Über die Liebe denken viele einmal nach, die Popkultur sowieso und manchmal auch das römische Lehramt. Was dabei herauskommt und inwiefern das lehramtliche Beziehungsverständnis mit dem der Popkultur zusammenhängt, zeigt Dr. Stephanie Höllinger in den folgenden Überlegungen.

Wenn Bryan Adams zu Anfang der 1990er Jahre voller Inbrunst ins Mikrofon haucht

Don’t tell me it’s not worth tryin‘ for. You can’t tell me it’s not worth dyin‘ for. You know it’s true! Everything I do, I do it for you,

dann lässt sich aus heutiger Sicht nicht nur über potentielle Verfehlungen der Musikgeschichte diskutieren, sondern sich auch die Frage stellen, was denn diese musikalische Perle mit einer Kritik am lehramtlichen Ideal von Liebe zu tun hat, wie sie an dieser Stelle vorgelegt werden soll. Tatsächlich sticht der Zusammenhang nicht gerade ins Auge, assoziiert man mit dem Diskurs um Ehe und Familie in der katholischen Kirche doch häufig ein recht angestaubtes Bild, das nicht (mehr) viel mit der Erfahrungswelt heutiger Paare zu tun hat. Nichtsdestotrotz geht dieser Beitrag davon aus, dass lehramtliche Texte durchaus Motive aufgreifen, die Parallelen zum Liebesbegriff gewisser Popkulturen besitzen und dadurch auf solche Weise aufgeladen werden, dass Paare durch das vorgelegte Leitbild nicht gestärkt, sondern viel eher überfordert werden. Über welches Leitbild aber sprechen wir?

Lehramtliches Liebesideal

Liebe wird vielfach beschworen als uneingeschränkte Zuwendung zum geliebten Gegenüber, die jede Hürde überwindet und bei Bryan Adams sogar wertvoller als das eigene Leben scheint. Es geht mit anderen Worten um eine bedingungslose Zusage, die sich für gewöhnlich mit dem Wunsch verbindet, dass diese Haltung auf Gegenseitigkeit beruht. Seit dem II. Vatikanum lässt dieses Ideal auch das katholische Eheleitbild nicht mehr unberührt und kommt in lehramtlichen Dokumenten besonders durch Verweise auf die „(Ganz-)Hingabe“ ([tota] donatio) zum Ausdruck. Als eine sich wechselseitig entgegenzubringende Haltung wird sie erstmals in Gaudium et Spes 48 als Charakteristikum ehelicher Liebe begriffen und findet in den Schreiben von Paul VI. (vgl. Humanae Vitae 8-9) und Johannes Paul II. (vgl. Familiaris Consortio 11.18-21) schließlich ihre weitere Entfaltung, die aber mit einer Reihe strittig bleibender Zuspitzungen einhergeht. Ganz-Hingabe wird demnach als zeitlich offene Gestalt aufgefasst, die sich in der sexuellen Vereinigung der Ehegatt*innen (vgl. FC 11) äußert und für Nachkommen (vgl. FC 14.32) offen bleiben muss. Wird eines dieser Kriterien (z.B. Eheschließung, Offenheit für Nachkommen) nicht erfüllt, bedeutet dies aus Sicht des Lehramts, dass die Hingabe eine „Lüge“ (FC 11) bleibt, weil sie an zeitliche bzw. leibliche Vorbehalte geknüpft wird, d.h. keine uneingeschränkte (!) Hingabe darstellt.

