Leise Töne im Advent: Marlene Deibl formuliert Gedanken zu Adalbert Stifters Bergkristall und erklärt, warum eine Kanne Kaffee im Gepäck nie verkehrt und das Dankgebet des Fürbittgebets kleine Schwester ist – und gerade hierin sein Charme liegt.

In diesem Beitrag widme ich mich zwei sehr unterschiedlichen Gegenständen, denen gemeinsam ist, dass sie oft unterschätzt werden und nicht immer ihre volle Wirkung entfalten können. Diese beiden Gegenstände sind a) das Dankgebet, das von der Theologie neben seiner großen Schwester, dem Bittgebet, oft übersehen wird. Und b) ist der oft als reaktionärer Fettwanst abgetane österreichische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts par excellence: Adalbert Stifter. Beiden begegnet man, zumindest hierzulande (i.e. in Wien) gerne um die Weihnachtszeit. Wer sich ihnen beiden mit Geduld nähert, sie wirken lässt und nicht gleich verzagt, macht sich ein schönes Weihnachtsgeschenk. Insofern beide Zeit und eine bestimmte Haltung verlangen, passen sie tatsächlich gut in diese Zeit des Wartens und der Ankunft.

Die stille kleine Schwester des Bittgebets

Das Dankgebet zeichnet sich dadurch aus, dass es oft vergessen wird. Es ist, soviel theologisches Aufheben und liturgische Formel darum gemacht wird, die stille kleine Schwester des Bittgebets und der Fürbitte. Gleichzeitig steht es in einem seltsam unsymmetrischen Verhältnis zu ebendiesen. Zwar gibt es den durchaus denkbaren Fall des in Erfüllung gegangen Wunsches, der dann mit Dank bedacht wird, es gibt eine eher allgemeine Haltung des Dankes für die Schöpfung oder etwa des Erntedankes, die in einem Verhältnis der Reziprozität mit der Bitte für das Gemeinwohl steht. Noch mehr als das Bittgebet, das eine Brücke in die Zukunft schlägt, ist das Dankgebet im strengen Sinne paradox. Abgesehen von den grundlegenden philosophisch-theologischen Erwägungen, die insbesondere das Bittgebet betreffen, wird das Dankgebet, gerade weil es so unzeitig ist, sehr häufig einfach vergessen. Der Zeitpunkt, an dem gedankt wird, ist fast willkürlich: danke ich für die Birne wenn sie am Baum hängt? Wenn ich sie pflücke? Wenn ich sie esse? Wenn ich sie pflanze und ein neuer Baum wächst? Dank ist immer angebracht und scheint daher stets zu früh oder zu spät zu kommen. Damit hat er eine enge Verbindung zur menschlichen Zeiterfahrung überhaupt.

Es fällt übrigens leicht, in einem von Dank geleiteten Sich-Adressieren bloß eine Spielart des bittenden Gebets zu sehen. Das ist nicht falsch, aber ich möchte für einen Aspekt des Dankgebetes plädieren, der ihm seine besondere Würde und seine besondere Verletzlichkeit verleiht. Danken ist kein Flehen. Dank ist, viel weniger als die Bitte, ein Mittel zum Zweck. Soviel vorerst zum Dank als Haltung und als Gebet. Mehr darüber kann ich nur indirekt sagen, und ich möchte Dich, Leser*in, dazu einladen, Dich mit mir auf Adalberts Erzählung einzulassen, um am Ende ein wenig näher am Dank zu sein. Vielleicht.

Weihnacht auf einem Gletscher

Adalbert Stifter wiederum hat eine Erzählung geschrieben, die Teil des Kanons der Kulturkitschindustrie geworden ist: Bergkristall. Die Grundzüge der Geschichte sind schnell erzählt und an sich nicht allzu erbaulich. Zwei Kinder wachsen in einem abgelegenen Bergdorf auf, die Mutter stammt aus dem Nachbardorf und alle drei gelten als Fremde. Am Tag vor Heiligabend wandern die beiden Kinder zu den Großeltern und kommen auf dem Rückweg in einen unvorhergesehenen dichten Schneefall, geraten vom Weg ab und auf einen Gletscher. Dort halten sie sich mit dem von der Großmutter eingepackten Feiertagskaffee warm (Kaffee als Lebensrettung: auch sehr sympathisch) und mit Gesprächen wach um nicht zu erfrieren. Am nächsten Tag werden sie von einem Suchtrupp gefunden, den die Menschen aus beiden Dörfern gemeinsam gebildet haben. Es ist darüber der ganze Weihnachtstag und der Heilige Abend vergangen. Am Ende wird doch noch Weihnachten gefeiert und es erstrahlt der Weihnachtsbaum in seinem Glanz. Was bleibt, sind ein gewachsenes Gemeinschaftsgefühl und sowohl größere Ehrfurcht und ein Gefühl des Dankes. Der titelgebende kristallene Glanz findet sich nicht nur an den Flocken und am Eis des Gletschers – die Kinder nehmen in der Nacht auch ein Strahlen am Himmel wahr, ein Nordlicht oder einen Kometen, das sie dann als den Glanz des Christkindes erklären. Dies geschichet aber erst nach der Rettung im Modus des Dankens und der Erinnerung im Tal.

