ÖRK – nie gehört! Und dabei feiert der Ökumenische Rat der Kirchen, kurz ÖRK, dieses Jahr sein 70-jähriges Jubiläum. Frédérique Renno bietet einen Überblick, worum es sich bei dieser Gemeinschaft handelt, die mit dem 70. Geburtstag schon im Rentenalter angekommen zu sein scheint, dabei aber höchst lebendig ist.

Geschichte

Heute vor siebzig Jahren, am 23. August 1948, wurde der ÖRK in Amsterdam (Niederlande) als eine weltweite Gemeinschaft auf der Suche nach Einheit, gemeinsamem Zeugnis und christlichem Dienst gegründet. Diese gilt als die umfassendste und repräsentativste Organisation der modernen Ökumene. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstand die moderne ökumenische Bewegung aus den Student*innen- und Laienbewegungen, indem Christ*innen begannen, über konfessionelle Grenzen hinweg gemeinsam zu beten und zusammenzuarbeiten. Zu den verschiedenen Vorläufer-Bewegungen, die im Laufe der Zeit im ÖRK aufgingen, gehören die Bewegungen für „Glauben und Kirchenverfassung“ (Theologie, Sakramente, Anordnungen) und für „Praktisches Christentum“ (soziale Dienste, internationale Angelegenheiten, Nothilfe), der Internationale Missionsrat, ein Weltbund der Kirchen für den Weltfrieden sowie der Weltrat für christliche Erziehung, der auf die Sonntagsschulbewegung des 19. Jahrhunderts zurückging.

In diesen verschiedenen Strömungen zeigt sich bereits das breite Spektrum, mit dem sich die Mitglieder des ÖRK auseinandersetzen – beständig auf der Suche nach der Einheit der Christ*innen. Immer mehr Kirchen auf allen Kontinenten schließen sich dieser Suche an, bauen neue Brücken über alte Gräben, die Menschen voneinander trennten.

Aktuell

Mehr als 500 Millionen Christ*innen in aktuell 350 Kirchen, Denominationen und kirchlichen Gemeinschaften in aller Welt gehören zu den Mitgliedern des ÖRK, darunter die Mehrzahl der orthodoxen Kirchen, zahlreiche reformierte, methodistische, baptistische, lutherische und anglikanische Kirchen, vereinigte und unabhängige Kirchen. Alle Mitglieder des ÖRK bekennen Jesus Christus gemäß der Bibel als Gott und Heiland und befinden sich gemeinsam auf dem Weg zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft. Diese findet ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus.

Selbstverständnis und Ziele

Der ÖRK stellt den Rahmen dar, um gemeinsam die Einheit der Christ*innen zu suchen, die Jesus Christus für seine Kirche will, und um in Angelegenheiten, die gemeinsame Erklärungen und Beschlüsse benötigen, zusammenzuarbeiten.

Der ÖRK dient nicht als übergeordnete oder universale Kirche, geschweige denn als neue ‚Weltkirche‘; es geht auch nicht darum, Gottesdienstformen zu standardisieren oder Unionsverhandlungen zwischen den Kirchen zu initiieren. Vielmehr sollen Zusammenarbeit sowie gemeinsames Zeugnis und Handeln der christlichen Kirchen und Gemeinschaften vertieft werden; die Kirchen sollen gemeinsam den apostolischen Glauben bekennen, in Solidarität untereinander und zueinander stehen und handeln und sich in Not beistehen. Dies zeigt sich auch in der Zusammenarbeit in der Mission und in humanitären Hilfsprojekten und, wenn möglich, im miteinander Teilen der Sakramente.

