Fleischkonsum und Fleischverzicht sind Aufregerthemen – Forderungen wie nach einem Veggie-Day rufen sofortige Kritik hervor. In der Alten Kirche war dies kaum anders. Sören vom Schloß zeigt, welche Potenziale in der alten christlichen Frömmigkeitspraxis des maßvollen Verzichts liegen könnten.

Mit Laudato si hat Papst Franziskus in Kreisen des Umweltschutzes bereits für Aufsehen gesorgt, nun bietet man ihm eine Million US-Dollar für eine vegane Fastenzeit. Die Theologie scheint also geeignet und berufen, auf ein aktuelles gesellschaftliches Problem zu reagieren und es weiterzudenken. Einigen findigen Köpfen einer amerikanischen Stiftung fiel offenbar vor kurzem auf, dass sich die Praxis christlichen Fastens durchaus mit Zielen des veganen Ernährungsverständnisses deckt. Um etwas Neues für das Christentum handelt es sich dabei eigentlich nicht – im Gegenteil. Nicht nur, dass die Abstinenz zumindest von Fleisch für bestimmte Tage eine Tradition ist. Wie, wann und wie lange zu fasten ist, führte schon im kirchlichen Altertum zu heftigen Konflikten.

Vegane Fastenpraxis? Ein Konfliktthema in der alten Kirche

Beispielsweise bei Tertullian wurden diese im 3. Jahrhundert mit ausgesprochen scharfer Polemik geführt. So heißt es in seiner Schrift Über das Fasten:

Besser gemästete Christen mag Bär und Löwe wohl gut gebrauchen können, nicht aber Gott. (Übers. H. Keller)

Tertullian geht es bei seiner Apologetik der „montanistischen“ Fastenpraxis um die Verunglimpfung der Gegenseite, in diesem Fall der Großkirche. Seiner Geisteswelt waren vegetarische Praktiken dabei keineswegs fremd. Bestimmte Mysterienkulte, aber auch die – teilweise etwas bespöttelte – pythagoreische Schule enthielt sich beseelter Wesen, war es doch immerhin möglich, dass man selbst einmal als ein Huhn geboren wurde und dann auf dem Teller seines eigenen Enkelkindes landen konnte.

Im Falle Tertullians entzündete sich der Konflikt an der offenbar sehr rigorosen Fastenpraxis einer Sekte, der Montanist*innen. Tertullian, der im Allgemeinen von der Forschung nicht mehr als Montanist betrachtet wird, dieser „Neuen Prophetie“ aber nahe stand,1 verteidigte deren Position, da sie nicht neu und außerdem heilsam sei. Die von den Montanist*innen praktizierten Xerophagien (eine Art veganer Ernährung: kein Fleisch, Brot, Wasser, Hülsenfrüchte) wurden, so Tertullians Aussage, von der allgemeinen Kirche als zu hart bewertet. Für ihn kein Wunder: Die Gegenseite nehme den Heiligen Geist angeblich aus Kochtöpfen.

Auch die Enkratit*innen2 setzten sich, wie Tertullian, dem Vorwurf der Häresie aus – nicht zuletzt, weil ihr Verständnis von Abstinenz ebenfalls für viele etwas zu rigoros erschien. Über sie wunderte sich Hippolyt von Rom (haer. 8, 20, 1; Übers. BKV):

Im Bezug auf die Lebensführung sind und bleiben sie aufgeblasen; in der Meinung sich durch die Wahl ihrer Speisen einen Namen zu machen, enthalten sie sich animalischer Nahrung, trinken Wasser […].

Dem Verfasser dieser Zeilen scheint der völlige Verzicht auf tierische Produkte ebenfalls etwas zu hart und sicherlich geht es nicht nur ihm so, kann er auch die ökologischen Ziele, die mit ihm einhergehen, sehr gut nachvollziehen.

Eine ökologische Relecture des Kirchenrechts zur Fastenzeit

Demgegenüber bieten aber die allgemeinen und (eigentlich) für alle (katholischen) Gläubigen verpflichtenden Canones des Kirchenrechts für die Fastenzeit eine Möglichkeit und Argumentationsgrundlage zu einem Beitrag, den viele leisten können. Ist man geneigt, den kirchlichen Geboten zu folgen, gehören die Fasten- und Abstinenztage dazu. Das sind sämtliche Freitage des Jahres und traditionell die österliche Fastenzeit.

„[…] werden Bußtage vorgeschrieben, an welchen die Gläubigen Werke der Frömmigkeit und der Caritas verrichten […] und nach Maßgabe der folgenden Canones besonders Fasten und Abstinenz halten.“ can. 1249 CIC 1983

Die Details sind dabei nicht unbedingt das entscheidende Moment. Spannend scheint doch vielmehr das Gedankenexperiment des Versuchs einer Enthaltung von Fleischspeisen aller Gläubigen an einem Tag der Woche und während der Fastenzeit zu sein. Allein bei 23 Millionen katholischen Christ*innen in Deutschland, das mit einem Jahresverbrauch von ca. 60 kg pro Kopf auf Platz 21 des globalen Fleischkonsums landet, würde das bei den vierzig Tagen der Fastenzeit etwa 124.000 Tonnen (!) Fleisch ausmachen. Klingen nicht die aktuellen Forderungen, den eigenen Fleischgenuss zumindest für einen bestimmten Zeitraum insbesondere aus ökologischen Gründen zu beschränken, ganz ähnlich? In der Tat wäre eine mäßige Beschränkung für die meisten Menschen in Mitteleuropa ohne weiteres machbar.

Die Bußtage der Fastenzeit sollen auch „Werken der Frömmigkeit“ dienen. Nicht nur, dass man mit einem kleinen Beitrag zum Erhalt der Schöpfung beisteuert. Als fromm dürfte auch gelten, sich dadurch auf die Gemeinschaft mit ärmeren Regionen der Welt zu besinnen.

Die Wirkkraft eines gemäßigten Arguments

Nun mag das manchen Umweltaktivist*innen, überzeugten Veganer*innen und Vegetarier*innen vielleicht reichlich blass und gering erscheinen. Dem ist aber zu entgegnen, dass allein schon durch die Einhaltung einer alten Tradition viel bewegt werden kann, nicht obwohl, sondern weil sie, im Sinne eines für alle leicht machbaren Mittelweges, gemäßigt ist und damit auch für eine große Zahl von Menschen leicht zu plausibilisieren – mit dem Blick auf das viel bemühte Schlagwort der Nachhaltigkeit gewiss auch für diejenigen, die der Kirche und ihrer Botschaft eher fern stehen. Man kann diese Überlegung aber auch umkehren: Zwar handelt es sich im Falle des Vegetarismus und Veganismus um säkulare Phänomene. Sie können aber im Hinblick auf die Fastenzeit eine religiöse Dimension erhalten und daher auch für religiöse Menschen mit Sinn erfüllt werden, der noch über rein ökologische Gesichtspunkte hinausreicht.

Muss man also für eine ökologisch sinnvolle Fastenzeit eine Million Dollar bekommen, auch wenn sie gespendet werden sollen? Sicherlich nicht: Wer möchte, kann auch einfach ein Gebot einhalten, das zumindest die Kirche ohnehin seit langem kennt – aus freien Stücken.

Hashtag der Woche: #hebelwirkung


(Bildnachweis @Engin_Akyurt )

1 Z.B. Barnes, Timothy D. (1971): Tertullian. A historical and literary study. Clarendon Press, Oxford.

2 Ebenfalls eine rigoristische Sekte.

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sören vom schloß

studierte Latein, Geschichte, kath. Theologie und Griechisch in Marburg und Jerusalem. Er unterrichtet am Marburger Gymnasium Philippinum und fasst derzeit ein Dissertationsprojekt zu Tertullians De Ieiunio ins Auge. Im Übrigen ist er weder Veganer noch Vegetarier.

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