Dank, der sprachlos macht

Dank kann, wie Stifter in seiner ganzen Virtuosität zeigt, aber auch sprachlos machen, Dank weist eben auf die Begrenzung dessen hin, worüber wir uns sogar noch freuen können. Dank ist eigentlich nie genug, auch wenn er sehr eindringlich geäußert wird. Stifter schildert die ohnmächtige Freude und den Dank des Vaters, dem Schuster Sebastian, beim Wiedersehen mit seinen Kinder, um deren Leben er berechtigterweise gefürchtet hatte – es ist diejenige Stelle, an der das Wort Dank im Text zum ersten Mal explizit vorkommt, und der an die Helfer gerichtet ist, die gemeinsam, selbst unter Einsatz ihres Lebens, nach den Kindern gesucht haben:

Er aber war stumm, zitterte und lief auf sie zu. Dann rührte er die Lippen, als wollte er etwas sagen, sagte aber nichts, riß die Kinder an sich und hielt sie lange. Dann wandte er sich gegen sein Weib, schloß es an sich und rief. „Sanna, Sanna!“
Nach einer Weile nahm er den Hut, der ihm in den Schnee gefallen war, auf, trat unter die Männer und wollte reden. Er sagte aber nur: „Nachbarn, Freunde, ich danke euch.“

(Stifter 1976, 141f)

Obwohl im Text auch einige Gebete gesprochen werden, ist obige Stelle doch eine verdichtete Form des Dankens: Der Anrufes des geliebten Menschen, der die Dimension des Dankes als einziger Mensch zu verstehen in der Lage ist und die einfache Form des Dankes, die wiederum mit einer Geste einhergeht und nur ganz einfache, formelhafte Worte findet, welche doch alles ausdrücken.

Ein vorläufiger Abschluss

Unzeitigkeit ist dem Dankgebet eigen. Es kommt immer zu spät oder zu früh. Dank nimmt ein Ende an, setzt die menschliche Sterblichkeit und Zerbrechlichkeit voraus. Er weist darauf hin, dass noch nicht zu Ende ist, was zu Ende gehen wird. Wer dankt, geht davon aus, dass es einen Abschluss gibt, und sei dieser auch nur einmal vorläufig angenommen, aber auch eine immer neue Möglichkeit, anzufangen. Das zeigt der Dank des Großvaters der Kinder, dessen Dank sich in einer Entscheidung ausdrückt, mit der er einen neuen Anfang in seinem Leben und im Leben der Familie beginnt. (Okay, es wird doch rührend. Aber es ist ja Weihnachten.) Der Großvater, von Beruf Färber, der Schwiegervater des eben zitierten Vaters hat den Suchtrupp begleitet und beschließt, noch nicht gleich heimzugehen. Vorher aber dankt der Vater Sebastian doch noch Gott, den er in seinem Überschwang und seiner Sprachlosigkeit gerade vergessen hatte.

‚Und knie nieder und danke Gott auf den Knien, mein Schwiegersohn, fuhr der Färber fort, dass kein Wind gegangen ist. (…) Wäre ein Wind gegangen, so wären die Kinder verloren gewesen.‘
‚Ja, danken wir Gott, danken wir Gott‘, sagte der Schuster.
Der Färber, der seit der Ehe seiner Tochter nie in Gschaid gewesen war, beschloß, die Leute nach Gschaid zu begleiten.

(Ebd., S. 143)

Jetzt geht aber dieser Text zu Ende, und bevor wir wieder unserer gewohnten Wege gehen möchte ich mit dem Beginn von Bergkristall schließen, der zu Weihnachten einfach sprachlicher Balsam ist und für den ich Jahr aufs Jahr eigentlich noch dankbarer werde: Danke, Adalbert.

Unsere Kirche feiert verschiedene Feste, welche zum Herzen dringen. Man kann sich kaum etwas Lieblicheres denken als Pfingsten und kaum etwas Ernsteres und Heiligeres als Ostern. Das Traurige und Schwermütige der Karwoche und darauf das Feierliche des Sonntags begleiten uns durch das Leben. Eines der schönsten Feste feiert die Kirche fast mitten im Winter, wo beinahe die längsten Nächte und kürzesten Tage sind, wo die Sonne am schiefsten gegen unsere Gefilde steht und Schnee alle Fluren deckt, das Fest der Weihnacht. Wie in vielen Ländern der Tag vor dem Geburtsfeste des Herrn der Christabend heißt, so heißt er bei uns der heilige Abend, der darauf folgende Tag der heilige Tag und die dazwischen liegende Nacht die Weihnacht.  

(Ebd., S. 107)

Was bleibt, ist die Erinnerung an den Glanz und das Leben. Mehr braucht es auch gar nicht zu Weihnachten.
Vielleicht noch einen starken Kaffee. Du weißt‘s ja nie.

Hashtag der Woche: #adalbertseidank


(Beitragsbild @super_slug)

Lektüretipps
Stifter, Adalbert: Bergkristall. Gleich hier lesen.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Wien 1976.

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marlene deibl

arbeitet als Prae-doc-Assistentin am Fachbereich Theologische Grundlagenforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sie studierte in Wien und Tübingen Philosophie und Südasienkunde, kann schneller sprechen als denken, schießt aber wesentlich langsamer als ihr Schatten. Ihre weiteren Interessensgebiete sind Wissenschaftstheorie, Parfümgeschichte und Bier.

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