie eine einvernehmliche Liebelei, da eine Hochzeit mit jemand anderem danach nicht mehr denkbar war.

Hier ist ein weiterer Kontrast zu christlichen Denker*innen sichtbar. Johannes Chrysostomus beispielsweise setzte sich sehr dafür ein, diese stark ökonomische Perspektive abzulegen. Der Sinn der Ehe war im christlichen Verständnis die Fortpflanzung und nicht eine ökonomische Entscheidung. Außerdem war es ihm ein Anliegen, den Unzuchtbegriff weiter zu fassen, um Untreue jeder Art zu ächten und damit auch männliches Fremdgehen zu verurteilen.

Diese zwei Beispiele spätantiken Denkens und ihrer christlichen Rezeption sollen als Eindruck dessen, was damals Sache war, genügen. Im Folgenden wollen wir uns also der Rezeption von Gal 3,28 zuwenden. Hierfür werden beispielhaft die entsprechenden Kommentare von Marius Victorinus und Augustinus besprochen.2

Das halb volle Glas

Marius Victorinus differenziert die von Paulus in Gal 3,28 genannten Attributionen (Juden – Griechen, Sklaven – Freie, männlich – weiblich), indem er die beiden erstgenannten Begriffspaare als äußere Eigenschaften bezeichnet und Mann- bzw. Frau-Sein davon abgrenzt als Wesensmerkmal der Menschen. (Cooper3 sieht hier die aristotelische Unterscheidung zwischen Akzidenz und Substanz.) Umso bemerkenswerter ist, dass er auch den Unterschied Mann- bzw. Frau-Sein im Glauben bereits aufgehoben sieht. Dieser Gedanke hat sogar präsentische Relevanz. Victorinus sieht das Eins-Sein in Christus bereits als Ist-Zustand, dadurch, dass im Heiligen Geist bereits alle Gläubigen Kinder Gottes sind.

Es gilt sich nun davor zu hüten, Marius Victorinus als feministische Ikone zu feiern. Vermutlich hat er nicht die Rollenverteilung von Männern und Frauen in seiner Zeit angefragt und vermutlich hat auch er im Rahmen der zeitgenössischen philosophischen Debatte eine Form der Unterlegenheit von Frauen gedacht. Vielleicht können wir ein Überschreiten des kulturellen Systems seinerseits dennoch plausibilisieren: Seine Idee des Irrelevant-Werdens von Unterschieden (durch das Eins-Sein in Christus) gilt insbesondere für zwischenmenschliche Beziehungen. So wie seine christlichen Zeitgenoss*innen also teilweise Kritik am verbreiteten Eheverständnis geübt haben, könnte er in seiner Idee des Irrelevant-Werdens der Unterschiede eine Maxime für das Zusammenleben der Menschen aufstellen wollen. Eine Aufhebung der Unterschiede im Zwischenmenschlichen toleriert eine Verzweckung der*des Anderen nicht: z.B. indem die Hochzeit eines Kindes für mich zur ökonomischen Gelegenheit wird.

Bei Augustinus sieht die Sache ein bisschen anders aus: Er betont zwar die Einheit im Glauben, sieht aber in der irdischen Existenz der Menschen die Unterschiede bis zur Erlösung beständig. Manche Unterschiede seien im Glauben zwar aufgehoben, andere müsse man aber als Ordnung dieses Lebens begreifen. Damit ist auch ein praktischer Anspruch verbunden, die Ordnungen dieses Lebens einzuhalten, was er am Herrenwort zur Steuer („Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, Mt 22,21) illustriert. Einen Einfluss dieser eschatologischen Perspektive auf die Gegenwart mag es bei Augustinus aber dennoch geben: die eschatologischen Wahrheiten schlagen sich schon im jetzigen Leben der christlichen Gemeinschaft nieder.

Diese Perspektive kann also trotz seiner strikten Trennung der Geschlechter für den*die Einzelne*n konkret werden, nämlich im Gemeindeleben. Das Gemeindeleben konstituiert sich durch den Gedanken der Gemeindemitglieder als Teil des erlösten Gottesvolkes. Wenn also in irdischen Belangen die Unterschiede noch nicht aufgehoben sind, so sind sie es dennoch im Reich Gottes und damit auch im aktualisierten Reich Gottes: der Glaubensgemeinschaft. Laut Pollmann4 sieht Augustinus konkret die gemeinsame Fähigkeit von Männern und Frauen, spirituell zu urteilen.

