Lutheroratorium, ein Playmobil-Luther und die stete Präsenz in den social media – im Jubiläumsjahr wird der Popstar Martin Luther inszeniert. Christoph Moos zeichnet den Hype um den Reformator von damals bis heute nach.

Luther goes social media

Wer das Reformationsjubiläum auf Twitter, Facebook, Youtube und Co. verfolgt, findet eine breite Palette an Angeboten – von vielen Hinweisen auf wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Luther und seinen Ideen bis hin zu Mobilegames und modernen Inszenierungen der Person Martin Luther.

Zum Beispiel kann man mit Luther und seiner Reisegruppe die Flucht aus Worms wagen oder Luther „helfen, seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg zu nageln“. Wir können aber auch in einem Blog davon lesen, „was Martin Luther und Steve Jobs gemeinsam haben“. Im Lutheroratorium wird Luther wie ein Popstar „gerockt“, eine Gruppe von Tübinger Theologiestudierenden feiert in ihrem Song den „Boss aus Wittenberg“. Und die Playmobil-Figur „Martin Luther“ ist die erfolgreichste aller Zeiten!

Nicht zuletzt läuft dieser Tage in einigen Kinos wieder der große Luther-Film aus dem Jahr 2003. „One man changed the world“ (so der englische Untertitel). Martin Luther, der Held, der sich allein gegen das Böse und die Ungerechtigkeiten seiner Zeit stellt: „Der Funke, an dem sich die Welt entzündet“ (wie es im deutschen Trailer heißt).

Jetzt könnte es hier natürlich darum gehen, die Luther-Bilder hinter diesen Beispielen zu dekonstruieren – dass Luther seine 95 Thesen wohl kaum eigenhändig an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg gehämmert hat und dass auch die sogenannte „Pulverfasstheorie“ (Luther als „der Funke, an dem sich die Welt entzündet“) ebenfalls längst als überholt gilt, kann man aber auch in sehr guten Büchern nachlesen (z.B. von Volker Leppin oder Heinz Schilling).

Luther-Popkultur ist nichts Neues! Oder: Der Heilige Martin (Luther)

Holzschnitt, Hans Baldung Grien (1521)

Luther-Popkultur ist nichts Neues. Das zeigt ein Blick ins 16. Jahrhundert. Ein Holzschnitt des Malers Hans Baldung Grien (1521) zeigt Martin Luther unter der Taube des Heiligen Geistes – und ging als Flugblatt (quasi das Social Media des 16. Jahrhunderts) ziemlich schnell viral. Luther wird in der protestantischen Populärkultur des 16. Jahrhunderts so eine Art „Ersatzheiliger“, der vom Heiligen Geist erleuchtet das reine Evangelium verkündet.

44 Jahre später: Cyriakus Spangenberg, Generaldekan in Mansfeld und den sogenannten „Gnesio-Lutheranern“ zuzuordnen, predigt über Luther. Gnesio-Lutheraner (von griech. gnesios = echt) waren nach ihrem eigenen Verständnis diejenigen, die den „echten Luther“ verkündeten und bewahrten, während die „Philippisten“ (Anhänger Philipp Melanchthons) für sie theologische fake news verbreiteten.

Für Gnesiolutheraner wie Spangenberg ist der „echte Luther“ der Prophet am Beginn der Endzeit, das Weltende mit dem Jüngsten Gericht steht kurz bevor. Entsprechend predigt  Spangenberg am 10. November 1565, dem Geburtstag Martin Luthers und Vorabend des Martinstages (Sankt Martin):

Wir begehen heute auff diesen tag / mein geliebten Christen / die gedechtnis des lieben Martini [Hl. Martin von Tours]. […] Dieweil aber / mein lieben freunde / der getrewe Gott / auch zu vnsern zeiten / einen sonderlichen Martinum [Martin Luther] hie in diesen Landen erwecket vnd gegeben hat / welcher als gestern den 10. Novembris / fuͤr neunn vnd siebentzig jharen / zu Eysleben geboren worden / vnd das Euangelion / welches lange zeit verdunckelt gewesen / wider ans liecht gebracht / vnd wir also durch ihn ewige guͤter empfangen. […] Dieweil wir vns heute des heiligen / thewren / hohen Mannes / Doctoris Martini Lutheri / vnsers dritten Helias / vnd alle der hohen wolthaten / die Gott durch jn gegeben / erinnern sollen / […]

Martin Luther ist der neue heilige Martin, der das „lange verdunkelte Evangelium“ wieder ans Licht gebracht hat: He made the Bible great again! Luther ist der „dritte Elias“ – ein Blick in die Bibel (Make the Bible great again!) klärt auf: „Bevor aber der Tag des Herrn kommt, / der große und furchtbare Tag, / seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija.“ (Maleachi 3,23). Luther ist also für Spangenberg der Prophet, der das Jüngste Gericht und die Wiederkunft Jesu Christi angekündigt hat.

In seinen insgesamt zehn Luther-Predigten buchstabiert Cyriakus Spangenberg Luther weiter aus, unter anderem als Prophet, Heiliger und größter Theologe seit der Apostelzeit. Make Luther great (again)!

Und Luther selbst?

Der Reformator schreibt bereits 1522:

„man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! […] Lasst uns tilgen die parteiischen Namen und uns Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben.“

– Martin Luther, Eine treue Vermahnung zu allen Christen… (WA 8, 685, 4-11).

Trotzdem haben nach seinem Tod nicht nur Gnesiolutheraner und Philippisten darum gerungen, wer die „echten Lutheraner“ sind – sondern jede Zeit hat mehr oder weniger „ihr“ Lutherbild geprägt.

Tafelbild, Stiegler (18. Jhd)

In der Aufklärung etwa wurde Luther zum „Verkünder der Freiheit“ und Lichtbringer stilisiert.

Im 19. Jahrhundert wurde aus Luther der deutsche Nationalheld, ein Begründer des Deutschtums – wie er auch in vielen Denkmälern verewigt wurde. Anschaulich wird das auch auf einer Feldpostkarte aus dem 1. Weltkrieg (1917): Mit Bismarck wird Luther auf einer als „deutsche Eichen“ dargestellt.

Zu jeder Zeit gab es aber ebenso Kritik an diesen Stilisierungen und die Forderung, die Inhalte statt der Person ins Zentrum zu rücken: „Jesus first“ statt „Luther first“! Das ist sicher bei manchen Darstellungen berechtigt. Aber vor allem lässt sich feststellen: Die verschiedenen Lutherbilder nehmen oft Luther als Deutekategorie für ihre eigenen Ideen – und sagen entsprechend mehr über die jeweilige Zeit und ihre Ideen aus, als über den historischen Luther.

#Luther2017 – who first?

Luther-Popkultur hat es schon von Anfang an gegeben. Und auch wenn der Reformator selbst schreibt „Was ist Luther?“, ist eine populärkulturelle Annäherung dennoch nicht per se schlecht, sondern bietet viele Chancen. Ich bin zum Beispiel gespannt, wie die zum 31.10.2017 angekündigten Mobilegames diese Annäherung auch inhaltlich umsetzen können. Und wenn das Poporatorium Menschen nicht nur von der Person Luther, sondern auch von der Botschaft begeistern kann – why not?

Bei allem sollte man jedoch die Frage stellen dürfen: Who first? Geht es nur um den einen Mann, der die Welt veränderte, oder geht es zuerst um die Botschaft des Evangeliums?
Und zweitens: Ist das noch Luther – oder sind das eigentlich wir selbst oder, in idealisierter Form und mit dem Etikett „Luther“?

Luther2017 würde heute vielleicht sagen: Jesus Christ first, faith first – and make the Bible great again! (oder mit Luther1517: sola gratia, sola fide, sola scriptura, solus Christus).

Hashtag der Woche: #luther2017


Übrigens: unter #Luther2017 sind auf twitter auch spannende Projekte wie die #140zeichenthesen zu finden, mit denen die Uni Erfurt versucht, Luthers 95 Thesen in 95 Tweets in moderner Sprache mit jeweils 140 Zeichen wiederzugeben.

(Beitragsbild: @albersHeinemann)

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christoph moos

studierte katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Fribourg (Schweiz). Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte in Freiburg.

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