Realitätscheck: Drohende Komplexitätsreduktion

Liebe realisiert sich dieser Deutung nach „in ihrer ganzen Wahrheit einzig und allein im ,Raum‘ der Ehe“ (FC 11) heterosexueller Paare, wird jedoch für alle übrigen Lebensformen kategorisch ausgeschlossen. Homosexuelle, Un- und Wiederverheiratete werden mit dem vernichtenden Urteil konfrontiert, dass sie in ihrer Partnerschaft eben nicht vorbehaltlos lieben (können). So wird ein Leitbild von Liebe kreiert, das im Anschluss an die personale Wende des Konzils zwar einem auf Zuneigung beruhenden Ideal entspringt, in nachkonziliarer Zeit allerdings Deutungen erfährt, wie sie davor schon durch die naturrechtliche Argumentation bekannt waren. Kurz: Die Begründung ändert sich, der Inhalt der Ehemoral bleibt gleich. Liebe wird zum neuen Fundament katholischer Ehelehre bei gleichzeitigem Wunsch nach (vermeintlicher) Kontinuität.

Daraus ergibt sich aber eine Dynamik, die aufgrund der Ausblendung (1) persönlicher Bedürfnisse einerseits und (2) möglicher Spannungen im Beziehungsalltag andererseits mit einer massiven Komplexitätsreduktion realer Liebesbeziehungen einhergeht und aufgrund eben dieser auch in Literatur, Musik und Kunst beobachtbaren Einseitigkeit nur wenig mit dem Alltag der Paare zu tun hat. Diese Beobachtung teilt auch Franziskus, wenn er in Amoris Laetitia darauf hinweist, dass die katholische Kirche in der Vergangenheit

ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt (hat), das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation und den tatsächlichen Möglichkeiten der realen Familie entfernt ist (AL 36).

Doch inwiefern bleibt das Ideal künstlich? Was macht den Anspruch abstrakt?

Achtung persönlicher Bedürfnisse

Zum einen ist die Ganz-Hingabe aus lehramtlicher Perspektive immer nur auf das Gegenüber ausgerichtet, d.h. sie nimmt die eigene Person zwar als Subjekt, jedoch nie als Objekt bzw. Ziel der Haltung in den Blick. Anders als etwa die Annahme, die als eine Haltung verstanden wird, welche sowohl der*dem Anderen (Annahme des Gegenübers) als auch der eigenen Person (Selbst-Annahme)1 entgegenzubringen ist, bleibt die Hingabe auf das Gegenüber beschränkt. Doch – so ist weiter zu fragen – bedarf es nicht auch so etwas wie einer Haltung der Selbst-Hingabe? Obwohl der Begriff zunächst ungewöhnlich scheint und in gewissen Kreisen sicherlich (vorschnell) dem Verdacht egoistischer Bestrebungen ausgeliefert ist, gilt es sich dennoch ernsthaft damit zu befassen, ob nicht beide Ausrichtungen, im Sinne einer Gleichzeitigkeit von Nächsten- sowie Selbstliebe, gewährleistet sein müssen, wenn Beziehung auf lange Sicht gelingen soll. Nur auf diese Weise lässt sich im Alltag auf persönliche Bedürfnisse Rücksicht nehmen und Sorge für sich selbst und andere nahestehende Personen außerhalb der gemeinsamen Ehe oder Partnerschaft tragen, was nicht zuletzt positiv auf die Beziehung zurückwirkt: Dem Gegenüber lässt sich ja nur dann etwas geben, wenn da etwas ist, was aus eigener Kraft gegeben werden kann, ohne sich allerdings in dieser Zuwendung zum Gegenüber völlig selbst aufzugeben. 

Achtung beziehungsspezifischer Grenzen

Zum anderen geht die einseitige Betonung der Hingabe von einer Herstellbarkeit der Liebe aus, d.h. ihr Gelingen wird auf die Dimension der Hin- oder sogar (Selbst-)Auf-Gabe reduziert. Damit wird aber nur eine Seite von Realität wahr- und ernst genommen, denn Beziehung bedarf nicht nur Gestaltung und Formung, sondern verlangt manches Mal auch nach einem Geschehen-Lassen und Begrenzt-Bleiben. Haltungen wie die der Annahme kommen hier kaum in den Blick und haben sich im Gegen­satz zur „Hingabe“ bisher nicht mit vergleichbarer Konsequenz in lehramtlichen Texten durchgesetzt. Es herrscht also eine Sprachlosigkeit vor, die als Nachweis für die geringe Auseinandersetzung mit Limitationen und Erfahrungen des Scheiterns 2 in Ehe und Partnerschaft gedeutet werden kann und im Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten nochmals besondere Bestätigung erfährt. Das (noch) aktuelle Argumentationsgebäude katholischen Lehramts hat damit bislang versäumt, das Erleben von Unverständnis, Spannungen und Konflikten in die eigene Lehre zu integrieren. Stattdessen wird ein Bild von Ehe gezeichnet, das sich in letzter Konsequenz kaum von der Dramaturgie flacher Romantikfilme à la Hollywood und Rosemunde Pilcher unterscheidet.

