Als ich meinen Freund*innen vom geplanten Thema meiner Magisterarbeit berichtete, erhielt ich neben interessierten Kommentaren und Lektüretipps auch eine sarkastisch-skeptische Reaktion: „Du hast es ja richtig nötig! Jetzt beschäftigst du dich schon jeden Tag mit den Unverständlichkeiten und der Ironie der Katholischen Kirche und setzt dann noch einen drauf und verbringst ein halbes Jahr mit Rechten. Mit Sicherheit hätte es ein einfacheres und weniger polarisierendes Thema gegeben…“

Aber genau darin liegt doch der Reiz eines Theologiestudiums: zu fragen, was die Menschen glauben und vertreten, und im besten Fall nur ein wenig zu verstehen, warum sie das tun. Was gibt es da Herausfordernderes (und vor allem aktuell Relevanteres) als katholische AfD-Sympathisant*innen? Denn gerade bei dieser Gruppe fallen Spannungen und Widersprüche ja besonders schnell ins Auge: So spricht sich das kirchliche und theologische Spitzenpersonal nahezu einhellig mehr oder weniger stark gegen die Partei und ihre Positionen sowie für eine weitere Offenheit in der Migrationspolitik aus. Dennoch sind die Zustimmungsraten der AfD unter Christ*innen im Grunde genauso hoch wie im Rest der Bevölkerung. Die AfD wiederum kritisiert die politische Einflussnahme der Kirchen und hinterfragt deren Finanzierung. Einzelne Vertreter*innen rufen zum Kirchenaustritt auf. Zugleich wird von der Partei aber auf das Christentum als kulturellen Hintergrund rekurriert. Und es wird doch vertrackter: Sozialwissenschaftliche Studien bilden nämlich eine Korrelation zwischen Religiosität und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab. Kirchenmitglieder sind also irritierenderweise überhaupt nicht vor dem gefeit, was die Kirchen entschieden kritisieren.Die Kirche ist somit sowohl Akteurin in der politischen Auseinandersetzung als auch von dieser selbst erfasst. Es liegt folglich in ihrem Interesse, sich mit den Positionen der AfD-Sympathisant*innen auseinanderzusetzen.

Grund genug, einmal genauer hinzusehen und vor allem hinzuhören. Im Frühjahr habe ich sechs längere Interviews mit katholischen AfD-Sympathisanten (leider nur Männern) geführt, diese ausgewertet und mich danach in die aktuelle Forschungsliteratur und journalistische Debatte vertieft. Ich habe mit Menschen gesprochen, die alle irgendwann einmal gut in die CDU gepasst hätten, die nun aber eher mit Skepsis auf die Zukunft blicken und umfassend Kritik an gesellschaftlichen Transformationen und politischen Missständen üben. Diese Menschen stehen durchaus in einem gespaltenen Verhältnis zur AfD, das sich wohl am besten als „kritische Sympathie“ beschreiben lässt. Was sie verärgert, ist eine in ihren Augen illegitime Einmischung der Kirche in die Tagespolitik; sie beklagen vermeintlich pauschale Vorverurteilungen und Ausgrenzungen der AfD und ihrer Vertreter*innen.

Viele Worte könnte man noch über die politikwissenschaftliche Verortung der AfD oder die Bedingungen ihres Erfolgs verlieren. Was nun aber an dieser Stelle folgen soll, ist für mich der spannendste Teil: Welche Schlüsse können aus all dem gezogen werden? Welche Handlungsoptionen ergeben sich in dieser schwierigen Gemengelage für kirchliche Akteur*innen? Eine erste hilfreiche Orientierung für eine theologische Verhältnisbestimmung zwischen AfD und katholischer Kirche bietet die von Andreas Püttmann wiederentdeckte „Höffner-Formel“1: „Die politischen Parteien bestimmen selber durch Programm und Praxis ihre Nähe oder Distanz zur Kirche.“ Das stimmt sicherlich; Passivität genügt meiner Meinung nach aber nicht. Für alles Weitere habe ich deshalb einmal zwölf Thesen skizziert, die – wie ja gerade en vogue – als Diskussionsgrundlage dienen sollen.

Das Gespräch suchen

1. Was nun gefragt ist, ist trotziger Realismus.
Die AfD wird wohl auf absehbare Zeit in der deutschen Parteienlandschaft vertreten sein. Es ist folglich notwendig, sich (auch theologisch und sozialethisch) – vor allem im Dialog – mit ihren Positionen auseinanderzusetzen. Ein (öffentliches) Gespräch mit der AfD stellt keine zu vermeidende Aufwertung mehr da; dafür ist die AfD medial bereits zu präsent. Wahrscheinlich wird man sich darüber hinaus auch mittelfristig damit abfinden müssen, dass in Deutschland eine nicht-extremistische Partei rechts der Union in allen Parlamenten vertreten ist. Die AfD spielt auf eine latente Kirchenfeindlichkeit an; eine Gesprächsverweigerung seitens der Kirche verstärkt bzw. legitimiert diese Strategie – die Kirche würde also mit Abgrenzung nur eine Opponentin heranzüchten und den moderaten, christlichen Mitgliedern in der Partei nicht gerecht werden.