Der ÖRK sieht sich als ökumenische Bewegung, die im Leben der christlichen Kirchen verwurzelt bleibt, sich aber auch besonders in anderen Formen internationaler, interkultureller und interreligiöser Zusammenarbeit sowie in der Verantwortung der Kirche für die Bewahrung der Schöpfung engagiert. Als weltweite Gemeinschaft (‚oikoumene‘ bedeutet ‚der ganze bewohnte Erdkreis‘) wirkt und handelt sie im steten Bewusstsein für das wahre Sein und Leben der Kirche als inklusive Gemeinschaft an jedem Ort und an allen Orten. Grundlegend dafür sind Begegnung, Dialog und Zusammenarbeit, was global in verschiedenen Gremien und Kommissionen und lokal ganz praktisch geschieht. So initiierte der ÖRK nach dem zweiten Weltkrieg Hilfs- und Entwicklungsprogramme für Flüchtlinge, Migrant*innen und mittellose Bevölkerungsgruppen; während des Kalten Krieges förderte er den Dialog zwischen Ost und West; der ÖRK setzte sich für den Schutz der Menschenrechte in Lateinamerika während der Militärdiktaturen ein und unterstützt heute die Bemühungen um eine Beendigung des seit zwei Jahrzehnten anhaltenden Konflikts im Sudan und um die Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas.

Gegenwart und Zukunft

Der ÖRK präsentiert sich als gewichtige Stimme der gesamten Ökumene, welche zum weltpolitischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Geschehen etwas zu sagen hat und auf die gewaltigen Herausforderungen im 21. Jahrhundert reagiert.

Die ÖRK-Vollversammlung 2013 in Busan (Südkorea) lädt Christ*innen und alle Menschen weltweit zum „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens – gemeinsam gehen, gemeinsam arbeiten, gemeinsam beten“ ein, um „sich zusammen auf die Suche zu begeben, um die wahre Berufung der Kirche durch ein gemeinschaftliches Engagement für die äußerst wichtigen Anliegen der Gerechtigkeit und des Friedens zu erneuern und eine Welt voller Konflikte, Ungerechtigkeit und Schmerz zu heilen“. Der Pilgerweg1 ist eine Initiative des ÖRK, sich als Kirche, als Gemeinschaft und als Einzelpersonen mit Umweltschutz und Wirtschaft, mit Konflikt und Menschenwürde auseinanderzusetzen – es ist ein Aufruf, für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten.

Klimapilgerweg

Konkret tut dies beispielsweise der Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit unter dem Motto „Geht doch!“ (9. September bis 9. Dezember 2018). Menschen pilgern 2018 zum dritten Mal nach 2015 und 2017 auf einem Klimapilgerweg, um ein Zeichen zu setzen für mehr nationalen wie internationalen Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit für den Umgang mit den Auswirkungen der Klimaveränderungen. Dieses Jahr führt die Strecke von Bonn, dem Ort der letzten 23. UN-Klimakonferenz, über Berlin nach Katowice (Polen), wo ab dem 3. Dezember 2018 die 24. UN-Klimakonferenz stattfinden wird. Neben politischer Aktion und spiritueller Pilgererfahrung lädt der Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit auch alle ein, durch eigenes Handeln zur Begrenzung der Klimaveränderung beizutragen:

„Wir sind überzeugt, dass mit der gemeinsamen Anstrengung aller Menschen, die globale Erderwärmung begrenzt und eine gerechte Welt gestaltet werden kann.“

Der Klimapilgerweg ist ein Beispiel dafür, wie globale Initiativen des ÖRK lokal konkret und sichtbar werden. Auch mit siebzig Jahren ist die weltweite ökumenische Gemeinschaft auf dem Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Welt für alle Menschen und stellt sich den vor ihr liegenden Herausforderungen, um Gottes Ruf nach Einheit, Mission, Gerechtigkeit und Frieden zu folgen.

Hashtag: #admultosannos


[1] Der englische Ausdruck pilgrimage steht umfassend für eine Lebensreise bzw. eine erneuerte Lebenseinstellung und Lebensgestaltung im Gegensatz zu dem bedeutungsverengenden deutschen Begriff „Pilgerweg“.

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frédérique renno

studierte Musik und Germanistik in Freiburg und Wien. Sie ist Doktorandin am Deutschen Seminar der Universität Freiburg. Sie gehört der evangelisch-methodistischen Kirche an.

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