Vorgestern wurde bekannt, dass Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ keine weitere Amtszeit als Rektor der Hochschule St. Georgen tätig sein darf. Rom hat ihm das nihil obstat verweigert. Martin Höhl sieht dadurch das Subsidiaritätsprinzip und die Freiheit der Wissenschaft gefährdet.

Frankfurt steht unter Schock und ist sauer. Schock, weil die Entscheidung so unerwartet kam, und sauer, weil sie auf so viel Unverständnis stößt. Als am Sonntag bekannt wurde, dass P. Wucherpfennig SJ das römische nihil obstat für seine dritte Amtszeit als Rektor der Hochschule Sankt Georgen verweigert wurde, war das die erste Reaktion: Unverständnis. Die zweite: Solidarität. Stadtdekan zu Eltz, die Pfarrer des Stadtgebiets Frankfurt, Provinzial Johannes Siebner, Bischof Georg Bätzing und viele (ehemalige) Sankt Georgener*innen bekunden ihr Missfallen, bieten Unterstützung an und stellen sich geschlossen hinter Ansgar Wucherpfennig. Dass die Entscheidung innerhalb des Ordens schon länger bekannt war (seit Juni!) und nichts an die Öffentlichkeit drang, ist ebenso ein starkes Zeichen der Unterstützung wie das Faktum, dass dank FAZ (sogar mit einem Herausgeber-Kommentar), ZDF heute, Spiegel, SZ, ZEIT usw. die Causa nun auch eine breitere Öffentlichkeit erregt: „Wie dumm geht es denn eigentlich noch?“, fragt Stadtdekan Johannes zu Eltz und lässt seinen Emotionen freien Lauf.

Persönliche und politische Fragen

Zwei Ebenen spielen eine Rolle in den Kommentaren. Zum einen ist da die persönliche, die nicht oft genug unterstrichen werden kann: Wie viele andere durfte ich P. Wucherpfennig als Professor erleben, der sich nicht mit unterkomplexen Antworten zufrieden gibt, sondern der die kostbare Gabe besitzt, ein Phänomen von allen möglichen Seiten zu beleuchten, bevor er ein Urteil fällt – nachdenklich, gewissenhaft und mit dem Willen, seine Position zu überdenken.

Dann ist da die politische Ebene: Unterdrückt Rom hier bewusst einen Diskurs, indem ein kritischer Denker gegängelt wird? Wie steht es um die Freiheit universitärer Forschung in einem modernen Land wie Deutschland? Es geht aber auch um Kirchenpolitik: Missbrauchen konservative Kreise in Rom ihre Befugnisse, um eine Agenda durchzusetzen? Wollen sie gar ein Exempel statuieren und den von Papst Franziskus eingeschlagenen Kurs torpedieren? Ich weiß es nicht. Aber ich möchte einen dezidiert theologischen Aspekt in die Debatte einbringen.

„In und aus Teilkirchen“

Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Selbstverständnis der Kirche revolutioniert und klargestellt, dass die Kirche von Anfang an aus verschiedenen Teilkirchen besteht. Lumen Gentium 23 nennt den Bischof von Rom zwar das „sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“, spricht jedoch dieselbe Kompetenz den Ortsbischöfen im Hinblick auf ihre „Teilkirchen“ (LG 27) zu. Schon Walter Kasper und Josef Ratzinger haben sich darüber in einem ausführlichen Disput die Köpfe zerbrochen.1 Die Mitarbeiter der Kurie, die mit dem Fall Wucherpfennig betraut waren, machen mit ihrem Handeln einen Schritt hinter die Ekklesiologie des Konzils zurück. Ihr Tun ist nicht nur ein politischer Affront gegen das Bistum, sondern zeugt auch von theologischem Unverständnis und mangelnder Sensibilität für das Hirtenamt des Ortsordinarius.

