Stories zu Weihnachten

Die Zahl der Geschichten, die sich dem besonderen Zauber von Weihnachten verschreiben, steigt jährlich. Obwohl darin einzelne Zutaten variieren, wiederholen sich manche Motive immer wieder. Weihnachten stellt ungerechte weltliche Logiken vom Kopf auf die Füße. Das wussten in moralinsaurer Spielart schon Charles Dickens und in schokoladensüßer Willy Wonka. Statt dicker Kartoffeln kriegen dumme Bauern endlich ihr Fett weg, die klugen erhalten das hochverdiente Glück der reichen Ernte. Weihnachten bricht und heilt die Herzen. Es ist die Zeit der Liebesgeständnisse auf selbstgebastelten Schildern an Keira Knightley, der verschenkten und am very next day away gegebenen Herzen. Darüber kann mensch sogar ein Lied schreiben. Das alle so richtig hart nervt.

Wir verbinden heute einen riesigen Pool an Bildern und Erzählungen mit Weihnachten, die uns auf ihre je eigene Art ihre je eigene Auffassung davon vermitteln, was dieses Fest ausmachen kann. Als Fiktion enthalten sie Wahrheiten abseits aller historischen Wahrheit: Sie sind story und nicht history.

 

Zwischen story und history

Die biblischen Weihnachtstexte bewegen sich zwischen story und history. Sie arbeiten mit verschiedenen Bildern und Gattungen, um sich dem ursprünglichen weihnachtlichen Geheimnis zu nähern. Sie wollen zum Ausdruck bringen: Hier beginnt der einzigartige Weg des Menschen, nach dessen Leben, Tod und Auferstehung wir überzeugt sind, dass er der kyrios ist — nicht nur ein Mensch eben, sondern Gottes Sohn und wahrer Gott. Insofern binden sie sich an die Geschichte dieses Menschen, sind also nicht ahistorisch, verfolgen aber dennoch kein primär historisches Interesse, sondern erzählen interpretierend und reflektierend.

Unter diesen Vorzeichen kommt es zu unterschiedlichen Vorstellungen über den Beginn des Lebens Jesu. Der Evangelist Johannes führt den Gedanken des fleischgewordenen präexistenten Wortes Gottes ein. Matthäus eröffnet sein Evangelium mit der Absicht, die Abstammung Jesu von König David zu untermauern. Und Lukas — der klare wirkungsgeschichtliche Sieger in Sachen Weihnachtsgeschichten — verflicht die Geschichte Jesu mit der Johannes des Täufers und ordnet seine Geburt in große weltgeschichtliche Zusammenhänge ein. Auf unterschiedliche Weise bezeugen diese Texte, wie schon zu Beginn des Lebens Jesu gilt, was sich in der Auferstehung vollendet.

 

Aus dem Kontext gerissen

Manche Elemente der biblischen Weihnachtserzählungen haben sich in den folgenden Jahrhunderten von ihrem ursprünglichen Aussagezusammenhang (Gottes Sohn ist geboren) emanzipiert und sind zu eigenständigen Größen in Theologie und Frömmigkeit geworden. Das gilt vor allem für die Jungfrauengeburt, die Matthäus und Lukas überliefern. In den Verkündigungsszenen legt ersterer das Gewicht auf die Annahme Jesu als Sohn durch Joseph als Nachfahren Davids, letzterer betont v.a. die heilsgeschichtliche Rolle des Kindes. Dass Maria ihren Sohn jungfräulich empfängt, dient als Verstehenskategorie dafür, dass Jesus von Beginn an der Sohn Gottes auf Erden ist. Die Idee der Jungfräulichkeit Mariens steht nicht im leeren Raum, sondern im Zusammenhang der Christologie beider Evangelisten. Sie ist der Gottessohnschaft Jesu zuzuordnen und eigentlich nicht von ihr zu lösen.

Aber gilt das auch umgekehrt? Kann diese Gottessohnschaft nur gedacht und artikuliert werden, wenn im selben Atemzug auch die Jungfräulichkeit (hier wohlgemerkt: ante partum) genannt wird? In der Bibel handelt es sich dabei um eine Erklärungsmöglichkeit, in der Geschichte der katholischen Kirche ist die (dieses Mal: ewige) Jungfräulichkeit zum Dogma geworden und damit nahe an eine christologische Denknotwendigkeit herangerückt: ohne Jungfräulichkeit keine Menschwerdung.

