Die eindrucksvolle Inszenierung der polnischen Metal Guppe Batushka, die erst seit wenigen Tagen mit Gesichtern in Verbindung gebracht werden kann, ähnelt der einer orthodoxen Liturgie. Florian Klug untersucht das Phänomen und ordnet es in zeichentheoretische Überlegungen zum Gottesnamen ein.

Um im Sinne Hans Urs von Balthasar zu sprechen bieten Batushka eine gewaltige Gestalt. Von liturgischer Seite ist man das Sanfte, Ruhige und in erster Linie das Angenehme in Sachen Musik gewöhnt. Doch schwarzmetallische Klänge, im besonderen Falle bei der polnischen Musikformation Batushka, fordern die üblichen Kirchgänger*innen heraus, weil die eigenen Hörgewohnheiten zutiefst irritiert werden:

Der Schrecken ist erfolgt. Daher stellt sich nun von theologischer Seite die Frage nach dem ersten Eindruck: Ist das theologisch relevant oder kann das weg? Um schon an dieser Stelle zu spoilern: Um Gottes willen, auf keinen Fall weg damit! Was sich hier präsentiert, ist eine sehr verfremdete, aber immer noch sehr deutlich erkennbare orthodoxe Liturgie: Ikonen, Weihrauch, Ikonostase, Teilnehmer*innen und – nun ja – Gebet. Die Ikonen haben zum Teil keine Augen oder bluten aus diesen, die in Russisch und Altkirchenslawisch verfassten Texte sind vielfach unverständlich, aber der christlich-liturgische Bezug ist unverkennbar.

Der Tod des*der Autor*in

Uns soll hier nicht interessieren, was die mögliche Autor*innenabsicht ist, denn diese zeigt sich sowieso nur als, was wir als Autor*innenenabsicht rekonstruieren wollen und können. Halten wir es deshalb mit Roland Barthes und geben zu:

Der Autor ist tot.1

Kein Mensch kann Sprache völlig kontrollieren, weswegen auch kein*e Schriftsteller*in Autorität darüber hat, wie das gedeutet wird, was sie*er geschrieben hat. Das Werk sagt mehr als das oberflächliche Verbinden von Zeichen andeuten kann. Das Werk hat für sich zu sprechen – die intentio operis hat als maßgeblich zu gelten.<2 Das Werk hat eine eigene Gestalt und Intention, die nicht deckungsgleich mit dem sein muss, das die*der Schriftsteller*in ausdrücken wollte. Deswegen ist das Werk und nicht die*der Schriftsteller*in in den Blick zu nehmen.

Da sich die Musikgruppe über die mitspielenden Personen wie auch die Intention ihrer Musik (größtenteils) in Schweigen hüllt, soll uns dies auch egal sein. Das Internet kann auch nur mutmaßen, ob hier bewusste Blasphemie unternommen werden will oder ob die Musik eine eigene Form von Gebet ist.

Der Gottesname lebt weiter

Gehen wir lieber auf die Metaebene der Theorie über, wo ich mich auch selbst viel wohler fühle, und stellen die Frage: Warum ist selbst in Zeiten der massivsten Kirchenaustritte und über hundert Jahre, nachdem Friedrich Nietzsche den Tod Gottes sowohl ausgerufen als auch beklagt hat, Gott – selbst in Kreisen des Black Metals – derart präsent, dass man nicht von ihm lassen kann? Ja, zugebenermaßen: Gott wird in diesem Genre bespuckt, verflucht, beleidigt und aufs aggressivste beschimpft. Aber eines soll hier entscheidend sein: Eine gefühlskalte Irrelevanz Gottes lässt sich hier keinesfalls attestieren; dafür ist seine motivische Präsenz zu erschlagend. Stellen wir deshalb eine weitere Frage: Warum braucht es hier Gott überhaupt (noch)? Ich möchte tautologisch antworten, um diese Antwort anschließend zu erklären: Nur Gott ist Gott. Martin Buber hat es in höchster Dichte zusammengefasst, dass das Wort Gott

das beladenste aller Menschenworte (ist). Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden.3

Aber was dadurch nicht geschehen konnte, ist, dass der Gottesname selbst zerstört, abgeschafft oder in die Irrelevanz verdrängt wurde.

