Das Nachsynodale Schreiben Querida Amazonia hat alle enttäuscht, die auf ein Anzeichen von Reformfähigkeit der römisch-katholischen Kirche gehofft haben – vermutlich auch die Synodalen selbst. Allegra Decker und Steffen Engler legen daher den Fokus ihrer Überlegungen auf die weiteren Anliegen der Synode, auf die Zukunft Amazoniens und damit die Zukunft des Planeten.

Nun ist es also da, das Nachsynodale Schreiben des Papstes zur Amazonas-Synode. Mit Spannung wurde es erwartet. Denn sollte Franziskus im Amazonasgebiet tatsächlich die Türe zu Weiheämtern für (verheiratete) Männer und Frauen einen Spalt aufstoßen – so das Kalkül – könnte der Rest der Welt dort direkt einen Fuß hineinstellen. Entsprechend einseitig war die Berichterstattung: „Zölibat und Frauen. Papst legt Schreiben vor“ lautete der Titel einer vielfach verbreiteten DPA-Meldung. Es braucht hier nicht erläutert werden, dass das Schreiben unter diesen Aspekten enttäuschte. Ist die Amazonassynode damit abgehakt? Das wäre fatal. Was den deutschen Medien oft nur einen Halbsatz wert war, ist ein Thema, bei dem viele von uns fast genauso nervös werden dürften wie Kuriale beim Thema Frauen und Zölibat. Es betrifft uns alle. Es zielt auf die Frage, inwiefern auch wir mit unserem Lebensstil zu der

„zunehmenden Aggression gegen unser Biom, dessen drohendes Verschwinden enorme Konsequenzen für unseren ganzen Planeten hat“ (Schlussdokument Nr. 65)

beitragen.

Wir sind ökologische Sünder*innen

Die Synodalen prägen den Begriff „ökologische Sünde“. Sie definieren sie

„als eine Handlung bzw. Unterlassung, die sich gegen Gott, gegen die Mitmenschen, gegen die Gemeinschaft und gegen die Umwelt richtet“, als „Sünde gegen zukünftige Generationen“ (Schlussdokument Nr. 82).

Sie fordern, von einer „Kultur des exzessiven Konsums und der Abfallproduktion“ abzurücken, von der „Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen“, von der „Verwendung von Kunststoffen“, sowie von „unsere[n] Essgewohnheiten (übermäßiger Verzehr von Fleisch und Fisch/Schalentieren)“. (Schlussdokument Nr. 84)

Das ist zwar alles nichts Neues, aber ist es deshalb nicht wert, in Presseberichten einen angemessenen Platz zu bekommen? Klar, wir kaufen schon regional und bio, sparen Plastik, haben kein Auto, fliegen selten und essen nur wenig Fleisch. Warum sollten wir also ökologische Sünder*innen sein? Weil das, was wir bisher tun, nicht reicht.

Woher stammt das Futter für unser Futter?

Denn was sowohl im Schlussdokument als auch im Schreiben des Papstes nicht deutlich wird: Unser nach wie vor gehegter Lebensstil, vor allem unser Verzehr tierischer Produkte, hängt mit dem Elend am Amazonas direkt zusammen.

Wir essen ein Schnitzel oder trinken Milch. Doch anders als in unseren Bilderbuchfantasien von grasenden Kühen und im Schlamm wühlenden Schweinen werden Tiere für die Produktion von Fleisch und Milch nicht liebevoll gepflegt, sondern industriell gemästet. Mit Soja. Unter anderem aus Amazonasgebieten, wo dieses auf großen Flächen angebaut wird. Zu Recht bezeichnen die Synodalen solche Monokulturen als „Attentate gegen die Natur“ (Schlussdokument 10), denn allein für Soja wurden in Brasilien 2012 mehr als 24 Million Hektar Land okkupiert.1

In jedem Schnitzel und jedem Glas Milch steckt ein Stück Regenwald

Mit diesem Soja werden europäische Masttiere zu einem gewichtigen Teil gefüttert.2 Bereits 70 % des Waldes wurden im Amazonasgebiet seit 1970 für Weideflächen und den Anbau von Futtermitteln gerodet.3 Der Regenwald aber, darauf weisen die Synodalen deutlich hin, ist das „biologische Herz“ der Erde (Schlussdokument Nr. 2). Denn Wälder speichern im Boden Kohlenstoff. Werden sie jedoch gerodet, entweicht dieser als CO2 in die Atmosphäre.4

Damit trägt der Konsum tierischer Produkte gleich vierfach zum Klimawandel bei: Bei der Rodung des Waldes wird CO2 freigesetzt und seine Funktion, CO2 zu binden, verschwindet. Die auf diesen Flächen angebauten Monokulturen werden exportiert, was wiederum CO2 verursacht. Zuletzt nimmt die Produktion tierischer Produkte auch hierzulande kostbare Flächen in Beschlag und verursacht zusätzlich klimawirksame Gase.