Zudem wurde das von Papst Franziskus so hochgehaltene Prinzip der Subsidiarität verletzt, welches sich aus eben diesen theologischen Überlegungen speist: Im Rückgriff auf Papst Johannes Paul II., der schon 1995 in Ut unum sint in ökumenischer Perspektive Gesprächsbereitschaft über die „Form der Primatsausübung“ (Ut unum sint 95) anzeigt, verweist Franziskus auf die Notwendigkeit einer strukturellen Erneuerung:

„Auch das Papsttum und die zentralen Strukturen der Universalkirche haben es nötig, dem Aufruf zu einer pastoralen Neuausrichtung zu folgen.“ (EG 32)

Der Umgang der Bildungskongregation mit der Hochschule Sankt Georgen illustriert die bleibende Bedeutung dieser Worte. Wie Kritiker*innen immer wieder bemängeln, finden abstrakte Reformanliegen in der Praxis noch viel zu selten konkret Anwendung. Zudem verstrickt sich die Kurie dabei in einen Selbstwiderspruch, der nicht nur in der breiten Öffentlichkeit auf Unverständnis stößt, sondern theologisch höchst problematisch ist: Die Kurie handelt nicht aus sich heraus, sondern muss immer im Namen und gemäß dem Willen des Papstes agieren, „zum Wohl und Dienst an den Teilkirchen“ (CIC/83, c. 360; vgl. c. 334).

Das Kirchenrecht und die Freiheit der Forschung

Neben diesen allgemeinen Bedenken im Hinblick auf das Prinzip der Subsidiarität wird ein weiteres grundlegendes Recht tangiert, welches nicht nur der Staat kennt, sondern auch die Kirche für sich reklamiert: die Freiheit der Forschung. Der Codex Iuris Canonici hält explizit an der Freiheit der Theologie als Wissenschaft fest:

„Die sich theologischen Wissenschaften widmen, besitzen die gebührende Freiheit der Forschung und der klugen Meinungsäußerung in den Bereichen, in denen sie über Sachkenntnis verfügen, dabei ist der schuldige Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche zu wahren.“ (c. 218)

Dass an P. Wucherpfennigs sentire cum ecclesia keinerlei Zweifel bestehen kann, attestiert ihm der Provinzial der Jesuiten. Hier wird also ein Grundrecht verletzt, welches Papst Franziskus selbst wiederum in Evangelii Gaudium hochhält (vgl. 242f.). Er beruft sich dabei auf Thomas von Aquin und erklärt mit dem Kirchenlehrer:

„Der Glaube hat keine Angst vor der Vernunft […].“ (EG 242)

Im nächsten Abschnitt legt der Papst wie der CIC einen Fokus auf den „spezifischen Gegenstand“ der Forschung:

„Wenn die Wissenschaften in akademischer Ernsthaftigkeit im Bereich ihres spezifischen Gegenstands verbleiben und so im Zuge ihres Fortschritts eine bestimmte Schlussfolgerung deutlich machen, die von der Vernunft nicht verneint werden kann, widerspricht der Glaube diesem Ergebnis nicht.“ (EG 243)

Die mit dem Fall betrauten Römer scheinen diese Vorgabe nicht zu beachten. Ja, es ist geradezu anmaßend, wenn mehr oder weniger kluge Köpfe der Kurie einem exzellenten und in höchstem Maße kompetenten Forscher vorschreiben wollen, zu welchen Forschungsergebnissen er zu kommen hat – gegen die Vorgaben des Papstes und die im CIC festgehaltene Forschungsfreiheit. Zumal sich hier der Verdacht von opportunistischen Machtkämpfen erhärtet: Sind alle anderen theologischen Beiträge zu dem Thema etwa an den Zuständigen spurlos vorbeigezogen? Oder fehlen schlicht die personellen Kapazitäten, den anderen 90% der deutschen Theologieprofessor*innen das nihil obstat zu entziehen? Die Positionen von Prof. Wucherpfennig sind jedenfalls nicht am Rand der exegetischen bzw. theologischen Forschung anzusiedeln, sondern repräsentieren den intellektuell redlichen Mainstream. Apropos: Wo bleibt die öffentliche Solidarisierung der Forschungskolleg*innen?

Was macht eigentlich die Exegese?

