Ein Plakat der Freiburger Theologie-Fachschaft an der Unikirche, das Maria in einer und als Vulva zeigt, schlägt hohe Wellen. Theresa Lennartz ist Mitglied der Fachschaft: Sie erklärt die Motivation des Plakates und welche Debatte nun angemessen ist.

Seit letzte Woche Montag die große Darstellung von „Maria Vulva“ von Vertreter*innen der Fachschaft Theologie in Freiburg in Solidarität mit der Protestbewegung Maria 2.0 an der Unikirche befestigt wurde, scheint der Wirbel darum gar nicht mehr zu vergehen.
Online wird gelobt, gehatet und für (oder gegen?) die abtrünnigen Schandtäter*innen gebetet, in der lokalen Zeitung ist nach einer Woche sogar von mehreren Strafanzeigen gegen die Studierenden die Rede. Klar ist: Die Darstellung der Gottesmutter Maria in Verbindung mit einem weiblichen Geschlechtsorgan hat viele unterschiedliche Gefühle und Reaktionen hervorgerufen. Für die einen wurde damit ein längst überfälliges Zeichen für Geschlechtergerechtigkeit und damit ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt, für die anderen kann es keine schlimmere Gotteslästerung geben. Wenn es das einzige Ziel gewesen wäre, Aufmerksamkeit zu erlangen und zu provozieren, könnte man sagen: mehr als gelungen.

Dass es unter anderem das Ziel war, zu provozieren und Anregung für Diskussionen zu schaffen, leugnet auch niemand. Aber dass allein dies das Ziel der Plakat-Gestalter*innen gewesen sein soll, greift zu kurz. Genauso wie es zu kurz greifen würde, den Initiator*innen von Maria 2.0 vorzuwerfen, ihnen stünde nur der Sinn danach, endlich mal ein bisschen Rabatz zu machen.

Es geht um loyale Kritik

Doch genau diese Vorwürfe untergraben das eigentliche Anliegen der Protestierenden, als Teil der Kirche und innerhalb derselben Veränderung zu schaffen. Gerade weil ihnen etwas an ihrer Kirche liegt, wenden sie ihre Zeit und Energie dafür auf, sie zu verändern. Es geht um loyale, nicht um zerstörerische Kritik. Und dass sich dringend etwas ändern muss, bezeugen nicht nur der Missbrauchsskandal und die steigenden Austrittszahlen, die sich unter den aktuellen Umständen nicht mehr mit dieser Institution identifizieren können und wollen.

Diese Institution, zu deren Selbstverständnis es gehört, sich für Gerechtigkeit einzusetzen und die Liebe Gottes in der Welt sichtbar zu machen, verfolgt im Inneren knallharte Regeln, die Menschen herabwürdigen, diskriminieren und verletzen, und über die aufgrund angeblich göttlicher Legitimation nicht diskutiert werden darf: Geschiedene dürfen nicht wieder heiraten, Kleriker haben eine klar abgegrenzte Stellung gegenüber Lai*innen, und in den Klerikerstand werden sowieso nur zeugungsfähige, heterosexuelle Männer erhoben. Damit sind nicht einmal „nur“ Frauen prinzipiell vom Weiheamt ausgeschlossen, sondern auch alle, die sich nicht mit den binären Geschlechtskategorien Mann-Frau identifizieren und die allein deswegen schon von der Kirche als verwirrt bzw. krank abgestempelt werden. Wie sich diese, häufig mit einem nebulösen „Naturrecht“ begründeten Regeln in einer Gesellschaft rechtfertigen lassen, in der die Gleichberechtigung aller Geschlechter auf allen Ebenen angestrebt wird und Homosexualität (zum Glück) nicht mehr als Krankheit gilt, bleibt offen.

Die theologischen Argumente dafür sind jedenfalls dürftig, war doch der historische Jesus nicht nur Mann, sondern auch Jude. Trotzdem erwartet niemand von zukünftigen Priestern, dass sie sich beschneiden lassen. Dass man sich aber in der Gesellschaft für die eigene (Glaubens-)Praxis rechtfertigen muss, innerhalb derer man sich verortet und in der der christliche Auftrag erfüllt werden will, ist notwendig und wird von den Menschen erwartet. Man kann sich nicht „nach außen“ für Gerechtigkeit und Toleranz einsetzen und gleichzeitig innerhalb der eigenen Reihen nach anderen Maßstäben messen, die gemeinhin als ungerecht und diskriminierend gelten.

Strukturelles Umdenken auf allen Ebenen ist gefragt

All diese Probleme erfordern die Bereitschaft, strukturell umzudenken –  das ist nicht erst seit den erschütternden und eindeutigen Ergebnissen der MHG-Studie im letzten Jahr klar – und dieses strukturelle Umdenken ist das, was alle Anhänger*innen der Bewegung Maria 2.0 fordern. Die Forderungen sind nicht neu, sie werden seit vielen Jahren auf verschiedensten Ebenen eingebracht, passiert ist allerdings bisher nichts. Im Gegenteil: Erst kürzlich wurde von oberster Etage nochmals der definitive Charakter von Ordinatio sacerdotalis bestärkt und u.a. von Rita Werden hier kritisch gegengelesen.
Vielleicht ist das der Grund, warum viele keinen anderen Weg mehr sehen, als öffentlich zu protestieren oder auch zu provozieren. Die in der Reaktion darauf von Klerikerseite plötzliche aufkommende Dialogbereitschaft gleicht vielfach einer Farce: Grenzt es nicht an Zynismus, zu behaupten, man wolle weiterhin im Gespräch bleiben und würde Anliegen ernst nehmen, wenn man nicht dazu bereit ist, selbst für die verändernden Konsequenzen mit einzustehen und daran festhält, dass alles so bleibt wie es scheinbar immer schon war?

Dass man für einen Protest auch ein weniger brisantes Symbol als die „Maria Vulva“ wählen kann, steht außer Frage. Warum die Fachschaft es dennoch gewählt hat, wurde in ihrer Stellungnahme erläutert. Jedenfalls ging es weder um die Reduzierung von Frauen auf ihr Geschlecht, noch um die Schmähung der heiligen Maria. Dennoch zeigt es den verschobenen Diskurs deutlich auf, wenn der Fachschaft – wohlgemerkt: auf ein Plakat bezogen (!) – Schändung und Missbrauch vorgeworfen wird und kaum noch von dem eigentlichen Skandal die Rede ist: nämlich dem Missbrauch an unzähligen Kindern und Erwachsenen in der katholischen Kirche, sowie von den diskriminierenden Strukturen und schwer begründbaren moralischen Vorstellungen.

Hashtag: #maria20


(Beitragsbild @miawicks9)

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theresa lennartz

studiert nach einem Freiwilligendienst in La Paz/Bolivien und dem Freiburger Orientierungsjahr katholische Theologie und Wirtschaftswissenschaften in Freiburg im Breisgau.

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