Algorithmen machen unser Leben oft praktischer, aber dass Big Data auch gruselige Seiten hat, wissen wir alle. Ob wir aber wirklich so sorglos mit unseren Daten umgehen sollten und was das für unsere Freiheit bedeutet, hat sich Hannah Ringel überlegt.

Im Über-Medium Internet über Medien zu schreiben ist entweder voll meta-meta oder mittendrin. Online über die Digitalisierung zu reflektieren, sie auch zu kritisieren, ist entweder ironisch oder „Merkste selber, ne?”. Oder nicht? Digitale Medien bestimmen unseren Alltag – meinen auf jeden Fall. Und das ist auch soweit okay, schließlich habe ich mich selbst dazu entschieden. Ganz frei und so. Aber manchmal – so vor meinen first und second screens sitzend, im Schein des Corporate-Identity-Facebook-Blau, die fein säuberlich vorsortierten filter bubble-Nachrichten vor der Nase, und zwischenrein immer Werbepostings, die mich über meine aktuellen Wünsche und Bedürfnisse informieren, weil sie Bescheid zu wissen scheinen, bevor die Aktualisierung meines emotionalen Newsfeed geladen hat – da schleicht sich der Gedanke ein, wie frei ich wohl wirklich noch bin. Und während mein Facebook-Messenger sich großartig mit meinem WhatsApp versteht und die beiden vermutlich gerade ein Pläuschchen über meine Kontaktdaten halten und Big Data sich hungrig durch meine Daten futtert, scrolle ich in Gedanken über die Timeline der Aufklärung, der anthropologischen Wende, auch der theologischen Auseinandersetzungen um den freien Willen – Drama, Drama, ich weiß.

Sorry, ich hab meine Telefonnummer verloren. Kannst du mir deine borgen?

Trotzdem: Big Data und Freiheit. Alles, was da auf den ersten Blick bereits komisch scheint, will auf den zweiten Blick gar nicht mehr zusammen gehen: Durch die Möglichkeit, Datenmengen zu sammeln, zu lesen und zu verwerten, die man bis vor nicht allzu langer Zeit in diesem Umfang noch nicht mal bequem speichern konnte, wird die Frage laut, was da eigentlich mit unseren persönlichen Daten geschieht. Auf jeden Fall scheinen sie viel wert zu sein: „WhatsApp wurde für 19 Milliarden Dollar verkauft und der eingepreiste Wert dieser App besteht vor allem darin, dass sie im Besitz von schätzungsweise 90% aller, also weltweit aller, Mobilfunknummern ist.“1 Wie das funktioniert? Erklärt WhatsApp selbst: „Du stellst uns regelmäßig die Telefonnummern von WhatsApp-Nutzern und deinen sonstigen Kontakten in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung. Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Telefonnummern zur Verfügung zu stellen, damit wir unsere Dienste anbieten können.“ Dahin also auch die Hoffnung all derer, die bis jetzt der WhatsApp-Versuchung widerstehen. Und das ist nur ein Beispiel dessen, wie mit unseren Daten umgegangen wird, wenn wir die digitale Variante des Kleingedruckten in Verträgen durch ein schnelles Häkchen-Setzen im „Nutzungsbedingungen gelesen und verstanden“-Kästchen umgehen. Nutzungsbedingungen wirklich lesen ist heute nur noch was für eingefleischte Horrorfans. (Kleiner Spoiler: Es geht nicht immer nur um Telefonnummern.) Anderes Beispiel sind etwa die Geschichten um Wahlwerbung durch Social-Bots.

I’ve been looking for freedom

Aber so groß und mächtig muss es gar nicht werden: Die Frage nach der Freiheit ist schon legitim zu stellen, wenn man zusieht, wie die eigene Timeline immer enger und homogener zeigt, was man ohnehin schon denkt, meint, weiß, besitzt. Wenn online, wo wir uns eigentlich den Wind der weiten Welt um die Nase wehen lassen könnten, personal targeting zum Netz aus Selbstreferenzialität und Selbstvergewisserung des eigenen Milieus wird. Wenn wir lieber gemütlich und selbstsicher in Endlosschleife Selbstbestätigungen posten, retweeten, liken und lesen, und für Weihnachten eigentlich eine von Amazon automatisch generierte „Kund*innen, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch…“-Wunschliste verschicken können, fragt man sich doch, wofür wir denn eigentlich einen freien Willen und andere Freiheiten besitzen wollen, außer um sie in den Hauseingängen der sozialen Netzwerke an der Garderobe abzugeben. „[Die] Personalität steht durch digitalisierte Umwelten unter Druck. Wie ist angesichts von Überwachungs- und Vorhersagestrukturen und in der kapitalistischen Datenökonomie autonomes Handelns noch möglich?“2 Wäre Facebook IKEA, dann würde unsere Freiheit dort mit unserer Privatsphäre im Bällebad spielend auf uns warten.

Big Daddy – Big Data

Ist die anthropologische Wende nicht noch frisch und gerade die theologische Auseinandersetzung um die Frage nach dem freien Willen und der Selbstbestimmung des Menschen nicht noch aktuell genug, um noch ein bisschen sorgfältig mit dieser Freiheit umzugehen? Thomas Pröpper schrieb: „Unverzichtbar aber erscheint mir die […] Entscheidungsfreiheit deshalb, weil […] erst durch sie das Handeln des Menschen seine eigentlich humane Dignität gewinnt.“3 Die eigene Freiheit bewusst wahrzunehmen bedeutet also, Handlungen und Entscheidungen bewusst zu eben den eigenen zu machen und sich durch viele bewusste Entscheidungen und Handlungen eine Identität zu schaffen.4
Wie gesagt, Theolog*innen verbringen ihre Lebenszeit noch recht gerne mit Überlegungen rund um die Freiheit. Dennoch wirkt es, als hätten wir uns – unter anderem von der Religion und autoritären Gottesbildern – nur deshalb mühsam zu freien Menschen emanzipiert, um uns umgehend in das nächste Abhängigkeitsverhältnis zu stürzen. Nur dass in den Nutzungsbedingungen von WhatsApp nichts von Gnade steht. Wir haben Big Daddy gegen Big Data eingetauscht.

Digital bedenken

Wie also digital und frei sein? Wir brauchen eine digitale Anthropologie. Oder zumindest ein Arbeiten an der Übertragung eines vernünftigen, gerechten, würdigen Menschenbildes auf unsere Online-Identität. Rechte für den Homo Digitalis. Keine Anthropologie, die vorschnell digital wird und deshalb „Bedenken second“ auf schwarz-weiße Plakate druckt, sondern eine, die heute noch heute beginnt, aus ihren Bedenken heraus produktiv an der Digitalisierung mitzuarbeiten. Und das in Bunt. Eine, die auch Grundrechte für meine Online-Daten einfordert und die Nutzer*innen gegenüber der Datenökonomie in ihren Rechten stärkt. Eine, die mit User*innen Menschen und nicht Produkte meint.5 Eine, die aufklärt, den öffentlichen Diskurs anstößt und bildet. Eine, die Selbstbestimmung wieder möglich macht, ohne die inhaltliche Bestimmung des freien Willens schon vorwegzunehmen; die digital für humane Dignität sorgt, weil sie unsere Selbstbestimmung zurückfordert: von allen Beteiligten. Die bewusst werden lässt, dass auch das Nutzungsbedingungshäkchen Objekt unserer Freiheit ist. Eine, an deren Ausformulierung dringend philosophische und sozialethische Stimmen durch eine starke Medienethik mitwirken sollten.

Hashtag der Woche: #übermedium


(Beitragsbild von @williambout)

1 Filipović, Alexander: Big Data: Medienethische Fragen zur digitalen Vermessung der Welt. Online im Internet.

2 Filipović, Alexander: Die Datafizierung der Welt: Eine ethische Vermessung des digitalen Wandels, S. 13.

3 Pröpper, Thomas: Theologische Anthropologie. Band 1. Freiburg: Herder,2012. S. 503.

4 Vgl.: ebd.

5 Vgl.: Kardinal Marx, Reinhard: Digitalisierung: Den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Online im Internet.

 

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hannah ringel (sie/ihr)

studierte in Freiburg katholische Theologie. Hannah hat mal für die Kirche zum Thema Digitalisierung gearbeitet ─ jetzt macht sie das für eine Unternehmensberatung. Außerdem werkelt sie an einer Dissertation zu den Themen Ethik und Digitalität und nutzt seit dem Foto hier links keine Einwegkaffeebecher mehr, versprochen! Hannah ist Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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