Seit einer Weile erstarken im deutschsprachigen Raum nationalistische und populistische Parteien: In Österreich ist die FPÖ Teil der Regierungskoalition, in Deutschland führt die AfD bald die Opposition an. Philipp Brutscher vergleicht diese politischen Machtverschiebungen mit der Erzähltechnik von Stephen King.

2017 war das Stephen-King-Jahr. Die neue „Es“-Verfilmung löste einen Hype aus und auch in den theologischen Feuilletons blitzten Artikel über den Meister des Schreckens auf. Kings Art, Horror zu schaffen, wird gerne als „schleichender Schrecken“ bezeichnet. Etwas Unheimliches, Bösartiges nistet sich langsam im natürlichen Umfeld der Protagonist*innen ein und schlägt dort tiefe Wurzeln. Wenn es zuschlägt, ist es bereits so verwurzelt, dass man sich kaum mehr dagegen wehren kann.

Mit dem Bild des „schleichenden Schreckens“ politische Geschehnisse zu beschreiben, kann spannend sein – vor allem die Geschehnisse seit dem Herbst 2017. Im Januar 2018 tagte die CSU-Landesgruppe im Kloster Seeon. Bemerkenswert daran war die im Dezember 2017 veröffentliche Gästeliste: Victor Orban und Sebastian Kurz fanden sich darauf. Orban – den kennen wir. Die Einladung an den ungarischen Ministerpräsidenten, der einen nationalkonservativen Regierungsstil pflegt, hat schon 2015 die Gemüter erregt und tut das 2018 wieder. Nun aber der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz? Kurz ist neu im Amt und die Einladung, die er dann doch ausschlug, ist gerade mit Blick auf seine Regierungspartner*innen bemerkenswert: Denn zum Ende des Jahres 2017 hat Kurz in Österreich eine Koalition geschmiedet, mit der er der FPÖ eine Regierungsbeteiligung ermöglichte.

Ist das denn normal?

Die FPÖ regiert nicht zum ersten Mal und von Deutschland aus gesehen ist die Parteienpolitik in Österreich auch nicht ganz durchschaubar. Aber es gibt eine historische Parallele – als Wolfgang Schüssel 2000 mit der FPÖ zum ersten Mal eine Koalition einging, erregte das (noch) großes Aufsehen. Es folgten die „Donnerstagsdemonstrationen“ und 14 EU-Regierungen reduzierten als Konsequenz auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ ihren diplomatischen Kontakt zu Österreich auf ein Mindestmaß. 2017 hingegen wurden Minister angelobt, die Sprüche wie „Daham statt Islam“ (von denen sich Strache 2015 distanzierte) entwickelten. Viele dieser Leute haben Kontakte in die rechtsradikale Szene. Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen – und aus dem Gedächtnis kramen, wenn der österreichische Vizekanzler eine Ausgangssperre für Asylsuchende ins Gespräch bringen will wie im Januar diesen Jahres.

Seit wann ist es eigentlich in Ordnung, eine Regierung zu haben, die Kontakte ins rechtsradikale Milieu unterhält? Es bleibt dabei: Von Deutschland aus nach Österreich zu blicken und die dortige politische Lage zu bewerten, ist schwierig und ganz sicher defizitär – aber es ist eine mindestens nationalkonservative Regierung mit sehr restriktivem Kurs gegenüber Asylsuchenden entstanden. Im deutschen Sprachraum. Vor unserer Haustür. Das wird Auswirkungen haben.

License to scare

Kehren wir zurück nach Deutschland und ja: Das Thema ist nicht neu. Die AfD sitzt seit 2014 in deutschen Landtagen und seit 2017 mit 12,6 % im Bundestag. Mit dem gestrigen „Ja“ der SPD zur GroKo wird sie Oppositionsführerin. Bisherige Versuche, diese „Partei der schlechten Laune“ in der Parlamentsarbeit zu entzaubern, sind gescheitert. Die anderen Parteien haben kein Mittel gefunden, mit den Rechtspopulist*innen umzugehen – sofern das Ziel war, den Einzug in weitere Parlamente zu verhindern. 2018 wird in Hessen und Bayern gewählt. Ausgehend von den Wahlergebnissen der Bundestagswahl ist es sehr wahrscheinlich, dass die AfD auch in diese beiden Parlamente einzieht.

Was bedeutet das? Die AfD kann nun Debatten (mit)bestimmen, sie hat die Kraft der parlamentarischen Dienste hinter sich und wirkt mehr denn je an der politischen Willensbildung mit (Art 21 GG). Darüber hinaus bildet sie ihre Mitarbeiter*innen und ihren Nachwuchs in der parlamentarischen Arbeit aus. Sie erhält Zulauf von erfahrenen Leuten und das nicht zu knapp – nach einem Bericht der Süddeutschen schließen sich erfahrene Fach- und Verwaltungskräfte der AfD an. Die Stellung der Partei im Parlament wird durch diesen Boost an Erfahrung gefestigt. Das heißt: Die sind jetzt da, sie machen mit und bei allem Ärger und aller Provokation – die dürfen das.