Neben all den genannten Absurditäten setzt das Faktum, dass die Exegese eine noch herausgehobenere und durch das Konzil abgesicherte Freiheit besitzt, dem Ganzen eine traurige Spitze auf. Das Konzil höchst selbst formuliert in Dei Verbum, was ein „Schrifterklärer“ wie P. Wucherpfennig als Exeget es ist, zu tun hat. Gott hat schließlich „durch Menschen nach Menschenart gesprochen“ (DV 12):

„Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muß man (…) genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren. (…) Aufgabe der Exegeten ist es, nach diesen Regeln auf eine tiefere Erfassung und Auslegung des Sinnes der Heiligen Schrift hinzuarbeiten, damit so gleichsam auf Grund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift. Alles, was die Art der Schrifterklärung betrifft, untersteht letztlich dem Urteil der Kirche, deren gottergebener Auftrag und Dienst es ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen. “ (DV 12)

Es steht einzelnen Mitarbeitern der Kurie sicher nicht gut an, sich gegen Konzil und Papst zu stellen. Außerdem, das betont Franziskus selbst, kann eine Minderheit von Amtsträgern nicht dauerhaft in Opposition zu einer Mehrheit von Lai*innen treten (vgl. EG 102). Ein kooperatives Miteinander hat damit auch theologische Dignität und ist ekklesiologisch rückgebunden, insbesondere an die Autorität des Zweiten Vaticanums.

Mauschelei statt Debatte?

Dass nun eine so breite Öffentlichkeit involviert ist, schadet sicher dem Ruf der Kirche und beschädigt fast mit grausamer Notwendigkeit einzelne Akteur*innen. Zudem bleibt ein fader Beigeschmack von Unaufrichtigkeit und Mauschelei: Wenn tatsächlich Einzelne sich an Rom gewandt haben, frage ich mich, wo diejenigen waren, als die kritisierten Haltungen offen besprochen wurden. Ich frage mich, wieso sie nicht mit wissenschaftlichen Mitteln überzeugen können und wieso sie zu feige sind, ihre Kritik öffentlich vorzutragen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Schaden, der schon auf persönlicher Ebene und für die Theologie als Wissenschaft entstanden ist, und der Graben zwischen Rom und Deutschland sich nicht noch weiter verbreitert. Es wäre jedenfalls ein Armutszeugnis, wenn jetzt nicht alle, die wie P. Wucherpfennig denken, für ihr Fach kämpfen, den freien Diskurs verteidigen, ihre Solidarität bekunden und in den Chor von Stadtkirche, Bistum, Studierenden etc. einstimmen: Ist eine würdelose Karriere tatsächlich mehr wert als das Einstehen für persönliche Überzeugungen? Und wer weiß: Vielleicht behält Clemens Blattert SJ Recht, wenn er in seinem Synoden-Blog an die Situation einiger seiner Mitbrüder vor dem Konzil erinnert: Menschen wie Henri de Lubac SJ, die vor dem Konzil unter antimodernistischen Repressalien litten, haben es später zum Kardinal geschafft. Ich hoffe, dass kein Konzil notwendig ist, um P. Wucherpfennig zu rehabilitieren und sich bei ihm für das Leid zu entschuldigen, welches seinem Amt und ihm ganz persönlich sinnlos zugefügt wurde.

Hashtag: #wiedumm


(Beitragsbild: @Sean Z)

1 Eine Rekapitulation findet sich bei Kehl, Medard: Zum jüngsten Disput um das Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen, in: Walter, Peter/Krämer, Klaus/Augustin, George: Kirche in ökumenischer Perspektive. Kardinal Walter Kasper zum 70. Geburtstag, Freiburg i.Br. – Basel – Wien, 2003, 81—101.

 

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martin höhl

hat Theologie und Philosophie in München, Jerusalem und Frankfurt studiert. Er arbeitet in einer Unternehmensberatung und promoviert zum Thema Klerikalismus und Missbrauch.

One Reply to “Geht’s noch? Die Causa Wucherpfennig”

  1. Danke für die engagierte, inhaltlich fundierte und kluge Stellungnahme. Der Geist ist aus der Flasche. Die römische Kurie wird den Diskurs zur Katholischen Morallehre, insbesondere der Thematik der Homosexualität, nicht weiterhin unterbinden können. Es gibt eine breite Solidarisierung mit Ansgar Wucherpfennig und es ist hohe Zeit absolutistisches römisches Machtgebaren auf’s Korn zu nehmen.

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