Christ*in und Spaß dabei? Schon Nietzsche wünschte sich, die Erlösten mögen bitteschön etwas erlöster aussehen. Franca Spies zeichnet seine Christentumskritik nach und erklärt, warum Christ*innen auch in seinem Sinne als erlöst gelten dürfen.

Kürzlich sagte ein Freund von mir in einem Vortrag, das Christentum werde oft als „Saure-Gurken-Religion“ wahrgenommen.Er bezog sich damit auch auf Friedrich Nietzsche, der in seinem monumentalen Werk „Also sprach Zarathustra“ einen entsprechenden Vorwurf erhebt. Im zweiten Teil heißt es dort im Kapitel „Von den Priestern“:

Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt.
Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen!2

Das Anliegen des besagten Freundes, der sich ebenfalls der wissenschaftlichen Theologie verschrieben hat, bestand nun darin, das Reden von „Erbsünde“ und „Erlösung“ auf eine Weise zu denken, die Christ*innen ein einfacheres Erlöst-Aussehen ermöglicht: Das Christentum habe eben doch was zu bieten! Diesen Wunsch nehme ich im vorliegenden Text gerne auf, wenngleich meine Ideen eine andere Richtung einschlagen als der vorgegebene Vortrag.

Ein Bekehrung zum Atheismus

Es ist kein Geheimnis, dass kaum ein*e Denker*in der Philosophiegeschichte derart harsche Kritik am Christentum übte wie seinerzeit Friedrich Nietzsche. Er bewegte sich damit im Umfeld eines im 19. Jh. verbreiteten (philosophischen) Atheismus, dessen weitere bedeutende Protagonisten etwa in Ludwig Feuerbach und Karl Marx, schließlich auch in Sigmund Freud zu sehen sind. Bereits in der „Fröhlichen Wissenschaft“ lässt Nietzsche den tollen Menschen den Tod Gottes verkünden, die wenig wertschätzende Passage zu den Priestern aus „Zarathustra“ sahen wir eben, im Spätwerk folgt mit dem „Antichrist“ eine umfassende Abrechnung mit christlichen Theologumena und christlich geprägter Philosophie (Kant, Hegel und Co.).

Den Hass des einstigen Musterprotestanten gegen den Glauben seines Vaters — Nietzsche stammte aus einer Pastorenfamilie — befeuerte wohl vor allem die Begegnung mit der Philosophie Schopenhauers. Was in Nietzsches Schaffen folgt, liefert ein Musterbeispiel an „Konvertit*innen-Literatur“: Wer das alte Leben so entschieden und gegen derartige Widerstände über den Haufen wirft, wird womöglich umso heftiger dagegen polemisieren. Man denke an den Ex-Pharisäer Paulus und den Ex-Hedonisten Augustinus. Oder die Ex-CDUlerin Erika Steinbach und ihre Sehnsucht nach einem echten, christlichen Hasen. (Merke: Konvertit*innen-Literatur wird bisweilen unsachgemäß. Es gilt, den Einzelfall zu prüfen.)

Liebe Gott, kreuzige den Menschen!

Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung!
Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen an’s Kreuz schlugen!3

Prägnanter kann man eine Christentumskritik kaum formulieren. Feindlichkeit gegenüber allem, was „allzu“ menschlich ist, Unterdrückung der eigenen Sinnlichkeit, der Triebe und Wünsche, eine Gottesverehrung, die ein „Verbrechen am menschlichen Leben“ (Antichrist) darstellt: Dafür verachtet Nietzsche die Religion seiner Eltern. Das Gegenbild des Gekreuzigten erkennt er in Dionysos, dem griechischen Gott des Weines, der Ekstase und des Sexus. Was Nietzsche mit dieser Gottheit verbindet — Leben, Stärke, Glück, Sinnlichkeit, Wille zur Macht — wird zum Vorbild für seine Lehre vom Übermenschen.

Das Christentum in seiner institutionellen Verfassung zur Zeit Nietzsches hingegen ist und bleibt vor allem eines: unsexy.

Warum eigentlich „erlöst“?

Aus Sicht der katholischen Lehrmeinung ist diese Frage fix und einfach beantwortet: Erbsünde. Adam und Eva haben verbotenes Obst gegessen. Wegen der „Einheit des Menschengeschlechts“ betrifft das nun auch einen säkularisierten Menschen von heute, dessen einziges Obst-Legitimierungskriterium in den Kategorien von „nah, ökologisch, fair“ gegeben ist. Diese Sünde sühnte ein zutiefst beleidigter Gott nun dadurch, dass sein eigener Sohn zum Opfer politischer Verstrickungen im besetzten Palästina des ersten Jahrhunderts wurde und auf grausame Weise zu Tode kam. Ob diese Begründungsfigur heute noch ein Christentum mit dem Anspruch gesellschaftlicher Relevanz tragen kann? Man wundert sich.4

