Die Wissenschaftlichkeit der Theologie wird nicht nur von außen angefragt. Viel zu oft stehen sich die „Theologie“ und ihre Vertreter*innen selbst im Weg. Eine Problemanalyse in vier Schritten von Martin Höhl.

„Wirf doch nicht mit Begriffen um dich!“ Mit dieser unmissverständlichen Erwiderung hat eine Kommilitonin neulich in einer Diskussion ihr Unbehagen über den Begriff „Konstruktivist“ ausgedrückt. Ich erinnere mich gar nicht mehr, um welches Thema es ging, aber dieser Satz blieb mir in Erinnerung. Wieso? Vermutlich, weil er mir symptomatisch erscheint für theologische „Wissenschaftlichkeitsfeindlichkeit“.

1) Schwurbelei

Blickt man in dogmatische Lehrbücher, liest man nicht selten verschwurbelte Sätze, die die Leser*innen in fromme Plattitüden einlullen. Ein Beispiel: Am Beginn des fünften Kapitels von Ratzingers „Einführung ins Christentum“ heißt es, mit der Frage der Trinität erreiche man

„einen Bereich, in dem jede falsche Direktheit allzu genauen Bescheidwissenwollens zur verhängnisvollen Torheit werden muß; einen Bereich, in dem nur das demütige Geständnis des Nichtwissens wahres Wissen und nur das staunende Verbleiben vor dem unfaßbaren Geheimnis rechtes Bekenntnis zu Gott sein kann“1.

Man erahnt den Beifall frommer Studierender über diese demütig „kniende Theologie“ und hört die verzückten Seufzer der Senior*innen und ihre Füllfederhalter übers Papier schaben. Denkt man jedoch darüber nach, was Kritik an der „falsche[n] Direktheit“ des „genauen Bescheidwissenwollens“ wirklich bedeutet, löst sich die Idylle schnell auf: Hier wird das Ethos einer Wissenschaft aufgegeben, die sich um Fortschritt, Erkenntnis und Genauigkeit müht. Wieso legt ein Autor, der das „demütige Geständnis des Nichtwissens“ ablegt, nicht den Stift beiseite? „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (TLP 7), höre ich den kleinen Wittgenstein auf meiner Schulter flüstern.

Die Forderung nach „analoger“ Gottesrede dient dabei eher der Verkomplizierung als der wirklichen Klärung und entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Ausrede. Sie ist eine rein formale Konvention, ein Vorzeichenwechsel, der nichts über die Struktur der Propositionen innerhalb seines Skopus aussagt – und damit vielleicht einmal erwähnenswert, anschließend aber irrelevant ist (sofern man dann wirklich analog redet und nicht nur über Analogie). Warum nicht einfach gleiche Regeln für alle abstrakten Entitäten? Es käme doch auch niemand auf die Idee, analog über Zahlen zu sinnieren und zu sagen: „Echte Zahlen sind immer anders, wir können uns nur an sie herantasten mit unseren Begriffen.“ Sie werden postuliert, in ein kohärentes Sprachspiel (Axiomatik) eingehegt und erfüllen so ihre Funktion. Mehr sollte man von einem wissenschaftlich verantwortbaren Gottesbegriff auch nicht erwarten. Was das gläubige Herz daraus macht, steht auf einem anderen Blatt.

2) Mut zu unangenehmen Erkenntnissen

Aufgabe einer Theologie, die „Wissenschaft“ sein will, kann es nicht sein, den Glauben zu nähren oder fromm daherzureden. Die ersten Semester eines Theologiestudiums stehen daher unter dem Vorzeichen der radikalen Dekonstruktion und die Studierenden müssen einige harte Brocken schlucken; bspw. dass Thomas von Aquin, trotz Aeterni Patris (1879)2, nicht mehr ganz der letzte Schrei in der Philosophie ist, dass auch bei frühen Konzilien nicht nur der Heilige Geist, sondern Schlägertrupps3 entschieden und dass David – falls er existierte – eher ein mittelmäßig erfolgreicher chief als ein großer Herrscher war.4

Die Theologie hat einen, wie Thomas Marschler formuliert, „analytisch-reflexiven Auftrag“. Er hält fest, „dass in allen theologischen Disziplinen das unmittelbare Ziel die am Maßstab wissenschaftlicher Rationalität ausgerichtete Reflexion, nicht die unmittelbare Anleitung zu einer Praxis sein muss“5. Wissenschaftliche Rationalität bei einem Herzensthema kann schmerzhaft sein, ist aber deshalb umso mehr notwendig; es gilt die eiserne Regel, dass nichts gegen die Vernunft geglaubt werden kann. Nur dieses Kriterium schafft Sicherheit gegenüber Fundamentalismen und magischem Aberglauben. Alles andere ist – mit den Worten eines alten Lehrers – „frommer Unglaube“. Unter dem Deckmantel herausragender Frömmigkeit auftretende Wirklichkeitsverweigerung ist vielleicht die größte Herausforderung der Kirche heute.

