Prof. Dr. Magnus Striet hat auf den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen den theologischen Eröffnungsvortrag gehalten und sich dem Thema „Einfach nur glauben? Ein Plädoyer für Komplexitätsresilienaz statt -reduktion“ gewidmet. Wir haben ihm im Nachgang einige Fragen gestellt.

y-nachten.de: Lieber Herr Striet, danke, dass Sie unsere Fragen beantworten. Die Salzburger Hochschulwochen haben dieses Jahr „Die Komplexität der Welt und die Sehnsucht nach Einfachheit“ zum Thema gemacht. Ist die Welt denn heute komplexer als früher?

Magnus Striet: Ja und Nein. Nein insofern, als die Welt in ihren theoretisch beschreibbaren Zusammenhängen immer schon so komplex organisiert war, wie dies seit einigen Jahrhunderten und dann mit den immensen Fortschritten im 20. Jahrhundert immer sichtbarer wurde. Der entscheidende Unterschied zu ehemaligen Generationen besteht zunächst einmal darin, dass wir in einer reflexiven Weise um diese Komplexität wissen, und: Dass niemand mehr das gesamte, derzeit zur Verfügung stehende Wissen in sich vereinigen kann. Das Gleiche gilt für Technologien, die aufgrund des Fortschritts in den theoretischen und naturwissenschaftlichen Wissenschaften möglich wurden. Niemand vereinigt in sich das Wissen, das digitale Kommunikation heute möglich macht. Ähnliches gilt für die sozialen Systeme des menschlichen Zusammenlebens. Die Funktionsmechanismen der globalen Ökonomie und Finanzmärkte mögen noch von wenigen Expert*innen annähernd erfasst werden. Die allermeisten Menschen aber funktionieren nur innerhalb dieser Systeme. Vergleichbares gilt für das Gesundheitssystem, das in den ökonomisch reichen Gesellschaften enorm effizient arbeitet. Es funktioniert durch eine rigide Arbeitsteilung. Wird geahnt, wie komplex unsere Lebenszusammenhänge sind, so löst dies leicht Verunsicherungen aus. Und die Sehnsucht nach einfachen, praktikablen Lebenskonzepten, die die geahnte Komplexität wieder auf ein erträgliches Maß zusammenschrumpfen lassen.

y-nachten.de: Was bedeutet das für die Religion? Hatte Jesus es leichter zu glauben als wir?

Magnus Striet: Auf dem Religionsfeld der Gegenwart ist eine ausgeprägte Neigung zu beobachten, Religiosität als Gegenwelt zu einer als komplex erlebten Welt zu inszenieren. Soll Religiosität die Funktion erfüllen, eine als überfordernd erlebte Komplexität auszuhalten, so die Logik, dann muss sie einfache Angebote geben. Und das ist die Gefahr. Soziologische Analysen des aufwachsenden Populismus weisen darauf hin, dass hier mit einer ‚alternativen’ Intellektualität gegen eine dann als elitär qualifizierte Intellektualität im Wissenschaftssystem gearbeitet wird. Ist meine Vernunft die wahre Vernunft, dann muss zwangsläufig alles, was meiner Vernunft nicht entspricht, falsch sein. Ob es Jesus einfacher hatte zu glauben, ist schwer zu sagen. Er hat unter den Bedingungen einer Gewaltherrschaft versucht, den Glauben an den Gott Israels auszulegen und zu leben. Die historischen Verhältnisse waren sehr anders. Aber natürlich hatte das damalige Gesellschaftssystem noch nichts mit einer heutigen, extrem komplexe Fragen auslösenden Wissensgesellschaft zu tun.

y-nachten.de: Wie können wir heute christlich glauben, nachdem frühere Selbstverständlichkeiten weggebrochen sind?

Magnus Striet: Jesus konnte nur auf den Gott setzen, in den ihn die Maria des Magnifikats eingeübt hat. Diesen Glauben scheint er in den verwickelten Verhältnissen der damaligen Zeit gelebt zu haben. Dies im Vertrauen zu leben, ist auch heute noch möglich. Aber es wäre natürlich absurd, für die heute anstehenden Probleme nach Lösungsansätzen beispielsweise in der Bibel zu suchen. Was soll sich dort finden zu Fragen des Klimaschutzes bis auf den generellen Hinweis, sorgsam mit der Schöpfung umzugehen? Selbst zu denken schadet nicht, ganz im Gegenteil fordert die Bibel dazu auf. Wer sich auf biblisches Denken verpflichtet, wird das Projekt von Selbstaufklärung auf Dauer stellen. Pestepidemien sind nicht durch Bittgebete abgestellt worden, sondern durch Forschung. Allmächtig aber ist der Mensch nicht und wird es auch nie werden. Auf einen Gott zu hoffen, ist damit keineswegs widersinnig – aber bitte nicht da, wo der Mensch selbst gefordert ist.

y-nachten.de: Wie würden Sie das Ihrem Kind erklären?

Magnus Striet: Freue Dich des Lebens, sei neugierig und falle nicht auf die hinein, die zuerst die Welt schlechtmachen müssen, um dann mit ihrem Gott kommen zu können. Und versuche zu vertrauen, dass da noch einer ist.

 

y-nachten.de: Glaubensdinge einfach zu erklären ist eine hohe Kunst. Wie erklärt man den Glauben einfach, ohne zu einfach zu werden?

Magnus Striet: Der Glaube ist einfach, auch wenn die Welt kompliziert zu begreifen ist und viele unserer Entscheidungen komplexer Abwägungen bedürfen. Aber wer sich mit den Gaben von Brot und Wein beschenken lässt, denkt in dem Moment auch nicht über die komplexen, theologiehistorisch aufgeladenen Fragen einer Eucharistietheologie nach. Was die Transsubstantiationslehre besagt, wissen die allerwenigsten Menschen. Und sie müssen es auch nicht wissen. Dass aber Gott sich am Menschen erfreut, dies unter den Gestalten von Brot und Wein erlebbar wird, lässt sich verstehen. Am Ende ist der Glaube ganz einfach. Nicht, dass der Glaube in diesem Sinn einfach ist, ist das Problem. Sondern das Problem sind simplifizierende Religionsangebote zur Lösung komplexer Probleme. Kein Gott hat geoffenbart, welche chirurgischen Operationstechniken bei welchen Erkrankungen anzuwenden sind. Es ist höchst bedauerlich, dass das elfte Gebot „Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ von auf die Sünde fixierten Theologen, die meinten, die Neugierde sei Ausdruck der Sünde, gestrichen worden ist.

Hashtag: #shw2019


(Beitragsbild @Vinicius Amano)

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prof. dr. magnus striet

ist Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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