Liebe kennt keine Grenzen?!

Abschließend lässt sich festhalten, dass es diesem Beitrag keinesfalls um eine strikte Zurückweisung der Hingabe geht, denn mit ihr verbinden sich ganz wesentliche Einblicke: Sie bewahrt Paare davor, angesichts des Beziehungsalltags und seiner Herausforderungen zu resignieren, d.h. nimmt die Aufgabe ernst, Beziehung aktiv zu gestalten. Zugleich schützt sie das Gegenüber dadurch, dass Instrumentalisierungen (z.B. zugunsten eigener Absichten) durch die bewusste Hinwendung zur*zum Anderen vermieden werden möchten. Aber – und darum geht es diesem Beitrag letztlich – die Haltung der Hingabe kann nicht das Alleinstellungsmerkmal des kirchlichen Verständnisses zwischenmenschlicher Liebe sein, weil sie – anders als es das Sprichwort suggeriert – eben doch Grenzen kennt und neben Erfahrungen von größter Freude, Harmonie und Unterstützung auch Momente von hohem Frust, Enttäuschung und Scheitern umfasst. Diese Momente müssen in der kirchlichen Lehre ernstgenommen werden, weil sich nur so der Lebenswelt der Paare gerecht werden lässt.

Hashtag der Woche: #lehramtsiehtrosa


(Beitragsbild: @kellysikkema)

1 Die Relevanz der Selbstannahme als Tugend wird ausgehend von Romano Guardini und seinen Werken „Die Annahme seiner selbst“ (Mainz 19875) und „Tugenden. Meditationen über Gestalten sittlichen Lebens“ (Würzburg 1963) vor allem in den 1980er, -90er Jahren theologisch näher entfaltet. Beispiele hierfür sind: Peter Fonk, Die Annahme seiner selbst als Thema der Moraltheologie, in: Geist und Leben 68/3 (1995) 179-195; Stephan E. Müller, Zustimmung zum eigenen Dasein. Moraltheologische und moralpsychologische Aspekte der „Annahme seiner selbst“ (Guardini), in: Theologie der Gegenwart 40/1 (1997) 94-106.

2 Stephan Goertz, „Kontakt mit dem Scheitern“. Christliche Ethik für post-paradiesische Zeiten am Beispiel des Umgangs mit gescheiterten Ehen, in: Thomas Schüller/Thomas Neumann (Hg.), Kirchenrecht im Dialog. Tagungsband zur Tagung des Instituts für Kanonisches Recht, 18-20. Februar 2019, Fulda (Beihefte zur Kirche und Recht 1), Berlin. [Publikation erscheint voraussichtlich im November 2019].

Die Reflexionen beruhen vorwiegend auf der Dissertation der Verfasserin, die im Herbst 2019 in der Reihe „Studien der Moraltheologie. Neue Folge“ unter dem Titel „Ansprüche an Ehe und Partnerschaft. Ein theologischer Beitrag zu einer beziehungsethischen Herausforderung“ erscheinen wird. 

dr. stephanie höllinger

Stephanie Höllinger arbeitete 2014-2018 als Universitätsassistentin am Lehrstuhl für Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien, wo sie 2018 auch ihr Promotionsstudium abgeschlossen hat. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Moraltheologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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