Zeichentheoretische Überlegungen zum Gottesnamen

Nehmen wir hierzu die Expertise vom französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan zur Hilfe, um unseren Befund in Sachen Gottesname und Werkintention eindeutiger werden zu lassen. Lacan gilt als Wegbereiter für den (Post-) Strukturalismus, welcher Sprache nur als eine bedingte, endlose Zeichenkette versteht. Von diesem Ansatz aus gilt die Sprache als wandelbar, instabil und ist mit einer Fragilität versehen, die sie stets ins Kauderwelsch stürzen lassen könnte. Doch nach Lacan gibt es einen semantisch unverfügbaren Ankerpunkt im menschlichen Symboluniversum, welcher der Verfügungsgewalt des Menschen entzogen ist; egal wie der Mensch ihn in einer gewalthaften Autonomiegeste verfremden, beleidigen oder zerstören will. Für Lacan ist der Name-des-Vaters (nom-du-pere) das Fundament des menschlichen Symboluniversums, weswegen er auch nur auf der Signifikantenebene verortet werden kann:

Der Name des Vaters ist wesentlich für jede Artikulation der menschlichen Sprache, und dies ist der Grund, warum der Ekklesiastes sagt – Die Torheit hat in seinem Herzen gesprochen: Es gibt keinen Gott. Warum sagt er, in seinem Herzen? Weil er nicht sagen kann, in seinem Mund.4

Wir haben es hier gewissermaßen mit der psychoanalytisch-poststrukturellen Version des ‚unum argumentum‘ von Anselm zu tun, welches im Endeffekt auch auf eine tautologische Dimension reduziert werden kann: Die*derjenige, der um Gott weiß und sich dessen bewusst ist, dass sie*er Gott gedacht hat, kann den Gottesgedanken nicht auf eine rein virtuelle Ebene verlagern oder den Gottesgedanken ungeschehen machen. Damit ist Kant in formeller Hinsicht recht zu geben, dass die Argumentation Anselms eine zirkuläre Struktur hat und der Gottesname in logischer Hinsicht sich selbst zum Inhalt hat.

Der Gottesname in Batushkas Verfremdungen

Die Zirkularität des Gottesnamens wie die Betonung der Werkintention sollen uns aber hier nicht weiter stören, sondern uns vielmehr eine Hilfestellung leisten, um das Gottesmotiv in der Popkultur und im Speziellen im Black Metal verständlicher zu machen: Auch wenn es wie eine augenscheinlich rebellische Autonomie aussieht, den Namen Gottes zu verzerren, zu missbrauchen oder zerstören zu wollen, zeigt es im Gegenteil, wie sehr der Gottesname eine Positionierung ihm gegenüber erst ermöglicht. Auch wenn man unsere Zeit dadurch charakterisiert sehen will, dass durch eine Konsensmoral keine rigorosen Leitlinien mehr greifen, ist weiterhin der Gottesname ein universaler Bezugspunkt der eigenen Verortung.

Von dieser Dimension ist zwar die Frage berechtigt, ob Batushka aktive Blasphemie betreiben wollen oder sie eine ironisch-verdrehte Form des ernstgemeinten Gotteslobs anstreben, aber wir können sie wegen des Autoren*innentods nicht beantworten. Wir sollten vielmehr in den Blick nehmen, dass selbst im verfremdeten Format der Gottesname dennoch der Name Gottes bleibt und sich selbst in seiner unzerstörbaren Größe zeigt. Dies ist höchst staunenswert und lässt eine Sentenz Nietzsches im neuen Licht erscheinen:

Im Grund ist ja nur der moralische Gott überwunden.5

Die Unzerstörbarkeit des Gottesnamen zeigt, dass der*diejenige die Größe Gottes verkennt, wer ihn auf ein begreifbares Maß (der Moralität) reduziert. Auch in der Dunkelheit der größten Verfremdung bleibt er in Geltung.

Hashtag der Woche: #hellschwarz


(Beitragsbild @amadorloureiroblanco)

1  Vgl. Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Jannidis, Fotis u.a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft (RUB; 18058). Stuttgart 2000, S. 185-193; hier: S. 190-192.

2  Vgl. Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation. München/Wien 1992, S. 35-39.

3  Buber, Martin: Begegnungen. Autobiographische Fragmente. Mit einem Nachwort von Albrecht Goers. Heidelberg 41986, S. 68.

4  Lacan, Jaques: Das Seminar Buch IV. Die Objektbeziehung. 1956-1957. Text eingerichtet durch Jaques-Alain Miller. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek. Wien 2003, S. 428.

5  Nietzsche, Friedrich: KSA 12, S. 213. Vgl. Köster, Peter: Gott. In: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2011, S. 245-248. Vgl. Marion, Jean-Luc: Gott ohne Sein. Aus dem Französischen übersetzt von Alwin Letzkus. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Karlheinz Ruhstorfer. Paderborn u.a. 2014, S. 36. Auch wenn die Interpretation dieses Wortes von Friedrich Nietzsche durch Jean-Luc Marion nicht der allgemeinen Nietzsche-Rezeption und -Interpretation entspricht, ist dennoch die theologische Anschlussfähigkeit Grund genug, diese Interpretation als fruchtbar für den theologisch-philosophischen Diskurs auszuweisen.

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florian klug

studierte Theologie und Germanistik an der Uni Würzburg und ist wissenschaftlicher Assistent am dortigen Lehrstuhl für Dogmatik.

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