3) Theologie und Glaube

Die Theologie ist ein „weites Feld“ mit vielen Unterdisziplinen, die eigentlich alle einzeln in den Blick genommen werden müssten. So diskutiert bspw. auch die Pastoraltheologie in der italienischen Pastoralzeitschrift „Settimananews“ zukunftsfähige Theologie. In einem zusammenfassenden Artikel stellt der Redakteur Marcello Neri die Bedeutung der Tragik des Alltags als „Ort der Theologie“ (locus theologicus) heraus und wirbt dafür, „[d]ie wirkliche Berührung mit dem Alltäglichen der menschlichen Existenzerfahrung wiederzugewinnen“. Grundtenor: Alles und überall ist irgendwie Theologie und ganz viel davon.

M.E. liegt hier eine fundamentale Verwechslung vor, die langsam, aber stetig dafür sorgt, dass Theologie als Wissenschaft nicht mehr ernstgenommen wird. Sie wird zum Freudenmädchen, das permanent mit anderen Begriffen schwanger geht, von denen am Ende niemand mehr weiß, wo sie herkommen, was sie bedeuten und wie sie diskursiv einlösbar sein sollen. Im Augenblick scheint ein solcher Begriff der der „Erfahrung“ bzw. des „Alltäglichen“ zu sein: Überall, in allem und durch alles ist Gott erfahrbar. Dass es sich dabei, logisch betrachtet, um eine Tautologie handelt, wird mit Lyrik kaschiert. Ein Beispiel aus dem erwähnten Artikel: „Im Horizont eines Gottes, der sich in totaler Ohnmacht der Liebe und in bedingungsloser Hingabe für alle Verlorenen ereignet, stellt jede Erfahrung des Tragischen am menschlichen Existieren einen eigenen Ort der Theologie dar.“ Offen bleibt, wie genau sich eine solche Erfahrung äußert und von anderen Erfahrungen unterscheidet. Die Bestimmung „des Tragischen“ ist dabei völlig austauschbar – es könnte dort auch stehen „des Glücks“, „des Leids“, „der Geborgenheit“ etc. und keiner würde den Unterschied bemerken. Die dramatische Wortwahl, beliebig zusammensetzbare Relativsätze und Häufungen von Adjektiven bzw. Genitivattributen sind charakteristisch für diese Form lyrischer Prosa.

Solche Sätze haben ihren „Sitz im Leben“ vielmehr im hoffnungsstiftenden Narrativ des Glaubens, welches tatsächlich von einer emotional-affektiven Mehrdeutigkeit lebt, können aber nicht als „wissenschaftlich“ bezeichnet werden. Sie unterliegen nicht dem Ockham’schen „Rasiermesser-“ bzw. Sparsamkeitsprinzip6 oder dem Nichtwiderspruchsprinzip7. Die Kriterien für eine angemessene Theologie, die auf sehr abstrakter Ebene Grenzen absteckt, was sinnvollerweise geglaubt werden könnte, sind damit viel enger als für den Glauben selbst, bei dem es um „Narrativhygiene“ geht: je größer die Kohärenz mit den Traditionen, desto überzeugender. Beide müssen je für sich ernstgenommen, statt in einen Topf geworfen und zu einer garstigen Suppe verkocht werden.

