Die Theologie hat so ihre Nischenthemen: Insofern könnte der heutige Artikel als mäßig relevant gelten. Franziska Wintermantel und Claudia Danzer schreiben über Isis lactans und sodann Maria lactans — die stillende Maria, an deren Brüsten auch nach Jesus offenbar viele Menschen hingen. Was erstmal nur witzig scheint, ist kulturgeschichtlich eine interessante Erscheinung.

Von welchem seltsamen Phänomen soll hier die Rede sein? Maria lactans? Isis lactans? Lactans, von lateinisch lactare, lacto: Milch geben, säugen. Isis ist eine, nein, die Ägyptische Muttergöttin. Und Maria, das ist ja die Mutter Gottes. Aber was haben Muttermilch, Ägypten und die katholische Maria miteinander zu tun?

Zum Verwechseln ähnlich

Dafür reisen wir in das Alexandria des 4. Jhs., den Schmelztiegel antiker Mittelmeerkulturen und -religionen. Von dort stammt eine kunstvoll gestaltete Frauenfigur mit melancholischem Blick, die auf ihrem Schoß einen Säugling stillt — Isis und das Horuskind? Maria und das Jesuskind? Die Forscher*innen sind sich uneins. Maria und Isis sehen sich also zum Verwechseln ähnlich.

Die Muttergöttin Isis zog dem Mythos nach ihren Sohn Horus allein in der Wüste an ihrer Brust groß. Empfangen hat sie ihn auf wundersame Weise über ihrem toten Gattenbruder Osiris schwebend. Eine häufige Darstellung der Göttin1 ist die der Isis lactans: Sie sitzt auf einem Thron, ein Kind auf den Knien, das sie gerade stillt.

Das Bild der stillenden Isis war im kulturellen Gedächtnis der Ägypter*innen seit mehr als tausend Jahren fest verankert und es hatte sich ein Mysterienkult um sie entwickelt, als das Christentum sich auf dem Markt der Religionen präsentierte und schnell Anhänger*innen fand. Welche Frauenfigur hatten sie jedoch dem mächtigen Isis-Kult entgegenzusetzen? Natürlich bot sich Maria hierfür an, über die aus neutestamentlichen Texten nur wenig bekannt ist. Sie galt schließlich als Gottesmutter und hatte ebenfalls auf wundersame Weise, nämlich als Jungfrau, Jesus, den Sohn Gottes, zur Welt gebracht. Bald fanden sich im koptischen Raum Mariendarstellungen, die den Isis-Darstellungen ähnlich sahen. Als der Isis-Kult schließlich im 6. Jh. verboten wurde, wurden den Isis-Statuen die sonst für sie charakteristischen Hörner abgeschlagen und sie wurden als Marienfiguren verehrt. Die ikonographischen Parallelen sind so groß, dass in Paris in St. Germain-de-Près bis ins 16. Jahrhundert eine Isis-Statue als Maria verehrt werden konnte.

Mamaaaaa!

Die Gemeinsamkeiten zwischen Isis-Kult und Marienverehrung gehen über ikonographische Parallelen hinaus. Sie weisen Überschneidungen in der tradierten Biographie und auch ähnliche Titel auf, mit denen sie angerufen werden: Himmelskönigin, Gottesgebärerin, Jungfrau, stillende Gottesmutter oder Schutzpatronin. Beiden kommt die Funktion zu, Mittlerin zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre zu sein. Menschen, die sich in höchster Gefahr befinden, wenden sich bittend an sie:

Du heilige und ewige Retterin des Menschenvolkes,
allezeit freigebig gegen die Sterblichen, die dich umfassen
Du schenkst süße Mutterliebe allen, die in Not sind.2

Hilfesuchende Beter*innen wenden sich an Isis – es hätte genauso gut ein Mariengebet sein können. Dass Frauenfiguren als schutzbringende Mütter angebetet werden, lässt sich für die ältesten bekannten Zivilisationen belegen, wie etwa die Figurinen aus Shar Ha’golan aus dem Neolithikum in Palästina zeigen. Wohl ein Ausdruck eines anthropologischen Bedürfnisses?

Gott und Mensch

Noch spannender wird es, wenn man die Bedeutung der stillenden Gottesmutter in ihrer theologischen Aussagekraft betrachtet: Bei Isis lactans handelt es sich um eine Göttin, die ihrem Sohn Horus göttliche Milch gibt. Häufig ließen sich Pharaon*innen an Stelle von Horus abbilden, um an seiner statt an der göttlichen Brust zu trinken und so ihre irdische Macht göttlich zu legitimieren. Der Mechanismus: Göttliche Milch macht aus Menschen Gottmenschen.

Bei Maria lactans aber wird eine entgegengesetzte theologische Aussage getroffen: Maria ist hier Mensch und ihr Sohn ist Gott. Das Stillen symbolisiert dann, dass ihr Sohn auch ganz Mensch ist – abhängig von Menschenmilch. Die Maria-lactans-Darstellung spielt mehr als die Isis-Darstellung mit Gegensätzlichkeiten. Da steht gegen die jungfräuliche Geburt das Wunder, dass Mariens Brüste Milch geben. Das hilflose, auf den Leib Mariens angewiesene Kind ist der menschgewordene Gott.

Zeit für ein Zwischenfazit: Das Bild des Stillens steht symbolisch für einen elementaren Aspekt der jeweiligen Religion, nämlich für die Demonstration des Gott-Mensch-Seins. Aber dazwischen hat eine raffinierte Transformation durch den Kulturtransfer zwischen ägyptischer und christlicher Bildmotivik stattgefunden.

