Was verbindet und was unterscheidet das als Retter gefeierte Kind in der Krippe von denjenigen selbsterklärten Heroen, die unsere allabendlichen Nachrichtensendungen dominieren? Johannes Heger macht sich im Nachklang des Weihnachtsfestes (politische) Gedanken für das Jahr 2018.
Noch gar nicht so lange ist es her, dass Christ*innen rund um die Welt das Weihnachtsfest begangen haben. Obwohl gegenwärtige Narrative wie „das Fest der Liebe“ oder „das Fest der Familie“ und vor allen Dingen der Konsumrausch dies verdecken, geht es bei dem bekanntesten christlichen Festtag seit nunmehr gut 2000 Jahren um ein unscheinbares Ereignis – die Geburt eines Kindes, das „in Windeln gewickelt in der Krippe liegt“ (Lk 2,12). Seine besondere Strahlkraft erhält dieses Ereignis jedoch nicht aufgrund der idyllischen Attribute, die heute im Mittelpunkt des Festes stehen: Es geht weder um geschmückte Bäume, noch um bukolische Motivik oder eben um Geschenke. Vielmehr macht der Evangelist Lukas in seinem „Geburtsprotokoll“ sogleich deutlich, wer da geboren ist und was es mit diesem Kind auf sich hat: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.“ (Lk 2,11)
Vom alten Wort des „Retters“ und seiner schleichenden Renaissance
Für heutige Ohren ist dieser Schlüsselsatz des Weihnachtsevangeliums sperrig und droht deshalb im kollektiven Bewusstsein und teils sogar in der (kirchlichen) Verkündigung unter die Räder zu geraten. Dabei stört Menschen heute nicht nur der irritierende Gedanke, dass ein Baby ein Retter sein soll. Geläutert durch Aufklärung und vor allen Dingen auch die Tyranneien des 20. Jahrhunderts mit all ihren verheerenden Auswirkungen ist es vielmehr überhaupt schwierig, wenn nicht sogar anstößig, sein Vertrauen in einen Menschen zu setzen, der die Rettung bzw. Erlösung bringen soll. So könnte man zumindest – große Bögen der Geistesgeschichte spannend – mit einem gewissen Recht analysieren.
Im neuen Jahrtausend jedoch zeichnen sich schleichend andere Tendenzen ab. Während die Hoffnung auf Retter bspw. in der Fußballsprache – man denke aktuell an Jupp Heynckes als den „Alters“-Retter des FC Bayern München – nie ausgestorben war, feiert der Begriff des Retters auch auf der politischen Bühne eine ungeahnte Renaissance: Von frenetischem Jubel begleitet wurde bspw. Martin Schulz im Januar 2017 zum Spitzenkandidaten der SPD gekürt. Ihm wurde es zugetraut, die Sozialdemokrat*innen wieder zu sich und auch zu besseren Wahlergebnissen zu führen, was ihm auf Parteitagen und in Presseberichten teils die Bezeichnung des Retters, Erlösers oder auch Messias einbrachte.
Die Anspruchshaltungen von heutigen „Rettern“
Auf der weltpolitischen Bühne geht es sogar noch einen Schritt weiter, werden Führungsfiguren dort nicht nur zu Rettungsfiguren gemacht, sondern treten vermehrt mit einem messianisch Anspruch und einer entsprechenden Rhetorik auf – und das mitten in den sich selbst als aufgeklärt bezeichnenden Ländern oder solchen, die dazu gezählt werden wollen.
So ist es nach dem misslungenen Putschversuch vom Juli 2016 in der Türkei Recep Tayyip Erdoğan, der seine Ansprüche als schillernde Leitungsfigur immer deutlicher macht. Als Parteivorsitzender und Staatschef lässt er sich auf Parteitagen und bei öffentlichen Auftritten bejubeln und macht diejenigen mundtot, die nicht in den Lobgesang seiner politischen Herrlichkeit einstimmen wollen. Zum traurigen Sinnbild dieses Vorgehens ist Deniz Yücel geworden. Der deutsch-türkische Journalist befindet sich nunmehr über 300 Tage in Gefangenschaft – wegen des Vorwurfs der „Terrorpropaganda“. Die Glorie des selbst ernannten Retters der Türkei geht somit einher mit einem großen Schatten, der bedrohlich auf Menschen fällt, die sich ihm in den Weg stellen.