2. Differenzierung tut not
Sachliche Einwände der AfD als Symptom für Politikfelder, in denen Handlungsbedarf besteht, sind zunächst einmal legitim; es können sogar inhaltliche Überschneidungen zwischen Positionen der katholischen Kirche und der AfD bestehen (bspw. im grundlegenden Verhältnis zu Schwangerschaftsabbrüchen). Was – hier wieder mit Andreas Püttmann gesprochen2 – aber immer auch zählt, ist indes nicht nur die Sachpolitik (policy), sondern auch die Art und Weise ihrer Artikulation (polity).

3. Hier gilt das Grundgesetz.
Die befragten AfD-Sympathisanten argumentierten häufig mit dem Grundgesetz bzw. mit vermeintlichen Rechtsbrüchen; dieser grundsätzlich hohe Stellenwert des Rechts kann folglich gerade im Gespräch mit katholischen AfD-Sympathisant*innen, welche den gesellschaftlichen Stellenwert der Kirche schätzen, als Argument eingesetzt werden, etwa wenn es um den Islam und Fragen des Religionsverfassungsrechts geht.

4. Wir müssen lernen, Dissens auszuhalten.
Es gilt, innerkirchlich bei aller notwendigen Profilschärfung und selbstbewussten Abgrenzung auch die Pluralität von Meinungen und bestehende (Wert-)Konflikte auszuhalten; das gilt auch für die Debatte um die Einwanderungspolitik. Die katholische Kirche bildet – ihrem Selbstverständnis gemäß – die plurale Gesellschaft im Kleinen ab und muss deshalb auch lernen, mit bleibenden Spannungen umzugehen. Denn eine vollkommene Ausgrenzung von rechten Abweichler*innen ist schon sakramententheologisch ein Ding der Unmöglichkeit. Und: Offenbart die bisherige Auseinandersetzung mit der AfD nicht auch system-bedingte Schwächen der katholischen Ekklesiologie?

Das eigene Profil schärfen

5. Kirche darf niemals „auf dem rechten Auge blind sein“.
An einer entschiedenen Abgrenzung gegenüber dem Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit führt trotz dieser Feststellungen aber niemals ein Weg vorbei; auch die Strategie des Populismus, einen Teil des Volks zu verabsolutieren und andere damit aus dem Diskurs und der Demokratie auszuschließen, ist zu kritisieren. Dies ist ein Gebot christlicher Überzeugung und zudem ein entscheidendes Glaubwürdigkeitskriterium für die Kirche.

6. Jetzt ist die Zeit zur Erneuerung.
Diese Verpflichtung impliziert eine interne (auch theologische) Qualitätssicherung und eine rhetorische Zurückhaltung kirchlicher Vertreter*innen – etwa in der Debatte um Gender-Theorien und den Islam. In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus gilt es, auch selbstkritisch zu sein und aufzudecken, wo rechte Ideologeme vielleicht in einer gefährlichen Nähe zur eigenen Lehre stehen. Darüber hinaus ist bei Veranstaltungen und Initiativen kritisch zu hinterfragen, ob eine eigene Beteiligung rechte Akteur*innen nicht vielleicht indirekt aufwertet.

7. Es bedarf einer kirchlichen Strategie.
Die Kirche muss sich – erneut mit Andreas Püttmann3 – klar darüber werden, was die Auseinandersetzung mit der AfD für ihre Stellung in der deutschen Gesellschaft, bspw. auf einer Links-Rechts-Achse, bedeutet: Eine pauschale Abgrenzung von der Partei droht Teile ihrer traditionellen Klientel zu verschrecken; zugleich bietet sie die Chance, bei bisher kirchenskeptischen Milieus in der Anerkennung zu steigen. Daneben muss darüber diskutiert werden, welche Rolle die Kirche in der Debatte um die AfD einnehmen will: Schiedsrichterin mit „roten Linien“, Anwältin von Minderheiten, Interessensvertretung ihrer Mitglieder oder Mediatorin und metapolitische Gesprächsplattform.

8. Kirche muss Schlagworte neu zu besetzen.
Die AfD argumentiert in ihren Veröffentlichungen mit Begriffen wie dem „Gemeinwohl“ oder der „Subsidiarität“. Diese genuinen Formeln der Katholischen Soziallehre gilt es, kirchlicherseits (wieder) für sich zu reklamieren und aufzuzeigen, ob und wenn inwiefern eine Orientierung an diesen Maximen mit der AfD (nicht) vereinbar ist.

