In der Rubrik Spoiler Alert liefern wir kurze und knackige Texte über (pop)kulturelle Niceigkeiten. Neue Platten, Video-Spiele, Essaysammlungen und Romane, Theaterstücke – nichts ist vor uns sicher. Heute schreibt Franca Spies über die Netflix-Serie „The End of the F***ing World“.

Dieser Text stellt grob geschätzt meinen siebzigsten Versuch dar, einen Artikel zur Serie „The End of the F***ing World“ zu schreiben. Bisher wollte es nicht so recht gelingen: Zu sehr hat mich die Geschichte von Alyssa und James mitgerissen, zu wenig finde ich die rechten Worte, um diese Erfahrung einzufangen. Jetzt dröhnt mir der (by the way natürlich geniale und performativ perfekt inszenierte) Soundtrack in den Ohren und ich versuche einmal mehr, meine Zeilen zu Papier zu bringen.

And I know that it can’t be easy
to be Superboy in a messed up world these days.
Or a Supergirl in a thankless world these days.

(Tullycraft)

„I kind of think I could fall in love with him.“ (Alyssa) — „Alyssa was kind of a nymphomaniac.” (James)

Der 17-jährige James (Alex Lawther) ist ein loner. Er lebt aus zunächst unbekannten Gründen ohne seine Mutter bei seinem Vater und versucht über Jahre, auf extreme Weise die eigenen Emotionen aufzuwecken — so hält er seine Hand in die heiße Fritteuse und sticht Tiere ab. Zu Beginn der Serie gelangt er zur Überzeugung, dass er ein Psychopath ist und einen Menschen töten muss. Da kommt ihm die gleichaltrige Alyssa (Jessica Barden) gerade recht, die gegen ihre Mutter, deren neuen Partner, ihre Schulkameradinnen, das langweilige Leben der Kleinstadt und alles rebelliert, was „normal“ riecht, nie um eine Beleidigung verlegen ist und mit James abhauen möchte. Der schweigsame „Psychopath“, die derbe „Nymphomanin“ und ein Road Trip: Viel mehr braucht es nicht, um eine brillante Serie auf den Weg zu bringen. Was dann passiert und warum man das wissen wollen sollte, möchte ich nur andeuten.

„People can’t be answers. They’re just more questions.” (Alyssa)

Die weitere Geschichte zeichnet das berührende Porträt zweier junger Menschen, die die Brüche im eigenen Leben alleine kaum verschmerzen können und meinen, ein Heilmittel für die eigene Zerrissenheit im anderen zu finden. Auf sehr unterschiedliche Weise freilich: Er will sie töten, sie ihn vögeln. Diese Konstellation gipfelt in einer Szene, in der die bereits angekratzte Selbstkonstruktion beider Figuren, die klare Vorstellung dessen, was (man) sein soll, auf grausame Weise zerbricht.

Ab diesem Moment erhält nicht nur die Suche der beiden Teenager nach ihrer Identität einen neuen Drive, auch ihre Beziehung muss sich neu finden und stellt sich dabei vom Kopf auf die Füße (was Beziehungen im echten Leben leider viel zu selten tun). Alyssa und James instrumentalisieren sich anfangs. Sie überfrachten einander mit Erwartungen dessen, was der*die je andere zum Gelingen des eigenen Lebens beitragen kann und soll. Diese Perspektive dreht sich schließlich um. Nicht der eigene gierige Blick auf die andere Person konstituiert die Beziehung, sondern deren Blick auf das eigene Selbst: Nicht was „ich“ von „Dir“ denke und will begründet unser Verhältnis, sondern was „Du“ über „mich“ denkst.

WWJD?

Es mag gezwungen wirken, die Serie „The End of the F***ing World“ theologisch einzufangen. Daher beschränke ich mich auf eine Andeutung. Der Kern des christlichen Glaubens und der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu besteht darin, Menschen von außen Gutes zuzusagen. Christliche Hoffnung konstituiert sich — kontrafaktisch — auch gegen bestehende Verhältnisse: Jesus wendet sich mit seiner frohen Botschaft gerade den gesellschaftlich marginalisierten Figuren seiner Zeit zu. Und auch heutige Christ*innen nähren sich von der Hoffnung, dass die Brüche und Wunden im Leben wider Erwarten von außen geheilt werden mögen. Dass irgendwer da draußen besser von einem denkt als man selbst es kann, einen vielleicht sogar mag, wenn man sich selbst hasst. Der Fremdblick auf das Ich kann — wie bei Alyssa und James — heilsam sein. Christliche Theologie sollte nie unterschätzen, dass zwischenmenschliche Liebe vielleicht der einzig wahre Vorgeschmack der Erlösung ist.


(Beitragsbild: ©Netflix)

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franca spies

studierte katholische Theologie in Freiburg und Jerusalem. Nach ihrer Promotion in Freiburg arbeitet sie nun in der Fundamentaltheologie an der Universität Luzern. 2016 hat sie y-nachten mitgegründet und gehört bis heute der Redaktion an.

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