„Für kein anderes Konsumgut der Welt wird so viel Land benötigt wie für die Herstellung von Fleisch und Milch. Obwohl nur 17 % des Kalorienbedarfs der Menschheit von Tieren stammt, benötigen sie 77 % des globalen Agrarlandes.“5

Allein die Anbaufläche für Soja lag 1997 bei 67 Millionen Hektar. Inzwischen sind es 120 Millionen.6 Angesichts des prognostizierten Anstiegs des weltweiten Konsums tierischer Produkte7 wird diese Zahl weiter anwachsen. Es gibt nur eine Möglichkeit dem entgegenzuwirken: Wir müssen unseren Konsum von Fleisch, Milch und Ei einstellen.

Dabei muss niemand Proteinmangel erleiden: Die Auswahl an pflanzlichen Proteinlieferanten ist riesig. Übrigens werden vielfach Menschen, die sich vegan ernähren, für ihren damit verbundenen Sojakonsum diskreditiert. Dabei ist zu beachten, dass in der veganen Ernährung verwendetes Soja meist aus Europa stammt.8 Hingegen sind

„[e]twa 95 Prozent der Sojaimporte […] für den Einsatz als Futtermittel in der Produktion von Fleisch-, Eier- und Molkereierzeugnissen bestimmt“9.

„Radikale Veränderungen von höchster Dringlichkeit und eine Neuorientierung sind erforderlich“ (Schlussdokument, Nr. 2)

Kürzlich hat Martin M. Lintner auf katholisch.de die Frage gestellt, ob wir als Christ*innen guten Gewissens Fleisch essen dürfen. Er kommt darin zu dem Ergebnis, dass vegetarische und vegane Gerichte konsequent auf jeder Speisekarte stehen sollten. Zu einem Verbot tierischer Produkte kann er sich nicht durchringen. Vielmehr plädiert er dafür, sorgfältig zu prüfen, woher diese stammen. Das ist ein erster Schritt, aber angesichts einer auf 10 Milliarden Menschen anwachsenden Weltbevölkerung benötigt es radikalerer Veränderungen. Um es drastisch auszudrücken, wirken solche Formulierungen beschwichtigend und führen zu

„eine[r] oberflächliche[n] oder scheinbare[n] Ökologie, die eine gewisse Schläfrigkeit und eine leichtfertige Verantwortungslosigkeit unterstützt.“ (Laudato si [LS], Nr. 59).

Wir reden uns ein,

„die Dinge [seien] nicht so schlimm und der Planet könne unter den gegenwärtigen Bedingungen noch lange Zeit fortbestehen. Diese ausweichende Haltung dient uns, unseren Lebensstil und unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten beizubehalten. Es ist die Weise, wie der Mensch sich die Dinge zurechtlegt, um all die selbstzerstörerischen Laster zu pflegen: Er versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde.“ (LS 59)

Das sind die Worte des Papstes. Sie sind scharfsinnig, eindeutig und unbequem. Es kam daher nicht von ungefähr, dass ihm vor einem Jahr eine Million Dollar für wohltätige Zwecke geboten wurden, wenn er sich eine Woche lang vegan ernähren würde. Franziskus hat sicher gut daran getan, sich nicht „kaufen zu lassen“. Unabhängig davon gilt – egal ob mit Blick auf kirchliche Reformen oder Umweltschutz: Er sollte seinen Worten auch Taten folgen lassen.

Wir sind ökologische Sünder*innen, ob wir nun Fleisch essen, Milch trinken, oder auf beides verzichten. Das hat schon Karl Rahner herausgestellt, als er die Erbsünde als „strukturelle Sünde“ bedachte und das an einer Banane erläuterte. Dass wir uns, egal was wir tun, immer in Schuld verstricken, kann aber keine Begründung dafür sein, nichts zu tun. In diesem Sinne bietet eine vegane Ernährung die Möglichkeit, durch die Veränderung einer einzigen Gewohnheit einen nicht zu verachtenden Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und damit sich selbst10, seiner Umwelt, seinen Mitgeschöpfen und zukünftigen Generationen jeden Tag etwas Gutes zu tun.

Hashtag der Woche: #francisforfuture


 (Beitragsbild @markusspiske)

1 Vgl. BUND, Soja-Report, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_sojareport.pdf [15.02.2020], S. 11.

Vgl. BUND, Soja-Report, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_sojareport.pdf [15.02.2020], S. 7.

3 Vgl. https://www.peta.de/fleisch-regenwald [15.02.2020].

Vgl. Fleischatlas 2018. Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/massentierhaltung_fleischatlas_2018.pdf [15.02.2020], S. 10.

Fleischatlas 2018. Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/massentierhaltung_fleischatlas_2018.pdf [15.02.2020], S. 10.

Vgl. Fleischatlas 2018. Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/massentierhaltung_fleischatlas_2018.pdf [15.02.2020], S. 10.

EU Agricultural Outlook for the Agricultural Markets and Income 2017-2030, online unter https://ec.europa.eu/agriculture/sites/agriculture/files/markets-and-prices/medium-term-outlook/2017/2017-fullrep_en.pdf [15.02.2020], S.46.

Vgl. https://www.abenteuer-regenwald.de/bedrohungen/fleisch-soja [15.02.2020].

BUND, Soja-Report, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_sojareport.pdf [15.02.2020], S. 9.

10 Sehr populär ist derzeit der Dokumentarfilm „The Game Changers“, https://gamechangersmovie.com [15.02.2020].

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steffen engler

promoviert am Arbeitsbereich Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte der Universität Freiburg und ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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