 

Notwendigkeiten möglicher Menschwerdungen

So sie zur notwendigen Bedingung der Menschwerdung erhoben wird, bringt die Vorstellung der Jungfräulichkeit Mariens jedoch Probleme mit sich — und zwar besonders, wenn sie biologistisch eng geführt wird. Sie beruht auf der Annahme, dass Gott selbst die zeugende Kraft des Mannes in diesem konkreten Fall ersetzt und so das Geschehen initiiert hat, das wir Weihnachten nennen. Durch die in der Kirchengeschichte erfolgte Verfestigung dieser Kausalität könnte mensch aber meinen, Gott müsse auch bei möglichen geplanten weiteren Menschwerdungen (jaja, ich weiß: „einmalig und unüberbietbar“) stets dafür sorgen, dass kein Mann im Spiel sei, da eine Menschwerdung Gottes nie anders möglich sein könnte als ohne das Zutun eines Mannes.

Die Männer dieser Welt müssten in der Folge das Joch der Konkurrenz zum Allmächtigen tragen. Die Frauen dieser Welt müssten sich ein für alle Mal damit anfinden, dass ihre Rolle in der Fortpflanzung nicht so entscheidend ist, als dass sie bei optionalen Menschwerdungen Berücksichtigung finden müsste — ein „Ja“ genügt. Gott müsste sich damit abfinden, wieder und wieder die Vater-Metaphorik zu reproduzieren, denn sollte sein optionales menschgewordenes Kind ihn trotz einer leiblichen Mutter als „Mutter“ ansprechen, hätte es ja quasi zwei Mütter. Die katholische Kirche wäre darüber nicht amüsiert.

Ignorieren wir die Frage der Geburt und machen das umgekehrte Denkexperiment: Gott kann nur ohne Zutun der Frau Mensch werden. Die Rollen verdrehen sich: Frauen konkurrieren mit Gott, Männer bleiben passiv, Gott wird hauptsächlich als „Mutter“ angesprochen. Klingt matriarchalisch. Oh, Moment.

 

Nothing else matters

Die Bibel kennt verschiedene Möglichkeiten, zu plausibilisieren, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Sie bildet den Ur-Pool an Weihnachtsgeschichten, sucht Bilder für ihre frohe Botschaft. Das entscheidende bleibt aber die Botschaft, der die Bilder zugeordnet sind. Sollten neue Geschichten diese Botschaft gut vermitteln können, dürfen wir uns nicht scheuen, sie einzusetzen (was nicht bedeutet, dass George Michael das könnte). Sollten alte Geschichten dies nicht mehr oder nur problembehaftet können, müssen wir uns daran erinnern, in welchem Aussagezusammenhang sie stehen: Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Darauf kommt es an.

 

Hashtag der Woche: #whynachten

 

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franca spies

studierte katholische Theologie in Freiburg und Jerusalem. Nach ihrer Promotion in Freiburg arbeitet sie nun in der Fundamentaltheologie an der Universität Luzern. 2016 hat sie y-nachten mitgegründet und gehört bis heute der Redaktion an.

7 Replies to “Whynachten

  1. Liebe Franca, welch furioser Auftakt, welch herrliches und unerwartetes Geschenk an diesem besonderen Tag! Was soll man da noch anderes sagen als danke!

  2. „Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Darauf kommt es an.“
    Liebe Franca, in den vergangenen Jahren bin ich auf viele Leute gestoßen, die auf der Suche nach DER ursprünglichen Wahrheit unter dem dicken Kultur-Torf sind. Das ist aber im gut geschnürten Gefüge der Kirchen und Gemeinschaften alles nur nicht einfach. Daher freue ich mich sehr, dass ihr mit diesem Blog einen sehr mutigen Schritt macht und damit nicht zuletzt andere ermutigt. Danke für diesen Beitrag.

    1. Lieber Sascha, danke für dein feedback!
      Wir dürfen natürlich nicht so tun als könnte die „ursprüngliche Wahrheit“ von ihrer kulturellen / gemeinschaftlichen / kirchlichen Vermittlung abgekoppelt werden. Alle Glaubenssätze – auch die grundlegendsten – sind Interpretationen von Geschichte und durchlaufen diverse Vermittlungsinstanzen. In dieser konkreten Frage sollten die Dinge aber mal wieder in die richtige Perspektive gerückt werden. Zum Glück passiert das in vielen theologischen Entwürfen zu diesem Thema bereits.

  3. Mensch Franca, das sind ja festliche Neuigkeiten zwischen den Jahren! Den Jungfrauen-Ehrenkodex hab ich zwar auch am Rande meiner letzten Predigt gestreift…aber ich hab nach deinem Essay große Lust den nächstes Jahr auszubauen…das verkraften die Rieselfelder 🙂 der nächste 8. Dezember kommt bestimmt!

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