Die Herausforderung annehmen

9. AfD-Kritik ist eine Querschnittsaufgabe.
Die Kirche darf sich in der Auseinandersetzung mit der AfD, wenn sie richtig geführt wird, nicht damit begnügen, sich nach rechts abzugrenzen, sondern muss in allen Politikfeldern, in denen die AfD reüssiert, entweder deren Konzepte – wie bei allen anderen Parteien auch – kritisch würdigen, oder alternative, christlich-sozialethisch verantwortbarere Konzepte anbieten.

10. Kirche muss eine vordringliche Option für die Ausgeschlossenen aufweisen.
Nur wenn Menschen, denen Exklusion droht und die sich ängstigen, abgehängt zu werden, eine wirkliche Anwältin bekommen, sind sie dagegen immun, langfristig dem Rechtsextremismus anheim zu fallen. Kirche kann hier ein Auffangnetz und vielleicht auch – gemäß einer vom Soziologen Heinz Bude vertretenen Auffassung – eine ausgleichende und aufbauende „Verlierer[*innen]kultur“4 darstellen. Darüber hinaus ist jedoch eine umfassende Kritik am derzeitigen Wirtschafts- und Sozialsystem notwendig. Vielleicht sollten wir alle mehr Žižek lesen! Denn die Rechte fordert, „wegen der Bedrohung durch die Einwanderer[*innen] zu ‚erwachen‘, damit wir weiterschlafen, das heißt die Gegensätze ignorieren können, die unseren globalen Kapitalismus durchziehen.“5

11. Was kann gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften?
Die Kirche wird – auch von AfD-Sympathisant*innen – als Identitätsgarantin geschätzt. Gegenüber vorschnellen Homogenitätswünschen gilt es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Kirche muss sich dazu fragen, was Identität stiftet und wie Menschen das Gefühl von Heimat und Sicherheit vermittelt bekommen können, ohne sich ausschließlich auf eine sich aggressiv abgrenzende Nation oder Ethnie beziehen zu müssen. Alle Katholik*innen sollten an einer Debatte um den Ursprung gesellschaftlicher Kohäsionskräfte teilnehmen – egal, ob man diese Quelle nun „Leitkultur“ nennen will oder eben nicht.

12. Kirche ist geübt darin, Partizipationsräume zu schaffen.
Akzeptanz und Wertschätzung zu erfahren, schützt vor der Zustimmung für rechtsextreme Ideologeme. Die Kirche ist mit ihrer breiten Verbändelandschaft eine Expertin darin, diese Anerkennung zu ermöglichen. Sie muss jedoch auch dort Partizipationsräume für Menschen eröffnen, wo dies sonst niemand tut, so den „vorpolitischen Raum“ präventiv besetzen und den Menschen in der Praxis vermitteln, was es heißt, in einer pluralen Demokratie zu leben. Dies schließt notwendig eine weitere Debatte um innerkirchliche Demokratie mit ein.

Übrigens: Die Magisterarbeit ist noch lange nicht abgegeben. Ich diskutiere diese Thesen deshalb gerne und freue mich über jede konstruktive Kritik – egal ob aus der AfD, von deren Interpret*innen oder ihren entschiedenen Gegner*innen. Denn mindestens einen positiven Aspekt hat der Erfolg der AfD mit Sicherheit mit sich gebracht: eine Gesellschaft und eine Kirche, die wieder Interesse an der politischen Auseinandersetzung sowie der Meinung politischer Gegner*innen hat.

Hashtag der Woche: #zurrechtengottes


1 Püttmann, Andreas: Was ist die AfD – und wie mit ihr umgehen? In: Stimmen der Zeit 2016.10, S. 684.

2 Vgl. Püttmann, Andreas: Was ist die AfD? Und wie als Kirche mit ihr umgehen? In: Orth; Resing (Hrsg:): AfD, Pegida und Co. Freiburg: Herder, 2017. S. 51.

3 Vgl. Püttmann, Andreas: Was ist die AfD? Und wie als Kirche mit ihr umgehen? In: Orth; Resing (Hrsg:): AfD, Pegida und Co. Freiburg: Herder, 2017. S. 52.

4 Bude, Heinz: Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition, 2014. S. 21.

5 Žižek, Slavoj: Die Ausweitung der Kampfzonen. In: Die ZEIT / 02.02.2017 / S. 37.

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jonatan burger (er/ihn)

studierte von 2012-2018 Katholische Theologie in Freiburg und promoviert nun im Fach Christliche Sozialethik. Er ist Referent an der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und Teil der Redaktion von y-nachten.de.

One Reply to “Das Kreuz mit der AfD”

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