Wie nah hat sich der Schrecken angeschlichen?

Ein kurzes Gedankenspiel: Der weit über die thüringischen Landesgrenzen bekannte „Bernd“ Höcke kandidierte nicht für den Bundestag, weil er bei der kommenden Landtagswahl 2019 in Thüringen die Landesregierung „angreifen“ und „das rot-rot-grüne Experiment beenden“ will. Schaut man sich die Wahlergebnisse der AfD in Thüringen bei der Bundestagswahl an (22,5 %) wird Höcke nach der Landtagswahl womöglich nicht mehr die Oppositionsbank drücken. Die AfD könnte ein Potential zum Regieren entwickeln – in welcher Konstellation auch immer. Es ist kein abstrakter Schrecken mehr, der aus irgendwelchen Kanalisationen kriecht. Das ist nicht unwahrscheinlich. Höcke hätte eine Mehrheit im Parlament und würde Regierungsämter besetzen.

Die Welle des Rechtspopulismus ist längst über uns geschwappt. Ob das nun an der Dialogschwäche zwischen den „alten“ Parteien und Wähler*innen liegt, bleibt offen. Vielleicht ist unsere Gesellschaft einfach viel differenzierter, als wir es annahmen. Aber es kann doch nach 1945 nicht ernsthaft eine Mehrheit in Deutschland geben, die hinter dem Begriff „Nationalkonservativismus“ Fremdenhass und „Ausländer raus“-Parolen verstecken kann und damit zu höchsten Ämtern kommt. Sollte man meinen.

Es ist aber schon passiert. Im Bundestag wurden Rechts- und Haushaltsausschuss mit Männern besetzt, die andere Menschen damit öffentlich beleidigen, dass ihre Eltern wohl Geschwister seien (Brandner – Rechtsausschuss), und die Bundeskanzlerin als „Merkelnutte“ bezeichnen (Boehringer – Haushaltsausschuss) . Was soll man dazu sagen? Hoffentlich sagt man etwas dagegen!

Demokratieretter*in gesucht

Ansätze, damit umzugehen, gibt es genug und immer noch überbieten sich Politiker*innen damit, neue Konzepte vorzustellen, um die Wähler*innen der AfD (wieder) für sich zu gewinnen. Ich teile die Ansicht nicht, dass es nun eine bürgerlich-konservative Revolution braucht, vor allem nicht eine von Dobrindt, der noch immer Inhalte schuldig bleibt, – es braucht vielmehr eine ausgeprägte Eigenverantwortung der Bürger*innen unseres Landes. Unsere Gesellschaftsform darf und soll sich aufgrund zivilgesellschaftlichen Engagements verändern, die Wähler*innen sind der Souverän.

Der schleichende Schrecken

Vielleicht ist es ein bisschen wie in Derry, der Stadt, in der „Es“ spielt. Das Monster wandert durch die Kanalisation, unerkannt und unentdeckt. Die Bewohner*innen spüren, dass mit der schrecklichen Mordserie um die Kinder etwas nicht stimmt, aber sie wollen es irgendwie nicht wahrhaben, folgen ihrem Tagesgeschäft und erschrecken nur jedes Mal aufs Neue, wenn etwas passiert. Dabei haben der plötzliche Schock und die Erregtheit über einen schrecklichen Moment stets dieselbe Ursache: „Es“. Das Monster, das sich eingenistet hat und völlig unerkannt bleibt.

Wir sollten nicht vergessen, für wen die stetige Provokation immer wieder Masche ist. Dieses „Es“ hat sich die hässliche Fratze des Rechtspopulismus und des Fremdenhasses angezogen und wandert durch unsere Gesellschaft – oder war vielleicht auch schon immer da. Der schleichende Schrecken ist real geworden und unser System ist nicht so sicher und so stabil, dass wir uns immer und zu jeder Zeit darauf verlassen können, „dass das schon wird.“ Die Ausläufer dieses Schreckens sind Schreihälse, Geschichtsrevisionist*innen und jede Form politischer Radikalität. Wir sollten das nicht als gegeben annehmen, wir sollten diese Leute nicht wortlos akzeptieren und wir sollten auch nicht glauben, dass Politiker*innen das jetzt noch alleine hinbekommen. Das Haus unserer Demokratie ist nicht fertig – und ja, einige Bauarbeiten sind noch fällig – aber lassen wir doch bitte nicht Rechtspopulismus, Fremdenhass, Provokationen und menschenunwürdiges Verhalten in die Gemäuer einziehen.

Hashtag der Woche: #kingsspeech


(Beitragsbild: @craig000)

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philipp brutscher

studierte mit Zwischenstopps im Bundestag und bei einer Münchener Unternehmensberatung katholische Theologie in Freiburg. Er ist Pastoralreferent, Jugendseelsorger und Referent der Fachstelle Ministrant*innen im Erzbistum Freiburg.

3 Replies to “Der schleichende Schrecken

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