Nicht allzu unterschiedliche Tendenzen können auch im Westen der Welt ausgemacht werden: Dort ist es Donald Trump, der millionenschwere Unternehmer und mittlerweile 45. Präsident Amerikas, der sich selbst als Retter-Gestalt inszeniert. Seine Wortwahl lässt immer wieder durchscheinen, wie er sich selbst und seine politischen Vorhaben sieht: Seine jüngst durchgeboxte Steuerreform sei die größte, die Amerika je gesehen hätte, seine politischen Verhandlungen qualifiziert er nicht durch deren Rationalität, sondern dadurch, dass sie seine (!) „great deal[s]“ seien und bezeichnet sich selbst häufig als „smart“, seine Gegner dagegen als „morons“. Wie auch immer man dazu stehen mag, so ist es sicher nicht „unclever“, dass die besagte Steuerreform genau die reichen Unternehmer entlastet, zu denen Trumps eigene Familie zählt. All jene Stimmen, die sich nicht in diesen Lobgesang auf seine Person einfügen, seien „fake news“, auf die nicht zu hören bzw. gegen die vorzugehen sei. Und so bezeichnet sich der große Führer Amerikas weiterhin als der große Retter des Staates, auch wenn sich die Stimmen mehren, die seine Glorie anzweifeln.
Vom Retter Jesus Christus lernen
„Und was hat das nun alles mit der Krippe und der Geburt Jesu zu tun?“, wird sich nun so manche*r fragen. Entkleidet man das Weihnachtsfest von all seinem schmückenden Beiwerk und konzentriert sich auf dessen Kern, so könnte man sagen: Der Blick mit der Krippe auf die Welt kann bis heute ideologiekritisches Potenzial freisetzen und dabei helfen, falschen Messianismus zu entlarven.
Denn während formal sowohl von Recep Tayyip Erdoğan, als auch von Donald Trump und eben auch Jesus Christus als Rettern die Rede ist, erfährt der Begriff bei bzw. durch Jesus eine entscheidend andere Füllung: Er, der als Gottessohn in die Armut der Welt gekommen ist, versteht sich selbst als denjenigen, der auf seinen Vater hinweist, der den Armen und Unterdrückten hilft statt sie auszubeuten, der den Stimmlosen eine Stimme gibt anstatt Menschen mundtot zu machen, der Grenzen sprengt statt sie zu ziehen und der sich selbst um der Menschen willen erniedrigt – bis hin zum Kreuz – anstatt sein eigenes Ego zu polieren. Oder etwas poetischer: Seine Ohnmacht ist seine Macht, sein präsentisches Wirken ein Hinweis auf das größere Kommende, seine Niedrigkeit seine Größe. Ihm geht es – anders als den genannten weltlichen Herrschern – also nicht darum, der gefeierte Retter zu sein, sondern darum, zu retten.
So bleibt zu hoffen, dass dieser Blick mit der Krippe auf die Welt auch 2018 nicht nur Christ*innen dabei hilft, zu differenzieren – zwischen Menschen, die Retter*in sein wollen, und wahren Retter*innen, die retten wollen.
Hashtag der Woche: #rettemichwerskann
Literaturhinweise:
Zu theologischen Grundlagen, einer Geschichte der Entwicklung des Weihnachtsfestes sowie einer Analyse des Weihnachtsfestes in der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft vgl. Wahle, Stephan, Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft, Freiburg im Breisgau 2015.
Zur politischen Dimension des Weihnachtsevangelium vgl. auch Blatz, Heinz, Die Serie der Serien und das Buch der Bücher – biblische Erzählungen im Prisma der Simpsons. In: Heger, Johannes/Jürgasch, Thomas/Karimi, Ahmad Milad (Hg.), Religion? Ay Caramba! – Theologisches und Religiöses aus der Welt der Simpsons, Freiburg i. Br. 2017, 135-157, hier: 141-149.
Zur textnahen und zugleich gegenwartssensiblen Auslegung des Weihnachtsevangeliums vgl. Schambeck, Mirjam, Biblische Facetten. 20 Schlüsseltexte für Schule und Gemeinde, Ostfildern 2017, 173-181.