Erfreulicherweise geben uns Bibel und sogar die Osterliturgie noch weitere Anhaltspunkte dafür, was unter Erlösung zu verstehen ist: Das Exsultet und die Leseordnung der Osternacht nehmen schließlich Bezug auf den Auszug Israels aus Ägypten. Der Exodus versinnbildlicht das Ende unterdrückender Machtstrukturen, die Umkehr der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Befreiung zu einer neuen Lebensqualität durch Gott. In der Befreiungstheologie kommt ihm daher eine zentrale Stellung zu. Doch auch zu den atheistischen Denkern des 19. Jhs. lassen sich Parallelen aufzeigen: Marx intendierte eine Umstürzung der Produktionsverhältnisse und gesellschaftlichen Klassen zugunsten der Unprivilegierten seiner Zeit, Nietzsche wollte eine als paternalistisch und lebensverneinend empfundene Religionsstruktur ihrer Macht über die menschliche Lebensgestaltung berauben. Gerechtigkeit und Lebensfreude — kann denn das so schlimm sein?

Erlösung ist (auch) menschlich

Nicht nur mit der Brille des Exodus, sondern besonders aus der Perspektive der Menschwerdung sollten wir derlei Befreiungsbestrebungen — gerade im Falle Nietzsches — nicht vorschnell als antichristlich abtun: Sie heben Momente des Christlichen hervor, welche die Kirchen in ihrer Sünden- und Jenseitsfixiertheit über Jahrhunderte vernachlässigt haben. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Im Fachjargon nennt man das „präsentische Eschatologie“: Erlösung geschieht nicht nur im oder nach dem Tod, sie geschieht bereits hier und jetzt. In der Menschwerdung zeigt sich die Weltlichkeit der Welt als ein Teil Gottes— bis zum Tod als der äußersten Möglichkeit eines menschlichen Lebens. Eine Verweltlichung Gottes und der Religion muss man daher dem Christentum nicht von außen aufzwingen, sie ist vielmehr integraler Bestandteil desselben.

Deswegen können wir von außerchristlichen Denker*innen wie Marx und Nietzsche Entscheidendes lernen. Mit ihnen dürfen und müssen wir uns fragen: Worin bestehen Unterdrückungsstrukturen unserer Zeit? Was bedeutet Freiheit? Wie geht „gutes Leben“? Es gibt gute Gründe, den Kirchen und der Theologie kein Monopol für die Beantwortung dieser Fragen einzuräumen. Historisch gesehen sind sie zu oft daran gescheitert, valide Antworten darauf zu finden. Oder noch schlimmer: daran, diese Fragen zu stellen.

„Erlöst“ ist das neue „sexy“

Erlösung geschieht nicht am Wesen, an den Wünschen, an der Sinnlichkeit, der Angst, der Lust und dem Glück des Menschen vorbei. Das Christentum muss sich nicht sauergurkig durch die Geschichte nölen, sondern darf auch mal darin lustwandeln. Von Nietzsche können wir lernen, dass sich unsere Vorstellung vom befreiten, neuen Leben mit Gott nicht als billige Jenseitsvertröstung äußern darf, die alles Menschliche negiert. Über den dionysischen Menschen schreibt Nietzsche:

Singend und tanzend äussert sich der Mensch als Mitglied einer höheren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das Sprechen verlernt und ist auf dem Wege, tanzend in die Lüfte emporzufliegen. Aus seinen Gebärden spricht die Verzauberung. Wie jetzt die Thiere reden, und die Erde Milch und Honig giebt, so tönt auch aus ihm etwas Uebernatürliches: als Gott fühlt er sich, er selbst wandelt jetzt so verzückt und erhoben, wie er die Götter im Traume wandeln sah.6

Warum sollten wir das nicht auch über Christ*innen sagen können?

Hashtag der Woche: #Osterfreude


1 Vgl. den Vortrag von Florian Klug: https://www.akademie-rs.de/fileadmin/user_upload/download_archive/kirche-gesellschaft/Programm_Mensch_sein_-_Mensch_werden_21.-23.03.2018_in_HOH.pdf (1.4.2018).

2 Nietzsche, Friedrich, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Stuttgart 1994, 93.

3 Ebd.

4 Vgl. den Sammelband: Striet, Magnus / Tück, Jan-Heiner (Hgg.), Erlösung auf Golgota? Der Opfertod Jesu im Streit der Interpretationen, Freiburg / Basel / Wien 2012.

5 Vgl. Ruhstorfer, Karlheinz, Der dreieine Gott als Geschichte und Gegenwart, in: Ders. (Hg.), Gotteslehre, Paderborn 2014, 263-351, hier: 316ff.

6 Nietzsche, Friedrich, Die Geburt der Tragödie (= Sämtliche Werke Bd. 1), hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1988 (2. Aufl.), 29f.

Weitere Literatur:

Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Frankfurt 1988.

Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist (= Sämtliche Werke Bd. 6), hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999.

(Beitragsbild: @schmidy)

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franca spies

studierte katholische Theologie in Freiburg und Jerusalem. Nach ihrer Promotion in Freiburg arbeitet sie nun in der Fundamentaltheologie an der Universität Luzern. 2016 hat sie y-nachten mitgegründet und gehört bis heute der Redaktion an.

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