Lactatio Bernardi und andere Lach- und Sachgeschichten

In Maria-lactans-Darstellungen – wir verabschieden uns an dieser Stelle leider von Isis – verdichten sich mariologische Aussagen, die bis heute grundlegend sind: Maria als opferbringende, liebende Mutter und fruchtbare Frau. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn jenseits des antiken Alexandrias auch im europäischen Spätmittelalter die Brüste Mariens begeisterte Verehrer*innen fanden.

An erster Stelle möchten wir Bernhard von Clairvaux3 (gest. 1153) erwähnen: Maria soll Bernhard von Clairvaux mit einigen Tropfen Milch „erquickt“ haben und ihm dadurch sogleich seine „honigfließende Beredsamkeit“ eingeflößt haben. Verbildlicht wurde die Legende wie folgt: Maria stillt nun nicht mehr nur das Jesuskind, sondern mit der anderen Brust den heiligen Bernhard von Clairvaux.

Die im alttestamentlichen Hohelied ausgiebig besungenen Brüste der Geliebten werden im Spätmittelalter als Brüste Mariens interpretiert. Frauen entdeckten diese Brüste für sich: Mechthild von Magdeburg (1208-1282) ist eine der Vertreter*innen der christlichen Mystik, die gerade die Weiblichkeit und Leiblichkeit durch die Verehrung Mariens zum Thema machen konnte.

Weibliche Eigenschaften und Verhaltensweisen, die bislang als Zeichen sündhafter Schwäche und Verführbarkeit gewertet wurden, gewinnen in Texten und Erfahrungswelten von Mystikerinnen eine neue theologische Dignität und eine spezielle spirituelle Aussagekraft.4

Indem Mechthild über die Brüste Mariens schreibt, kann sie ohne Peinlichkeit und unbefangen über den weiblichen Körper schreiben.

Es gäbe noch viel mehr zu sagen. Zu Maria. Ihren Brüsten. Und der Welt. Denn Maria ist bis heute in der Volksfrömmigkeit ein Renner – schließlich pilgern mehr Christ*innen pro Jahr nach Lourdes als muslimische Pilger*innen nach Mekka.

Anfangs haben wir uns gefragt: Was haben Muttermilch, Ägypten und die katholische Maria nun miteinander zu tun? Sehr viel. Christliche Marienverehrung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern lässt sich bis in den Isiskult zurückverfolgen. Nach anderen religions- und kulturgeschichtlichen Abhängigkeiten wäre zu fragen.

P.S.: Eigentlich finden wir das Thema darum nicht nur witzig, sondern auch wichtig.

Hashtag der Woche: #milchfüralle


(Beitragsbild: @scaitlin82)

1 Bildquelle: Keel, Othmar: Gott weiblich. Eine verborgene Seite des biblischen Gottes, Gütersloh 2008.

2 Mulack, Christa: Maria. Die geheime Göttin, Stuttgart 1985, 109-119, 112f.

3 Bildquelle: Wikimedia.

4 Schreiner, Klaus: Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Wien 1994, 178-204, 183.

Außerdem zum Nach- und Weiterlesen:

Beinert, Wolfgang: Maria. Spiegel der Erwartungen Gottes und der Menschen, Regensburg 2001.

Langener, Lucia: Isis lactans – Maria Lactans. Untersuchungen zur koptischen Ikonographie, Altenberge 1996, 260-282.

 

Mitarbeit am Artikel: Franziska Wintermantel.

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claudia danzer

studierte in Freiburg, Jerusalem und Wien Katholische Theologie (Magister) und Geschichte (Staatsexamen). Seit 2019 ist sie Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Uni Freiburg. Sie ist Teil der Redaktion von y-nachten.de.

One Reply to “Marias Milch – ein unwichtiges, aber witziges Thema der Theologie”

  1. Eine schöne zusammenfassende Darstellung eines in der Tat doch sehr wichtigen Themas. Isis ist sicher eine der interessantesten „heidnischen“ Gottheiten der Antike überhaupt. Die ihr zugeschriebenen Eigenschaften ähneln christlichen Werten und finden in der Natur Mariens auch jenseits der Ikonographie tatsächlich in auffälliger Weise Analogie. So besitzt sie eine enorme Liebesfähigkeit, Empathie, Zärtlichkeit, Sensibilität und Leidenschaft, aber auch Stärke, Beharrlichkeit, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Nicht umsonst war deshalb ihr Kult in der gesamten antiken Welt auch jenseits von Ägypten so beliebt.
    Die große Verehrung der Brüste Mariens im Verlauf der Geschichte erscheint in diesem Zusammenhang hochgradig plausibel. Die Vorstellung und Darstellung eines solchen überaus schönen Marienbilds mit einer mütterlichen-starken, aber auch sinnlichen und zärtlichen Himmelskönigin entkräftigt die entkörperlichte und unweibliche Anschauung Mariens, wie sie leider in den Köpfen mancher „Kirchenväter“ und ihrer Nachfolger herumspukte und immer noch herumspukt. Die Brüste Mariens und ihre Milch zeigen, dass der weibliche Körper durch die in Maria lebendig gewordene christliche Botschaft völlig gerechtfertigt wurde und jegliche Abwertung oder Verächtlichmachung von Frauen aufgrund ihrer Weiblichkeit und ihres Körpers einen gravierenden Verstoß gegen christliche Werte und eine schwere menschliche Verfehlung darstellt.

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