Einer hat mich angesteckt und das Feuer brennt hell – vor einiger Zeit war es mal wieder soweit und das Feuer der Neugierde brannte in mir: Ich habe den Index Theologicus nach den Stichworten „NGL“ und „Neues Geistliches Lied“ durchstöbert. In der Hoffnung, was Neues zu finden, das ich evtl. für ein Prüfungsgespräch verwenden könnte, schaue ich mir die rund 170 Ergebnisse an. Was bedeutet eigentlich neu? Ein schneller Klick auf Onlinepräsenz des Duden und dort lerne ich, dass „neu“ bedeutet, dass etwas bisher noch nicht bekannt ist oder erst vor kurzer Zeit hergestellt wurde. Das stimmt mich nachdenklich, denn was ich im Index sehe ist alles andere als neu – Artikel und Texte aus den 70ern und nur weniges Neues. Schon gar nichts aus 2017. Ist denn Neues Geistliches Lied dann überhaupt noch neu?
Willkommen in der Senffabrik
Bereits seit den 70ern stellt man sich die Frage, welches Potenzial in diesen schmissigen Liedern mit gut eingängigem Text und einem Refrain, den man bereits nach der ersten Strophe beherzt mitschmettern kann, steckt. Oder eben nicht. Aber warum ist das Neue Geistliche Liedgut eigentlich so verrufen? Ich habe da einen Verdacht. Man mag es kaum glauben, es erscheinen immer wieder neue Kompositionen und die sind gar nicht mal so schlecht. Aber ihnen fehlt das Potenzial, sich zu etablieren, und das liegt schlicht daran, dass sie nicht gemeindetauglich sind. Da gibt es gute Oratorien und Messen, alles auch recht modern, aber es ist einfach nicht singbar ohne zuvor eine halbe Stunde mit der Gemeinde zu singen. Also liegt es doch nahe, dass man sich auf das besinnt, was man schon lange kennt und was man auch ohne weiteres singen kann. Und wenn es nicht im neuen Gotteslob ist, dann wird es halt kopiert. So einfach ist das. Und doch auch so schwer.
Wenn ich mal überlege, wie viele kleine und hoffnungsvolle Senfkörner ich in meinem gut religiös sozialisierten Leben bereits besungen habe, dann könnte ich eine Senffabrik aufmachen. Ganz zu schweigen von blühenden und glühenden Knospen, die wir schon im Schüler*innengottesdienst laut besungen haben. Der Text erschließt sich mir bis heute nicht. Auch nicht nach meinem Theologiestudium.
Herr, deine Liebe …
Ja, das ist kurzsichtig und vielleicht auch eine sehr individuelle Angelegenheit, dass ich einfach nicht viel mit NGL anfangen kann. Mag sein, aber woran liegts? Nur an mir oder auch am seichten Text so manchen Liedes? Oder an der Tatsache, dass viele Texte ins Lächerliche gezogen werden – ich sage nur: „Herr, deine Liebe“…
Nein, das ist es nicht. Manche Texte zeichnen einfach eine viel zu schöne und gute Welt, die einfach so nicht ist und die es auch zur Entstehungszeit der Lieder nicht gewesen ist. Die „Erde ist schön“ – mag man das denn überhaupt singen? Mag ich das singen? Liturgie sollte doch die Lebenswirklichkeit der Menschen abbilden und die erleben die Erde nicht nur als schön. Klar, Gottes Schöpfung ist schön, aber was ist mit der Realität? Mit Flucht und Angst, mit Populismus und Gewalt? Dass NGLs verständlicher sein sollen als so manches althergebrachtes Kirchenlied, das kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Mein Votum: Paul Gerhardt statt NGL.
Das kann eine Einzelmeinung sein, aber letztlich stoßen mein Verständnis von Liturgie und tätiger Teilhabe und dem, wie NGL im gottesdienstlichen Geschehen präsent ist, an eine Grenze. Tätige Teilhabe erschöpft sich für mich nämlich nicht im Klatschen auf 1 und 3 und der Sache Jesu, die neue Begeisterte sucht. Während unsere Hände zärtlich sind bei ihrem Handeln und eifrig klatschen, soll dies auch zugleich unsere Antwort auf die Ansprache Gottes sein. Da tue ich mich ganz ehrlich schwer, denn die Texte sind mir zum Teil echt zu seicht. In blumiger Sprache, bei der ich manchmal gar nicht weiß, was eigentlich gesagt werden soll, wird eine heile Welt voller Harmonie dargestellt, die so gar nicht der Realität entspricht. Wenn dieser Text dann noch auf eine eigenartige Melodie trifft, die auch in jeder Schlagersendung gut aufgehoben wäre, oder eine, die schlicht nicht singbar ist, dann ist das für mich der neue geistliche Supergau. NGL braucht seinen Rahmen, in dem es, gut aufgeführt, – natürlich mit gehaltvollem und sinnigem Text – auch wirken kann. Aber zu oft ist es einfach ein runtergeorgeltes NGL, das mit dem Rhythmus gar nicht an der Orgel umzusetzen ist und damit hat ein NGL gar keine Chance, gut anzukommen. Ganz anders bei jenen neueren Kompositionen, die mit Band aufgeführt einfach auch gut sind. Gut, aber es sind wenige.
Schluss mit seicht
Mein Appell: Bitte hört auf, auf 1 und 3 zu klatschen, singt Texte, hinter denen ihr steht, lobt und preist Gott, wie es euch entspricht und gefällt, aber macht es euch nicht zu einfach, stellt euch sperrigen Texten und lasst das Seichte weg und trotzdem ist Gottes Liebe so wunderbar groß, dass sie uns alle ansteckt und uns für die Sache Jesu begeistert, dass neue Tage beginnen und wir uns freuen und dass wir letztlich auch Menschen erleben, die uns zur Heimat werden. Und zu guter Letzt pflanze ich noch einmal ein kleines Senfkorn Hoffnung, dass endlich mal jemand kommt, der*die einen reflektierten und zeitkritischen Text liefert, der dann auch noch musikalisch eine gute Gesamtperformance abliefert.
Hashtag der Woche: #Senffabrik
Ich widerspreche dem Artikel über das NGL. Die Auswahl der Zitate ist z.B. unpräzise. Bei „Alle Knospen springen auf“ glühen die Nächte, nicht die Knospen. Das der Lied-Text die adventlichen Jesaia-Texte variiert, kann man als Theologin erkennen. Die anderen wenigen zitierten Beispiele eignen sich zwar, um seichte Lieder zu zitieren, aber sie eignen sich nicht, die ganze Szene adäquat zu beurteilen. Meine Kritik: unzulässige Verallgemeinerung der wenigen Beobachtungen bei gleichzeitiger Unkenntnis der Sachlage und einem kokettierenden altklugen Habitus einer Ressentiment versprühenden Empörten. Mit solch einer Haltung sollte man nicht in die Seelsorge und Liturgie hineingehen. Dass manche der seichten Lieder sich in 50 Jahren durchgesetzt haben, bedient auch meinen Geschmack nicht, dennoch schaffen es Lieder wie „Herr, deine Liebe“ über lange Zeit, über Generationen hinweg, auf dem weiten Land, einen festen Platz in der Volksfrömmigkeit zu sichern. Deshalb muss man sie ernst nehmen, auch wenn man sie nicht mag. Da sollte man/frau sich weniger herablassend äussern, weil man vergisst, dass offenbar diese Lieder den anderen mehr bedeuten, als die Substanz des Liedes es rechtfertigen lässt. Auch ist es falsch, die alten Lieder generell in Schutz zu nehmen. Sie haben den jahrhundertealten Filter bereits hinter sich, sie dürfen dazu gehören, ohne dass sie instrumentalisiert werden, um die neuen zu verdrängen. Es gab aber auch in den alten Zeiten Misslungenes. Warum darf man das unseren Generationen nicht zugestehen? Und wer will ernsthaft sagen: ich lebe im 21. Jahrhundert und es gelingt mir nicht, ein gutes Lied aus unserer Zeit aus meiner Generation zu finden? Ich identifiziere mich lieber mit der Frömmigkeit des 17. Jahrhunderts? Viel Spass auf der Robinson Crusoe-Insel. Die aktuell seichten Lieder sind der Spiegel dessen, dass die Kirchenoberen und alten Kirchenmusiker die Entwicklung verschlafen hatten, die neuen Musikstile zu adaptieren und vernünftige Qualifikationen anzubieten. Auf diese Weise wanderten die NGLs auf die Notenständer der Dilettierenden, statt von Semi-Profis und Profis (z.B. Kirchenmusiker) bedient zu werden. Und dort wurde dann inhaltlich und theologisch gefiltert, was die Fingerfertigkeit zuliess. Durchgesetzt hat sich nicht zuerst die Seichtigkeit der Lieder, sondern das unzureichende musikalische Können ihrer Performer/Innen. Gottseidank haben längst die jüngeren professionellen Kirchenmusiker keine Probleme mehr, Bach, Jazz und Pop zu bedienen. Und zur Frage: was ist „neu“. Neue Lieder singen geht zurück auf den Psalm 98: „Singt dem Herrn ein neues Lied“. Die Pointe: singt dem Herrn immer wieder ein neues Lied. Passend zu eurer Zeit und zu eurem Leben. Es heisst eben nicht: singt dem Herrn die alte Leier. Ich bitte die Bloggerin darum, diese Art von Genöhle und Miesepetrigkeit aus der Fortentwicklung von Musik in der Liturgie bleiben zu lassen und sich nächstes Mal wirklich erst mal die Szene – und sie ist sehr gross – genauer anzuschauen.
Sehr geehrter Herr Bayer,
herzlichen Dank für Ihren Kommentar auf meinen Artikel. Es freut mich doch sehr, dass ich einen liedschaffenden Menschen wie Sie zu einem Kommentar bewegen konnte. Allerdings möchte ich Ihren Kommentar nicht einfach so stehen lassen, da ich den Eindruck habe, dass Sie die Botschaft meines Artikels nicht vollkommen durchdrungen haben. Es scheint, als haben Sie bei dem Verweis auf Paul Gerhardt aufgehört zu lesen. Sicherlich haben alle Lieder und alle Texte immer eine gewisse Berechtigung und haben sich auch in der Volksfrömmigkeit etabliert und sind sicherlich auch von emotionaler Bedeutung für viele Menschen. Die Frage ist: Möchte ich mich damit zufrieden geben oder eben nicht?
Bei allem Respekt vor der persönlichen Frömmigkeit anderer Menschen – über die ich es mir verbiete zur urteilen – möchte ich gewisse Botschaften nicht selbst weiter tradieren. Insbesondere das NGL – und glauben Sie mir, als nebenberufliche Kirchenmusikerin kenne ich die Landschaft doch auch gut – neigt dazu theologische Inhalte zu verniedlichen, sie seicht darzustellen und alles was sperrig ist und nicht einfach zu erklären wird per se ausgeklammert. Das ist nicht die Haltung, mit der ich mich zufrieden gebe, denn sie nimmt die Menschen nicht ernst. Unser Alltag ist nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“, denn da gibt es genug Situationen, in denen wir uns fragen wo der liebe Gott denn nun ist. Und genau solche Situationen sollen nicht ausgeklammert werden, weil sie zu menschlichen Leben gehören.
Dass es stark auf die Perfomance ankommt, da sind wir ja einer Meinung. Das sprechen Sie in Ihrem Kommentar an, aber auch in meinem Artikel wird das klar. Dass NGL nicht primär für die Orgel geschaffen wurde das liegt auf der Hand. Auf die Performance kommt es an und nur wenn diese stimmt, dann kann auch der Inhalt bei den Menschen auf Gehör stoßen.
Dass sie mich in diesem Artikel auch auf persönliche Weise angehen, darauf möchte ich nicht weiter eingehen, da ich dies nicht ernstnehmen kann. Aber ich möchte Sie bitten, zumal Sie selbst in der Pastoral tätig sind: lassen Sie einfach das Urteilen über die pastoralen und theologischen Fähigkeiten anderer Menschen. Das steht einem pastoralen Mitarbeiter einfach nicht gut und zeugt auch nicht gerade von einem wertschätzenden Umgang mit Menschen, den ich als eine wichtige Grundvoraussetzung für pastorale Mitarbeiter*innen betrachte.