4) Theologie ist nichts Besonderes

„Besonderheit“ ist ein Totschlagargument: Menschen zahlen horrende Preise für hässliche Designermöbel oder limitierte Sneakers und Theolog*innen rechtfertigen ihre Schwurbeleien damit, dass die Theologie eine „Glaubenswissenschaft“ sei. Doch auch eine Glaubenswissenschaft kann nicht auf präzise Sprache verzichten – im Gegenteil, sie ist das A und O einer funktionierenden Wissenschaft. Genau hier hat die Theologie den Anschluss an die zeitgenössische Philosophie und ihren linguistic turn verloren, obwohl darin ihre Zukunftschancen als Wissenschaft liegen: Sprache ist das einzige Erkenntnismedium, welches Diskurs ermöglicht (man kann nicht nichtsprachlich diskutieren), aber keine schwergewichtigen Hintergrundannahmen voraussetzt. Damit gehen jedoch gewisse Spielregeln einher:

– Sprache muss für alle erlernbar sein. Warum sollte nur ein*e Gläubige*r sinnvolle theologische Sätze bilden können? Das ist, nebenbei bemerkt, völlig unbiblisch: Es sind gerade die Dämonen, die Jesus als den identifizieren, der er wirklich ist (vgl. Mk 1,24; 1,34; 5,7 etc.). Die innere Einstellung der Sprecher*innen zum behandelten Gegenstand sollte immer kritisch reflektiert werden, darf aber nie ein Ausschlusskriterium darstellen. Man muss selbst mit dem Teufel über Gott sprechen können (Gott tut das ja auch bspw. im Buch Hiob) – und man könnte dabei etwas lernen (Analoges gilt für Lehrende, die man für Häretiker*innen hält). Kein Einwand ist dadurch widerlegt, dass man sagt: „Das ist nicht mehr katholisch!“ oder „dann bist du eben kein Christ mehr!“.

– Niemand spricht für sich. Sprache hat immer eine intersubjektive Komponente, die einen Rekurs auf nur subjektiv zugängliche Erfahrungen verbietet. Selbst wenn es Glaubenserfahrungen geben sollte, die keine Einbildung sind, wären sie doch wissenschaftlich irrelevant. Geteilte Sprache8 impliziert, dass man miteinander spricht. Der oft bemühte Einwand, man könne sich aufgrund so verschiedener Voraussetzungen nicht mehr verständigen, entpuppt sich als Ausflucht. Gerade im Herausfiltern und Infragestellen grundlegenderer Prämissen liegt der Schlüssel zu echtem Erkenntnisfortschritt.

– Sprache hat eine gewisse Syntax, sodass keine sich widersprechenden Behauptungen zugleich aufgestellt werden können – auch wenn das schön und fromm klingen mag. „[D]as demütige Geständnis des Nichtwissens“ wird niemals „wahres Wissen“. Der Satz hat keinen Sinn. (Man sollte generell hellhörig werden, wenn Theolog*innen von „wahr“, „echt“ oder „wirklich“ in Verbindung mit einem abstrakten Begriff reden).

– Ob Sprache tatsächlich „die“ Wirklichkeit beschreibt, bleibt offen: Selbst wenn die Welt nur unter Annahme Gottes verstehbar wäre, wäre damit noch nicht die Notwendigkeit seiner Existenz bewiesen, sondern lediglich, dass es nicht unvernünftig ist, mit ihm zu rechnen.

Ist dieser Punkt jedoch stringent durchdacht,9 dürfen sich weitere Fragen stellen: Könnte es vielleicht sinnvoller sein, an Gott zu glauben, statt an die Sinnlosigkeit der Welt? Blaise Pascal10, Olaf Müller11 und Holm Tetens sagen „Ja“ – und dieses reflektierte, ringende „Ja“ ist mir tausendmal lieber als fromme, tautologische Soße oder überhebliche, stramm-konservative Autoritätshörigkeit:

„[D]er Satz ‚Menschen sind nichts anderes als ein Stück kompliziert organisierter Materie in einer rein materiellen Welt‘ ist selbst kühn, um nicht zu sagen, tollkühn, ist unbewiesen und unbeweisbar, ist existenziell betrachtet absurd […]. Seine Botschaft ist durch und durch trostlos. Zugegeben, der Satz könnte am Ende trotz allem wahr sein. Der Satz ‚Wir und die materielle Welt sind Geschöpfe des gerechten und gnädigen Gottes, der vorbehaltlos unser Heil will‘ ist kühn, ist unbewiesen und in dieser Welt unbeweisbar, ist aber existenziell betrachtet nicht absurd […]. Und er drückt einen wunderschönen und ungemein trostreichen Gedanken aus. Zugegeben, der Satz könnte am Ende trotz allem falsch sein.“12

