In der Rubrik Spoiler Alert liefern wir kurze und knackige Texte über (pop)kulturelle Niceigkeiten. Neue Platten, Video-Spiele, Essaysammlungen und Romane, Theaterstücke – nichts ist vor uns sicher. Heute schreibt Annika Schmitz über die Amazon-Serie „Dietland“.

Ende der 90er Jahre erlebte das Fernsehen eine kleine Revolution, als Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha einmal in der Woche über unsere Bildschirme flackerten und – bei aller Kritik, die man gegen Sex and the City vorbringen kann – einen nicht unerheblichen Einfluss darauf genommen haben, dass und wie Frauen mit größerer Selbstverständlichkeit über die eigene Sexualität zu reden vermögen.

Ziemlich genau zwanzig Jahre später folgt die nächste TV-Revolution, die auf dem 2015 erschienen Bestseller von Sarai Walker aufbaut und gehörig aufräumt mit gesellschaftlich verbreiteten und medial propagierten Geschlechterklischees: Dietland.

Die Rahmenhandlung ist im Grunde schnell erzählt: Joy Nash in der Rolle der Alicia Kettle, genannt Plum, arbeitet als Ghostwriterin für die ach so perfekte Kitty Montgomery (gespielt von Julianna Margulies), ihrerseits Chefredakteurin eines großen New Yorker Frauenmagazins. Plums Aufgabe ist die Beantwortung der Mails, die Kitty täglich erreichen:

My boyfriend made me have sex with him when I didn‘t want to  – should I break up with him? Wie werde ich schlank wie die Frauen in den Magazinen? Ist es schlimm, wenn ich meine Brüste ritze? Und: Sometimes I’d like to fight it, but I’m not strong enough.

Anschließend klappt die intelligente und zurückhaltende Plum ihren Laptop zu und läuft zaghaft durch New York, wird auf ihrem Weg angemacht, fotografiert und beleidigt, und landet sodann beim Selbsthilfetreffen ihrer Diätgruppe: Plum ist übergewichtig und will sich unbedingt ein Magenband einsetzen lassen.

„After the surgery, I wouldn‘t even be plum. My name would be Alicia.“ (Plum)

In wenigen Minuten entschlüsselt die Serie die zeitgenössischen Diät- und Schönheitscodes, denen Frauen sich zu unterwerfen haben, wenn sie als beautiful und healthy und fit und sexy und wasauchimmer gesellschaftlich akzeptiert sein wollen:

I’m feeling this intense nausea, like I need to throw up. Could that be related to my diet or the pills?
–      Are you taking them on an empty stomach?
My stomach is always empty.
–      Aaaw, good for you!

Und außerdem: „Your thin person within wants to get out!“ Und: „Can be hard to get rid of bad behaviour, such as eating!“

Dann stürmt plötzlich eine junge Frau hinein, modisch extrovertiert gekleidet, bunte Haare, ein paar Kilo mehr auf den Rippen und fasst das Entsetzen der Zuschauer*innen über den sich zu beugenden Schönheitswahn, die nagenden Zweifel und dem daraus resultierenden Selbsthass explosionsartig zusammen:

„I am a unicorn! I am a goddess!“ (Janice)

Das ist so verdammt gut, dass frau sich diese Szene jeden Morgen vor dem ersten Blick in den Spiegel anschauen sollte.

Aber das allein macht Dietland noch nicht aus. Die Serie geht einen Schritt weiter und nimmt sich der Vielschichtigkeit, die der Feminismus-Debatte innewohnt, an: Sie überprüft Schönheitsideale, prangert den Alltagssexismus und die Objektivierung und Sexualisierung der Frau an, hinterfragt Geschlechterrollen, verweist auf alltägliche sexuelle Gewalt und zeigt ihre Konsequenzen für das Leben als Frau auf.

Für Plum, die ganz im Sog der gesellschaftlichen Ideale gefangen und dabei so unglücklich ist, die sich den Mund ausspült, nachdem sie vom Kuchenteig probiert hat, die mit gesenktem Kopf über die Straße läuft, nicht glauben kann, dass sich der NYPD-Officer tatsächlich für sie interessiert, ändert sich alles, als sie von einer feministischen Untergrundbewegung rekrutiert wird. Beschämt über ihr eigenes Aussehen gibt sie dort zu: „It‘s human nature. People like pretty things.“
Die Antwort?

„You’re not a thing! You are a woman.“ (Julia)

Die Zeit der Entscheidung ist gekommen. Schreibt Plum weiter an Artikeln wie 30 days to sexy oder schließt sie sich jener Bewegung an, die nachts auf Jagd nach Sexualstraftätern geht und die der Serie im weiteren Verlauf ihren dunkel-satirischen, nach Rache dürstenden Ton verleihen wird?

In den letzten Minuten des Pilots sitzt Plum in der U-Bahn und sieht im Newsticker die Headline aufscheinen: 13-year-old rape victim threw herself in front of a train.

Plum steigt aus der Bah aus, überquert die Straße und wird von drei Männern angemacht – der Kreis zur Anfangsszene schließt sich.
Dann bleibt sie abrupt stehen, zückt ihr Handy und tippt eine E-Mail mit dem Betreff „Fight back“.


Beitragsbild: @serienjunkies 

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annika schmitz

studierte katholische Theologie in Freiburg, Jerusalem und an der Yale University/USA. An der Universität Wien promoviert sie im Bereich von Literatur und Religion. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Journalistin bei der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn.

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