In der Rubrik Spoiler Alert liefern wir kurze und knackige Texte über (pop)kulturelle Niceigkeiten. Neue Platten, Video-Spiele, Essaysammlungen und Romane, Theaterstücke – nichts ist vor uns sicher. Heute schreibt Florian Elsishans über das neue Album „Alle Liebe nachträglich“ von Mine und Fatoni.

„Ab dem 13. Oktober werden Liebeslieder wieder hip“. Dieser Satz fiel im Promo-Chat von Mine und Fatoni zu ihrem Album Alle Liebe nachträglich. Das klang wirklich vielversprechend, eingedenk der Beobachtung, wie Liebe sonst so in der Popkultur auftaucht. Da verbringen verkitschte Liebeslieder, die das Erwachen einer unsterblichen Liebe in den Zeitraum einer einzigen Nacht pressen können oder Singer/Songwriter aus Deutschland, die deprimiert Schallplatten über ihren Liebeskummer vollschreiben, einige Wochen in den Charts.

Klar, in manchen Situationen ist es angenehmer, sich in eine Welt entführen zu lassen, die einem vorgaukelt, es sei alles ganz einfach. Aber was in anderen kulturellen Genres gelingt, bleibt in der Popmusik oft auf der Strecke: eine differenzierte Auseinandersetzung irgendwo zwischen verkitschter rosa Traumwelt und deprimierend düsterer Schlussmachstimmung. Wenn jemand das schaffen könnte, dann vielleicht eine (Indie-)Popkünstlerin und ein deutscher Rapper – wie Mine und Fatoni. Dieser etwas andere Blickwinkel scheint auch deren Programm zu sein, wie Erstere in einem Interview verrät: „Ich find, dass es in der deutschen Sprache total schwierig ist, über die Liebe zu reden, ohne dass es wack ist. […] und ich war auch total gespannt, ob ich’s schaffe die Brücke zu schlagen zwischen ekelhaft und direkt.“

Ich sag: ‚Fick dich doch selbst‘, sie sagt nichts, ich sag nichts
Ich sag: ‚Es tut mir leid, das war nicht so gemeint‘
Sie sagt: ‚Komm schon, Mann.
Lass uns einfach nicht mehr drüber reden und wir schauen ’ne Romcom an‘

Romcom

Tatsächlich ist das erste Lied des Albums, Romcom, erstmal ein Schlag ins Gesicht. Ein Lied über Beziehungsprobleme und wie man sie ignoriert, „denn das nicht mehr d’rüber reden verbessert den Beziehungsstand“. Also tatsächlich kein Album auf Wolke 7, aber auch keines, das dieser Wolke 7 hinterhertrauert. Eher ein Album voller vielfältiger Erfahrungen in Beziehung und Liebe. Es geht darum, immer wieder verletzt zu werden, um einseitige Beziehungen, Verliebtsein, Trennungen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen, und Beziehungsideale, bei denen es auch mal ganz okay ist, sie nicht zu erreichen.

Ich brauch’ keine Dies-Das-Dinge,
ich kann mich überall hindrehen
Denn du bemalst meine Welt mit Schminke,
so kann ich alles in schön sehen

– Schminke

Und obwohl das Hollywood-Ideal der großen Liebe nicht erreichbar ist – denn „die andere Frau wird immer schöner sein als ich es bin. Liebe ist ein Luftschloss, das nichts repariert. Du wirst es feststellen, wenn Du sie mal ausprobierst“ (Traummann) – so scheint es doch einen Versuch wert zu sein, sich auf jemand anderen einzulassen. Es scheint doch irgendetwas in Reichweite zu geben, dass so schön ist wie es uns Hollywood verspricht, auch wenn wir es nicht greifen können.

Wir machen uns ein Tattoo,
dann halten wir ein Leben lang
Und halten wir kein Leben lang,
dann lassen wir’s weglasern, Mann

– Tattoo

Rufen Mine und Fatoni uns dazu auf, absurde Held*innen im Camus-Stil zu werden und einen aussichtslosen Kampf zu führen, weil es das – trotz mangelnder Begründung und Hoffnungslosigkeit – wert ist? Ich glaube, es geht eher darum, sich der unbequemen Wahrheit zu stellen, dass Beziehungen nicht perfekt verlaufen und dass niemand das perfekte Rezept gefunden hat. Dieser Inhalt wird durch das Zusammenspiel von Popgesang und Rap auch auf der musikalischen Ebene aufgegriffen und bildet einen gelungenen ästhetischen Rahmen.

Hinter der vermeintlichen Schelle der kalten Wahrheit über Liebe steckt also eine Ermutigung. Dass man die rosarote Brille in der Beziehung verliert, ist kein Indikator für ein Scheitern der Liebe, sondern eher – weiß schon Psychoanalytiker Jacques Lacan – eine notwendige Etappe einer Beziehung. Unsere Bilder des*der Anderen sind eben nur Projektionen unsererseits, die im Lauf der Zeit entzaubert werden. Sich trotz dieser Erkenntnis und unserer Desillusionierung um andere zu bemühen, zeigt dann unser aufrichtiges Interesse an der*dem anderen, daran, wie er*sie wirklich ist, denn „manchmal ist das beste Essen Baguette von der Tanke. Zum Beispiel wenn man rausfährt und es gibt nur Baguettes bei der Tanke. Dann isses geil.“ (Traummann)


Alle Liebe nachträglich von Mine & Fatoni erschien am 13. Oktober 2017 bei Caroline (Universal Music)

Beitragsbild: Pressebild

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florian elsishans

studiert nach seinem Studium der Katholischen Theologie nun Jura an der Universität Freiburg. Besorgte Freund*innen fragen sich, ob er sie wirklich dauernd missversteht oder über zu viel poststrukturalistischer Lektüre den Verstand verloren hat. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit dem Schlagen persönlicher Fahrradbestzeiten und mit elektronischer Musik. 2016 hat er y-nachten mitgegründet und gehörte bis Dezember 2021 der Redaktion an.

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