Stilschule Kirchenväter

Es wurde einsichtig, dass auch spätantike christliche Denker keine Frontkämpfer einer feministischen Revolution waren, die die patriarchale Ordnung zerstören wollten – geschweige denn daran mitgearbeitet haben, den Paulusvers in dekonstruktivistischer Manier zu interpretieren. Vielleicht wären diese beiden Vorstellungen – so verlockend sie auch sein mögen – etwas anachronistisch. Nichtsdestotrotz konnte gesehen werden, dass sowohl Marius Victorinus als auch Augustinus in ihrer Interpretation von Gal 3,28 konkrete Konsequenzen für ihre Zeit bedacht und dabei ein klein wenig über den kulturellen Rahmen ihrer Zeit hinausgedacht haben. Wenn kirchliches Lehramt und Theologie sich diesen Geist wieder zu eigen machen würden, das heißt, die Bibel als Impuls nehmen würden, das subversive Moment des Glaubens herauszustellen und den eigenen kulturellen Rahmen progressiv zu überschreiten, anstatt ihn – wie allzu häufig – durch regressive Kommentare zu formen oder durch konservative zu festigen, wäre viel gewonnen. Die Kirche könnte so zur Vorreiterin der Gleichberechtigung werden. Das Potential gäbe es.

 

Hashtag der Woche: #vatersuffragette


(Beitragsbild: @mbrunacr)

1 Inspiration für diesen Artikel bot ein Vortrag von Hilary Mooney auf der Tagung der Deutschen Sektion der Europäischen Gesellschaft für Theologie, die im Dezember 2018 in Freiburg stattfand. Ihr Beitrag ist inzwischen schriftlich erschienen als Mooney, Hilary: Galatians 3,27—28. Historical resonance and current relevance, in: Ruhstorfer, Karlheinz (Hg.): Zwischen Progression und Regression. Streit um den Weg der katholischen Kirche, Freiburg 2019, 266—279.

2 In meiner Interpretation von Augustinus und Marius Victorinus folge ich vor allem Pollmann, Karla: „Non est masculus et femina“. Gal 3,28 in Kommentarauslegungen des 4./5. und des 20. Jahrhunderts: Ein nicht eingelöstes Vermächtnis?, in: Förster, Guntram/Grote, Andreas/Müller, Christof (Hgg.): Spiritus et Littera. Beiträge zur Augustinus-Forschung – Festschrift zum 80. Geburtstag von Cornelius Petrus Mayer OSA (Cassiciacum 396), Würzburg 2009, 681696.

3 Cooper, Stephan Andrew: Marius Victorinus’ Commentary on Galatians, New York 2005.

4 Vgl. Pollmann: „Non est masculus et femina“, 688f.

 

Literatur

Augustinus: Expositio in epistolam ad Galatas (CSEL 84), editiert v. I. Divjak.

Clark, Gillian: Women in Late Antiquity. Pagan and Christian Life-styles, New York 1993.

Cooper, Stephan Andrew: Marius Victorinus’ Commentary on Galatians, New York 2005.

Marius Victorinus: In epistolam Pauli ad Galatas (CSEL 83), editiert. v. F. Gori.

Mooney, Hilary: Galatians 3,27—28. Historical resonance and current relevance, in: Ruhstorfer, Karlheinz (Hg.): Zwischen Progression und Regression. Streit um den Weg der katholischen Kirche, Freiburg 2019, 266—279.

Plumer, Eric: Augustine’s Commentary on Galatians, New York 2003.

Pollmann, Karla: „Non est masculus et femina“. Gal 3,28 in Kommentarauslegungen des 4./5. und des 20. Jahrhunderts: Ein nicht eingelöstes Vermächtnis?, in: Förster, Guntram/Grote, Andreas/Müller, Christof (Hgg.): Spiritus et Littera. Beiträge zur Augustinus-Forschung – Festschrift zum 80. Geburtstag von Cornelius Petrus Mayer OSA (Cassiciacum 396), Würzburg 2009, 681696.

 

Print Friendly, PDF & Email

florian elsishans

studiert nach seinem Studium der Katholischen Theologie nun Jura an der Universität Freiburg. Besorgte Freund*innen fragen sich, ob er sie wirklich dauernd missversteht oder über zu viel poststrukturalistischer Lektüre den Verstand verloren hat. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit dem Schlagen persönlicher Fahrradbestzeiten und mit elektronischer Musik. 2016 hat er y-nachten mitgegründet und gehörte bis Dezember 2021 der Redaktion an.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: