Am Aschermittwoch ist alles vorbei? Heute steht uns niemand Geringeres als Karl Rahner SJ, dem man übrigens bei Twitter folgen kann, Rede und Antwort über die Bedeutung der vorösterlichen Bußzeit.

y-nachten.de: Herr Prof. Rahner, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen nehmen!

Karl Rahner SJ: Einer kann mehr Fragen stellen, als hundert Weise beantworten können. Ich meine, die Ratlosigkeit, die Schwierigkeit, etwas zu antworten, gehört im Grunde genommen zum Wesen des Christentums und der Theologie.

y-nachten.de: In den 40 Tagen vor Ostern bereiten sich viele Christ*innen auf dieses Fest vor, indem sie Verzicht üben. Was würden Sie diesen Christ*innen zum Fasten als Theologe sagen?

Karl Rahner SJ: Die Fastenzeit hat für uns schon lange vor dem Aschermittwoch begonnen und wird auch noch länger dauern als vierzig Tage bis Ostern. Denn wir leiden nicht nur daran, daß wir der Sattheit und der unbeschwerten Sicherheit des Lebens ermangeln, sondern vor allem — darf man es zu sagen wagen, wie es ist? — daran, daß Gott uns ferne zu sein scheint. Gott ist uns fern. Gottesferne meint hier nicht, daß einer Gottes Dasein leugnet oder es in seinem Leben gleichgültig übersieht; das mag oft – aber längst nicht immer — eine falsche Reaktion auf den gemeinten Zustand sein. Gottesferne bedeutet hier vielmehr etwas, das ebenso, ja sogar vor allem, in glaubenden, nach Gott verlangenden, nach seinem Licht und seiner beseligenden Nähe ausschauenden Menschen sich finden kann.

Wenn du darin anfängst, Stand zu halten und den Kelch willig zu trinken, in dem Armut,
Not und Gottesferne enthalten sind, dann beginnt eine selige Fastenzeit für dich. Willst du es versuchen?

y-nachten.de: Wenn wir schon von Verzicht sprechen: Fällt Ihnen spontan etwas ein, worauf Theologie und / oder Kirche in der Fastenzeit und darüber hinaus besser verzichten sollten?

Karl Rahner SJ: Das ist natürlich eine schwierige Frage. Ich bin jetzt fast etwas überfragt. Ich meine, die Kirche darf nicht in einer Gruppe von Klerikern bestehen, denen gegenüber die übrigen Christen nur diejenigen sind, die kirchlich, sakramental, doktrinär „versorgt“ werden, sondern die Kirche müßte eine Kirche sein, in der es selbstverständlich einen Klerus, ein Amt, Priestertum usw. gibt, aber in der jeder Christ nicht nur theoretisch eine Mitverantwortung trägt, sondern wirklich auch wirklich wahrnimmt und einen Sendungsauftrag empfindet, den er selber wahrnehmen muß und nicht dem Pfarrer oder dem Bischof überlassen kann.

Sind wir doch ehrlich: die Priester werden vom normalen Menschen heute
 immer noch als irgendeine merkwürdige Polizei des lieben Gottes empfunden.
 Das sind sie natürlich nicht, das wollen sie auch nicht sein. Aber warum empfinden 
uns Priester die Menschen nicht als Leute, die den absurden Optimismus haben, lehren und praktizieren, daß diese scheußliche Welt doch zu einem guten Ende kommt?

y-nachten.de: Bevor es an das Fasten geht, lassen zahlreiche Menschen bei Fastnacht oder Karneval noch gehörig die Sau raus. Ist das christlich vertretbar?

Karl Rahner SJ: Wenn der Mensch von heute den grauen, institutionell manipulierten, die Rollen der Gesellschaft streng verteilenden Alltag zu durchbrechen versucht, dann verlangt er nicht so sehr nach der überhöhten Feier seines Lebens, das eben doch sein eigentliches ist und als solches angenommen werden muß, soll er nicht „schizophren“ werden, sondern nach dem wilden Ausbruch in den bloßen Kontrast zu der strengen, eisern gefügten Alltäglichkeit einer Pflicht: Er läuft in die Traumwelt des Kinos, in die Anonymität des Touristen weit weg von daheim, in das närrische Treiben des Karnevals, wo eine andere Moral „gilt“ usw.

Steht ein solches Lachen, wie wir es meinen, auch einem geistlichen Menschen an? Natürlich. Im pessimistischsten Buch der Schrift lesen wir: Das Weinen hat seine Zeit, und das Lachen hat seine Zeit, das Trauern hat seine Zeit, und das Tanzen hat seine Zeit (Pred 3, 4).

Lacht! Denn dieses Lachen ist ein Bekenntnis, daß ihr Menschen seid. Ein Bekenntnis, das selber schon der Anfang des Bekennens Gottes ist. Denn wie soll der Mensch anders Gott bekennen, als dadurch, daß er in seinem Leben und durch sein Leben bekennt, daß er selber nicht Gott ist, sondern ein Geschöpf, das seine Zeiten hat, von denen die eine nicht die andere ist. Ein Rühmen Gottes ist das Lachen, weil es den Menschen — Mensch sein läßt.

y-nachten.de: In der liturgischen Gestaltung der Fastenzeit spielt die Sakramentalie des Aschekreuzes eine gewichtige Rolle. Was hat es damit auf sich?

Karl Rahner SJ: Es ist vielleicht einmal ganz gut, wenn wir diesen Staub zum Gegenstand unserer Aschermittwochbetrachtung machen. Dieses Bild der Nichtigkeit kann uns viel sagen. Das Christentum erlöst nicht vom Fleisch und Staub und nicht an Fleisch und Staub vorbei, sondern mitten durch Fleisch und Staub hindurch. Und darum ist das Wort „Staub bist du“ auch noch unsere Formel. Wenn uns gesagt wird: „Gedenke, daß du Staub bist!“ Dann ist uns auch gesagt, daß wir Brüder des Fleischgewordenen sind; dann ist uns alles gesagt: Nichtigkeit, die erfüllt ist von der Unendlichkeit, Tod, der des Lebens schwanger geht, Vergeblichkeit, die erlöst, Staub, der Gottes Leib ist in Ewigkeit. Ach, gesagt ist es leicht. Erlitten ist es schwer.

y-nachten.de: Die Praxis des Fastens könnte wirken, als müsse man Gott vor Ostern ein bisschen milde stimmen. Was passiert, wenn man nicht fastet? Ist Gott dann zornig?

Karl Rahner SJ: Überall dort, wo zunächst einmal ein zürnender Gott konzipiert wird, der gleichsam von Jesus her mühsam umgestimmt werden muß, liegt eine letztlich unchristliche, vulgäre Vorstellung der Erlösung vor, die nicht stimmt.

Heute lernt die Christenheit langsam, daß sie alles im profanen Leben als Vorgang des Heiles (oder eben des Unheils) leben und verstehen kann und muß, gerade damit sie nicht einem falschen Säkularismus verfällt, wie er Mode des Tages zu sein scheint. Alles, was nicht Sünde ist, aber frei und verantwortlich getan wird, ist für den Christenmenschen im Stand der Gnade Ereignis dieser Gnade, ein Stück der Heilsgeschichte, getragen vom Geist Gottes, Annahme seiner Ewigkeit.

So ist es auch mit der Fastenzeit. Sie ist die religiöse Ausdrücklichkeit derjenigen „Fasten-“ und „Passionszeit“ die in unserem ganzen Leben geschieht.

y-nachten.de: Blicken wir voraus: Am Ende der Fastenzeit stehen die Kartage und die Osternacht. Können Sie uns erklären, was wir das eigentlich feiern?

Karl Rahner SJ: Es ist schwer, in abgenützten Menschenworten dem Geheimnis der Freude der Ostertage gerecht zu werden.

Wenn wir Ostern verstehen wollen, müssen wir uns selbst zuerst verstehen, d.h. uns annehmen so, wie wir sind. Wir sind aber Kinder der Erde, die sterben.

Wenn wir auf Christus blicken, läßt sich glauben, daß ein Leben beim Tod im letzten nicht in den leeren Abgrund der Absurdität fällt, sondern in den Abgrund Gottes.

y-nachten.de: Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Gedanken, Herr Prof. Rahner!

Hashtag der Woche: #rahnerview


Alle Antworten stammen aus den Schriften Karl Rahners und wurden für das Interview von @karlrahner_sj kreativ neu angeordnet und dazu z.T. redaktionell bearbeitet.

(Beitragsbild: lincerta)

Print Friendly, PDF & Email

prof. dr. karl rahner

war Professor für systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Dogmatik und Dogmengeschichte in Innsbruck, München und Münster. Er nahm am Zweiten Vatikanum und an der Würzburger Synode teil. Im Jahr 2018 erschien der letzte Band seiner Gesammelten Werke.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: