Alle Jahre wieder

Kaum hat man sich von festlicher Völlerei und nostalgischen Gesprächen unter dem Baum aufgerafft, ist schon wieder die Rede vom nächsten Anlass: der Jahreswende. Zusammen mit ihr liegt die Aufmerksamkeit auch auf etlichen Bräuchen wie Bleigießen, roter Unterwäsche oder den guten Vorsätzen. Jedes Jahr aufs Neue nimmt man sich vor, ein besserer Mensch zu werden. Sei es, dass man mehr Sport treiben, freundlicher zu den Nachbar*innen sein, weniger diese oder jene Droge konsumieren möchte – die Vorsatzwut kennt keine Grenzen und kein Erbarmen. Nahezu alles kann perfektioniert werden und sollte es auch. Nur, um ein Jahr später immer noch mit der Zigarette im Mund und Sekt in der Hand nach üppigem Raclette das Feuerwerk anzuschauen.

Sicherlich sind Vorsätze oft mit zeitlichen Festlegungen verbunden, nicht nur zum Jahresende. Auch wenn ich im Jahresverlauf ein Vorhaben fasse, setze ich den Starttermin auf den Beginn einer Woche oder den nächsten Tag. Wie auch bei den Vorsätzen an Neujahr passiert es dann nicht selten, dass ich – oh Wunder! – enttäuscht feststellen muss, wie ich meinen Vorsatz nicht erfüllen konnte. Der*die Kritiker*in einer solchen Praktik möchte nun vielleicht anmerken, dass diese Enttäuschung schon im Vorsatzfassen selbst angelegt ist, denn wenn man eine Veränderung auf einen Zeitpunkt in der Zukunft verlegt, meint man es gar nicht ernst. Wenn doch, würde man tatsächlich umgehend etwas ändern und die Arbeit nicht durch einen solch billigen Trick erstmal aus dem Bewusstsein befördern.

Die Gelegenheit beim Schopfe packen

Diese Kritik trifft in der heutigen Zeit sicherlich auf offene Ohren. Der Leistungsdruck und Perfektionismus kennt kein Ende. Ständig gibt es etwas zu verbessern: an sich selbst, an anderen und an der Welt. Gerade, wenn man sich die Welt als einen besseren Ort erträumt, verfällt man selbst einem immensen Leistungsdruck beim Versuch diesem Ideal gerecht zu werden. Warum sollte man die Ansprüche herunterschrauben und sich damit zufrieden geben, erst am Montag keinen Verpackungsmüll mehr zu produzieren? Wenn man schon weltverbessernd sein möchte, dann doch bitte gleich und sofort!

Auch aus der ökonomischen Perspektive ergibt Aufschieben keinen Sinn. In einem wachstumsorientierten System ist es natürlich auch geboten, möglichst bald zu wachsen bzw. möglichst bald zu optimieren. Der Druck, der von der Leistungsgesellschaft ausgeht, drängt ebenfalls dazu, sich zu optimieren, und auch das am besten sofort, um möglichst schnell Leistungen zu erbringen. Den Luxus eines Vorsatzes, der vielleicht erst in geraumer Zeit erfüllt wird oder auch gar nicht erfüllt wird, kann man sich eigentlich nicht leisten. Umso größer die Frustration, wenn ein Vorsatz nicht erfüllt werden kann. Es gilt den richtigen Moment abzupassen, keine Gelegenheit zu verpassen einen Vorsatz zu erfüllen.

Irgendwie erscheint ein solches Denken bekannt… Achja, da war ja dieser kairos. Der rechte Zeitpunkt, weniger eine Zeitbestimmung, als eine Haltung, wie er schon in der griechischen Mythologie auftaucht. Es ist der Moment, der schwer vorherzusehen ist und den es abzupassen gilt, dessen Verpassen unwiderruflich ist. Es ist der Moment, den es abzupassen gilt, der entscheidend für den weiteren Verlauf des eigenen Lebens ist. Bei Paulus und auch in der theologischen Ethik rezipiert als Aufruf an die*den Christ*in, wachsam zu sein. Wachsam einerseits für die Wiederkunft Jesu, andererseits für jede Gelegenheit der moralisch gebotenen Handlung. Ein Aufruf Gottes an den Menschen, sich jederzeit und nicht nur situativ entsprechend seines Glaubens zu verhalten. „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde“ und so.

Wow, nicht nur von mir selbst und der Gesellschaft werde ich in meiner Selbstreflexion überfordert, sondern auch noch vom Glauben. Soll ich denn nun in jeder Situation im Hinterkopf behalten, dass der*die Allmächtige auf mich schaut, meine Handlungen beurteilt und vor den Kontext seiner*ihrer unendlichen Weisheit stellt, nur um meine Fehltritte zu verurteilen oder zumindest zwar verurteilen, aber dann durch seine*ihre unendliche Güte zu vergeben?

Chillt Eure Basis

Ein solcher Anspruch führt doch nur zur Selbstüberforderung. Sich selbst immer kritisch und in Argwohn gegenüberzustehen, mag vielleicht bei Augustinus noch hip gewesen sein, aber in der Moderne angekommen und das Individuum ein wenig wertschätzend führt es weniger auf einen grünen Zweig. Auch der*die liebende Gott wird wohl wenig Interesse an Menschen haben, die sich selbst überfordern und in Selbstverachtung verfallen an dem Anspruch, den sie*er vemeindlich an den Menschen stellt. Ein*e liebende*r und die menschliche Freiheit achtende*r Gott wird wohl eher Gefallen daran finden, wenn sie zumindest auf die Idee kommen, mal zu überlegen, was sie besser und mehr in ihrem*seinen Sinne tun könnten.

Der Brauch der Vorsätze ist also nicht völlig abwegig. Vielleicht mag man nicht alle davon erfüllen und Einiges an Verbesserungspotential wird immer bleiben. Aber sich zumindest in diesen Prozess der Selbstreflexion zu begeben, sich Vorsätze zu geben, Dinge zu finden, die man ändern will, ist ein guter Grundstein, um zu einem besseren Menschen zu werden. Es ist nur menschlich, wenn dies an messbaren Zeitpunkten festgemacht werden möchte. Wir Menschen sind nicht dafür geeignet, immer auf Abruf zu funktionieren oder moralisch perfekt reagieren zu können. Diese unsere Natur gilt es nicht zu diffamieren, sondern anzuerkennen und damit zu arbeiten. Wir sollten also nicht in Frustration verfallen, sollten wir einen unserer Vorsätze nicht erfüllen können. Sondern wir sollten uns freuen, wenn wir Vorsätze finden, die wir uns setzen können und den kairos vielleicht in diesem Sinne umdeuten. Hin zu einem rechten Zeitpunkt, der nicht einmalig unwiderbringlich und auf jeden Fall zu erreichen ist, sondern zu einem rechten Zeitpunkt, den wir uns in unserer Freiheit selbst setzen und den wir für eine gute Gelgenheit halten, um uns zum Besserem zu wandeln.

Anstatt an unserem Selbstanspruch zu resignieren oder zu zerbrechen, sollten wir vielleicht wieder den Blick auf den Brauch der Vorsätze richten, um tatsächlich zu prüfen, was wir an uns ändern könnten und sollten. Und selbst, wenn dies nicht auf Anhieb gelingen mag: nicht verzagen, sondern uns der nächsten Gelegenheit bewusst sein, etwas zu ändern und nicht müde werden, dazu bereit zu sein.

Hashtag der Woche: #gönnungmusssein

 

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florian elsishans

studiert nach seinem Studium der Katholischen Theologie nun Jura an der Universität Freiburg. Besorgte Freund*innen fragen sich, ob er sie wirklich dauernd missversteht oder über zu viel poststrukturalistischer Lektüre den Verstand verloren hat. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit dem Schlagen persönlicher Fahrradbestzeiten und mit elektronischer Musik. 2016 hat er y-nachten mitgegründet und gehörte bis Dezember 2021 der Redaktion an.

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