Will Theologie nicht dauerhaft ihren Rang als Wissenschaft an den Universitäten verlieren und in z.T. inzestuöse Glaubenslehrinstitute abwandern, muss sie dringend lernen, sich bewusst von Katechese abzugrenzen und wieder ins Gespräch mit zeitgenössischer Philosophie zu kommen. Schnell wird sie merken, dass dort nicht mehr nur Spott und Hohn warten, sondern – tritt sie nicht überheblich-besserwisserisch auf – echtes Interesse und Offenheit. Sie muss lediglich den Mut haben, zuzugeben, dass sie von Menschen für Menschen gemacht ist und unter einem eschatologischen Vorbehalt steht; dass sie „nur darauf hoffen kann, Theologie des existierenden Gottes zu sein“13.

Hashtag der Woche: #nichtsbesonderes


[1] Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 61968, 125.

[2] Darin betont Papst Leo XIII. die herausragende Bedeutung thomistischer Philosophie. http://w2.vatican.va/content/leo-xiii/en/encyclicals/documents/hf_l-xiii_enc_04081879_aeterni-patris.html (letzter Zugriff 15.03.2018).

[3] „Räubersynode“ ist der charmante Beiname, den Papst Leo I. dem Konzil von Ephesus (449) gab. Zum Namen und zu den Hintergründen vgl. Bischof, Franz Xaver u.a.: Einführung in die Geschichte des Christentums, Freiburg i.Br. 2012, 486—491.

[4] Vgl. die ausführlichen Passagen im „Zenger“ bzw. neuerdings in der Geschichte Israels. Trotz unterschiedlicher Auffassungen im Detail muss die Rede vom davidischen „Großreich“ als eine „Legende“ betrachtet werden. (Frevel, Christian: Grundriss der Geschichte Israels, in: Zenger, Erich u.a.: Einleitung in das Alte Testament 82012, 701—870, hier: 749. Vgl. insgesamt ebd., 745—749).

[5] Marschler, Thomas: Selbstverständnis und Ethos katholischer Theologie, in: Leven, Benjamin (Hg.): Unabhängige Theologie. Gefahr für Glaube und Kirche?, Freiburg i.Br. – Basel – Wien, 55–73, hier: 68f.

[6] Eine These ist dann gut, wenn sie mit möglichst wenig Behauptungen und ontologischem Aufwand viele Phänomene erklärt

[7] Es kann nicht zur selben Zeit in gleicher Hinsicht vom selben Gegenstand „A“ und „nicht A“ ausgesagt werden.

[8] Im Gegensatz zur Privatsprache. Vgl. die einschlägigen Passagen zum Privatsprachenargument in Wittgensteins PU (§§ 243—315).

[9] „Stringent“ impliziert, dass eine überzeugende Antwort auf die Theodizee-Frage und den damit verbundenen intellektuellen Atheismus gefunden wird. Das ist die wichtigste Aufgabe für Theologie heute – nicht das Sinnieren über neue Medien, gender issues o.Ä.

[10] Ich denke an seine berühmte Wette. Vgl. Pascal, Blaise: Gedanken über die Religion und einige andere Themen. Herausgegeben von Jean-Robert Armogathe. Aus dem Französischen übersetzt von Ulrich Kunzmann, Stuttgart 1997, 224—233.

[11] „Erstens glaube ich nicht an Gott, zweitens kann ich es nicht (derzeit), und drittens empfinde ich das als Schwäche, nicht als Stärke. […] Wir laufen Gefahr, […] etwas Gutes und vielleicht ungeheuer Wichtiges zu früh aus dem Blick zu verlieren – nämlich die Möglichkeit, dass unser Leben mit Gott gelingen könnte.“ (Müller, Olaf: Misstrauen oder Hoffnung? Protestnote gegen eine pessimistische Regel von Ernst Tugendhat, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 69 (2009), 5—32, hier: 5f.).

[12] Tetens, Holm: Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, Stuttgart 22015, 89f.

[13] Striet, Magnus: Zu wem sollen wir gehen? Über die prekäre Situation wissenschaftlicher Theologie, in: Leven, Benjamin (Hg.): Unabhängige Theologie. Gefahr für Glaube und Kirche?, 223–233, hier: 223.

Print Friendly, PDF & Email

martin höhl

hat Theologie und Philosophie in München, Jerusalem und Frankfurt studiert. Er arbeitet in einer Unternehmensberatung und promoviert zum Thema Klerikalismus und Missbrauch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: