Zwischen Weihnachten und Ostern liegt das Hochfest Kölner Karneval. Annika Schmitz, gebürtige Kölnerin, findet, dass Kirche und Karneval zusammengehören und singt „Mer losse d’r Dom in Kölle“ mindestens so gerne wie „Lobe den Herren“. Alaaf!

Als gebürtige Kölnerin gehöre ich zu jenem Völkchen am Rhein, das keine*r wirklich ernst nimmt und die meisten insgeheim doch mögen. Köln, das ist diese Stadt mit dem Dom und dem Karneval, die niemand so richtig einzusortieren weiß. Sie widersetzt sich der Realität mit Humor und einem Schuss Melancholie. Es ist die Stadt, in der ein erzkonservativer Kardinal jahrzehntelang das Sagen hatte, nur um dann in der 5. Jahreszeit den Dom voll kostümierter Jecken wiederzufinden. Wenn in Köln die Rechtsradikalen auflaufen, dann formieren sich die Karnevalsbands unter dem Slogan ‚Arsch huh‘, machen eine riesen Fete, singen laut Unsere Stammbaum – das, nur als Nebenbemerkung, ein Paradebeispiel kölscher Inklusion ist – und liegen sich dabei sentimental weinend in den Armen, denn et hät noch immer jot jejange in der schönsten Stadt der Welt, wissend darum, dass der öffentliche Nahverkehr eine Katastrophe und ein Großteil der städtischen Bebauung ein ästhetischer Albtraum ist, trotzdem mööch ich zo Foß noh Kölle jon.

Et kütt wie et kütt

Auffällig ist indes, wie eng die doch sonst auf gesellschaftliche Großereignisse entweder mit Zurückhaltung oder mit Gegenveranstaltungen reagierende katholische Kirche in den Karneval involviert und integriert ist; und zwar nicht nur aufgrund des religiösen Ursprungs des Karnevals:
So sprechen beide eine Sprache, die für nicht-Eingeweihte kaum verständlich ist. Dreigestirn oder Dreifaltigkeit, D’r Zoch kütt oder Procedamus, Tünnes und Schäl oder Müller und Eleganti, Alaaf oder Amen, Prinzen- oder Papstproklamation, Hans Süper oder Hans Küng, Kamelle oder Weihrauch – wer blickt da schon noch so genau durch? Prozessieren können beide, im Verkleiden machen sie einander nichts vor, die liturgischen Kompositionen grenzen an Perfektion und von all den kleinen und großen Skurrilitäten, die aufeinander verweisen (man googele einmal ‚Nubbelverbrennung‘) brauche ich erst gar nicht anzufangen; Motto in Köln ist stets:

Ejal ob Fronleichnam oder Rusemondach, die Hauptsach is, d’r Zoch kütt!

Auch bezüglich ihrer Abgrenzungsprozesse sind beide Vereine ziemlich eindeutig. Was dem Katholizismus der Protestantismus ist (aller gemeinsamen Entwicklungen zum Trotz, denn wo kämen wir da hin, wenn plötzlich auch die Evangelischen etwas vom Keks abkriegen würden), das ist den Kölner*innen die Stadt mit D, deren Namen nicht genannt werden darf, und wer es doch wagt oder gar „Helau“ beim Rosenmontagszug ruft, der exkommuniziert sich aufgrund von Todsünde.

Et is wie et is

Im Karneval ist es wie in der Kirche. Die Heiligkeit wird bei näherer Betrachtung schnell von der Realität eingeholt.
Dass der Kölner Karneval längst Opfer seines Erfolgs geworden ist, wurde im vergangenen Jahr diskutiert. Immer mehr „Urgesteine“ kritisieren die Exzesse und ziehen sich zunehmend zurück. Dazu kommen betrunkene Kinder und Jugendliche. Dieser eklatant männerlastige Haufen mit all den dadurch entstehenden Problemen. Der Klüngel. Auch dass in Köln die politische Macht nicht im Rathaus, sondern bei den Größen des Karnevals liegt, ist ein offenes Geheimnis. In diesen Schattenseiten offenbaren sich durchaus Parallelen zur römisch-katholischen Kirche.

Dabei ist der Grundtenor des Karnevals eigentlich nicht (ausschließlich) die endlose Party und das ewige Besäufnis. Guter Karneval ist politisch, ist gesellschaftskritisch und deckt mit einer guten Portion Humor die Missstände auf; eine gelungene Büttenrede zehrt nicht von Scherzen, die unterhalb der Gürtellinie verlaufen, sondern von intelligenten Äußerungen, die mit Witz die Wirklichkeit parodieren. Viele der Wagen, die in den Zügen in Köln, Düsseldorf und Mainz fahren, sind vor allem politische Statements und das inkludierende jede Jeck is anders könnte man als Parole für unser gesamtgesellschaftliches Miteinander übernehmen. Die kölsche Devise lautet:

Mir all, mir sin nur Minsche – vür‘m Herrjott simmer glich!

Wobei hier der Initiationsritus keine Taufe, sondern Schunkel- und Textsicherheit im kölschen Großer Gott, wir loben Dich ist, das bei uns In unserem Veedel oder auch Du bes die Stadt heißt und in dem wir uns zwar nicht zum auferstandenen Herrn bekennen, dafür aber unserer Heimatstadt ewige Liebe und Treue schwören und versprechen, immer zusammenzuhalten, ejal, wat och passeet. Und während das Lehramt noch über die Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zur Kommunion debattiert, sind bei den Bläck Fööss alle eingeladen, wenn es da heißt: Drink doch eine mit. Inklusion par excellence.

Nix bliev wie et is

Zudem ist der Karneval bester Beweis für eine lebendige Tradition, die ihrerseits bedeutet, dass sie nicht verstaubt in der Ecke liegt. Von Willi Ostermann, Willy Millowitsch und dem Colonia Duett über Bläck Fööss, Höhner und Brings hin zu Kasalla und Querbeat bleibt die Botschaft – natürlich op kölsch – über verstreichende Jahrzehnte hinweg gleich: Köln ist die schönste Stadt der Welt, und alles wird gut, solange nur der Dom steht.

An dieser Tradition wirkt auch – man höre und staune – die Katholische Kirche mit, sie ist sogar vollumfänglich integriert.
Man stelle sich das einmal vor. Es ist Prinzenproklamation im Gürzenich (für die katholischen Nicht-Kölner*innen: Vom Stellenwert her ist das ungefähr weißer Rauch beim Konklave), und da kommt unter lautem Gesang von Tochter Zion der ständige Diakon Willibert Pauels auf die Bühne, um als Bergische Jung in die Bütt zu steigen.

Irgendwann haben auch die Kölner Kirchenoberen festgestellt, dass sie gegen die Karnevalswut nicht ankommen. Also blieb nur die komplette Abschottung oder die Devise: Mitmachen. In Köln hat man sich, in anti-römischer Manier, für letztere Variante entschieden und entwickelte damit den rheinischen Katholizismus. Und das ist das Wunderschöne am Karneval – Kirche zeigt, dass sie dabei sein kann, einfach mittendrin. Da sind die Türen des Doms offen (außer an Rosenmontag, aber das versteht sich von selbst), und ich glaube, zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag trägt auch der Allmächtige eine rote Pappnase und die himmlischen Harfen werden gegen die Dicke Trumm ausgetauscht.
Einmal im Jahr präsentierte sich die katholische Kirche in Köln als eine, die sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Dann wird im Dom gesungen und geschunkelt. Dann fliegt das frisch proklamierte Dreigestirn in den Vatikan und holt sich den päpstlichen Segen ab. Dann zieht die Schwalbennestorgel den Register Loss Jon, eine Figur mit dem karnevalsbegeisterten ehemaligen Dompropst Bernhard Henrichs taucht auf und es wird Mer losse der Dom in Kölle gespielt. Denn Karneval in Köln ist eine lustige, aber auch eine todernste Sache.

Et hätt noch immer jot jejange!

Wenn man währen des Straßenkarnevals das Stadtzentrum verlässt, in dem sich hauptsächlich die Tourist*innen aufhalten und sich mit der KVB auf eine Wallfahrt in die Richtung der Veedel aufmacht, dann ist es nicht ungewöhnlich, dass irgendwo eine*r mit der Dicken Trumm auftaucht und zu singen beginnt. Dann schunkelt die Bahn. Und die Leute schunkeln noch, wenn sie die Kneipe betreten haben und zwischen der Lukas Podolski-Imitation und der Kuh im Ganzkörperkostüm hin- und herschwanken und gegen einen Matrosen knallen. Zur Entschuldigung kriegt man ein Kölsch in die Hand gedrückt, bevor man der Leev Marie laut zuprostet, dass man kein Mann für eine Nacht ist.
Nein, das ist man wahrlich nicht – der Karneval und die Kölner*innen, das ist eine lebenslange Liaison. Und das ist wieder urkatholisch.

Die Bodenhaftung des Karnevals tut gut. Die ehrliche Offenheit, die ausgebreiteten Arme, die sentimentale Fröhlichkeit und der tiefe Optimismus in eine gute Zukunft, der sich im kölschen Grundgesetz, immer mit dem Dom im Blick, offenbart, all das gilt nicht nur während der 5. Jahreszeit. Karneval ist eine Haltung, eine Lebenseinstellung, die allen guttun kann: Denn die Trone, die do laachs, musste nit kriesche. Und was bedeutet schon katholisch oder evangelisch, Köln oder Düsseldorf, wenn es am Ende heißt:

„Die Hauptsach‘ is, et Hätz is jot!“

Hashtag: #amenundalaaf


(Beitragsbild @rawpixel)

Anmerkung der Redaktion: Während dieser Artikel veröffentlicht und im Rheinland die Fünfte  Jahreszeit begangen wird, sitzt unsere Redakteurin in der philippinischen Hauptstadt. Unsere guten Wünsche sind bei ihr.

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annika schmitz

studierte katholische Theologie in Freiburg, Jerusalem und an der Yale University/USA. An der Universität Wien promoviert sie im Bereich von Literatur und Religion. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Journalistin bei der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn.

4 Replies to “Kirche und Kamelle

  1. Schöner Artikel. Wir sind keine Kölner sondern eine Kath Gemeinde im Frankfurter westen mit dem Mainzer Rad im Wappen und feiern seit über 40 Jahren fassenacht aus eigenen Reihen.vereine sind längst aufgelöst wir nicht katholische Kirche darf nicht untergehen Helau aus st Johannes.aü

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